Kommentar

Tagesanzeiger profitiert von der Roten Anneliese

Kurt Marti © Christian Schnur

Kurt Marti /  Im Strafprozess gegen einen Redaktor kann sich der Tagesanzeiger auf die Vorarbeit der Oberwalliser Zeitung Rote Anneliese stützen.

Im Februar 2005 reichte ein Oberwalliser CVP-Politiker eine Strafklage wegen Ehrverletzung gegen mich als damaliger Redaktor der Roten Anneliese ein. Der zeit- und nervenaufreibende Strafprozess dauerte über vier Jahre. Dann sprach mich das Bundesgericht in allen Punkten frei. Dazwischen lag ein beinharter Kampf um meine Reputation als glaubwürdiger Journalist. Die Walliser CVP-Justiz war materiell mit dem Fall überfordert und zeigte darüber hinaus politische Schlagseite.

Pflöcke zum Schutz der Medienfreiheit

Das Bundesgericht sprach in seiner Urteilsbegründung Klartext und hielt fest, dass mir der CVP-Kantonsrichter reihenweise Aussagen angedichtet hatte, die ich nie geäussert habe. Mit dem wegweisenden Urteil schlugen die Bundesrichter wichtige Pflöcke zum Schutz der Medienfreiheit und der Medienschaffenden in der Schweiz ein. Der vierjährige Kampf einer kleinen Zeitung mit bescheidenem Budget hatte sich gelohnt; juristisch unterstützt von meinem Anwalt Peter Volken und finanziell abgesichert von der Mediengewerkschaft Comedia (heute syndicom).

Freispruch vor Obergericht in Sicht

Deshalb freut es mich ganz besonders, dass nun auch der Tagesanzeiger (TA) von dieser Vorarbeit im Dienste der Medienfreiheit profitieren kann. Wie der TA am 5. Februar 2013 berichtete (siehe Link unten), wurde der TA-Redaktor Maurice Thiriet vom Zürcher Bezirksgericht wegen übler Nachrede im Fall der «Astronautin» Barbara Burtscher verurteilt. Dabei griff der Bezirksrichter auf ein Bundesgerichtsurteil aus den 50er Jahren zurück, was der Medienrechtler Peter Studer in seinem Kommentar mit dem Hinweis bemängelte, das Bezirksgericht hätte auch «ein jüngeres Bundesgerichtsurteil nachschlagen können: Rote Anneliese, 9. März 2009». Im Lichte dieses Urteils sei das Urteil des Bezirksgerichts Zürich «übermässig streng».

Im Hinblick auf den weiteren Strafprozess kann ich dem Tagi das Buch «Tal des Schweigens» empfehlen, das ich vor drei Monaten im Rotpunktverlag veröffentlicht habe, insbesondere die Lektüre des Kapitels «Von Klosterfrauen, Richtern und Dichtern». Mit dem Kommentar des Medienrechtlers Studer und dem Bundesgerichtsurteil der Roten Anneliese in der Hand wäre alles andere als ein Freispruch vor dem Zürcher Obergericht eine grosse Überraschung.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Redaktor der Roten Anneliese 2000 - 2010

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