Kommentar
Lieber Hanspeter Forster vom SRF-Fernsehen,
Kollegenschelte ist nicht gerne gesehen. Deshalb habe ich gezögert, diesen Kommentar zu schreiben. Aber was Du gestern in der Tagesschau der Nation vorgetragen hast, provoziert geradezu eine Reaktion.
Als langjähriger Bundeshaus-Mann vom Schweizer Fernsehen solltest Du jüngeren Kollegen ein Vorbild sein. Gestern ist es Dir nicht gelungen. Die vereinigte Pharma-Lobby hat zur Pressekonferenz gerufen (Interpharma mit Roche und Novartis sowie die Vereinigung der Niederlassungen ausländischer Pharmafirmen und in der Schweiz produzierenden Pharmaunternehmen Vips). Ihr Ziel war klar: Jammern über die angeblich schlechten Geschäfte und Ausrufen gegen geplante Preissenkungen bei Medikamenten. Das ist ja ihr gutes Recht. Doch niemand zwingt die Tagesschau, darüber zu berichten. Für die Neue Zürcher Zeitung und den Tages-Anzeiger war der Gehalt der Pressekonferenz offensichtlich so mager, dass sie heute keine Zeile darüber verlieren.
Verwirrung mit der einzigen harten Zahl
Du hast anders entschieden, und das darfst Du natürlich. Auch an einer solchen Lobby-Veranstaltung gibt es interessante Informationen, die auf Interesse stossen können – vor allem, wenn man ein bisschen nachhakt und nachfragt. Nur hast Du als einzige harte Zahl aufgegriffen, dass «die Branche 2012 ein Umsatzplus von zwei Prozent erzielte», was 5,08 Milliarden ergab. Das ist angesichts des teuren Frankens und einer Inflation von -0,7 Prozent beachtlich, was jedoch eher unterging.
Aber schon mit dieser einzigen harten Zahl hat die Tagesschau Verwirrung gestiftet. Weil der Beitrag unter dem Motto «Kostensenkungen des Bundes» lief, entstand der Eindruck, es gehe um die Umsätze der kassenpflichtigen Medikamente, deren Preise der Bund festlegt. Aus den Unterlagen der Pressekonferenz ging jedoch klar hervor, dass es sich um den realisierten Gesamtumsatz sämtlicher Arzneimittel handelte. Wie sich der Umsatz der kassenpflichtigen Medikamente entwickelte, hast Du leider nicht gefragt und offensichtlich nicht einmal die Medienunterlagen gelesen: Dort sieht man, dass der Umsatz derkassenpflichtigen Medikamente sogar um 3,6 Prozent zugenommen hat! Trotzdem titelte die Pharmabranche: «Preissenkungsmassnahmen greifen»…
«Untragbar» ist eigentlich der Wechselkurs von 1.56
Der Rest Deines Beitrags bestand aus Lobby-Behauptungen, Spekulationen und Falschinformationen. Zuerst durfte Vips-Geschäftsführer Thomas Binder eine «düstere Zukunft» an die Wand malen und gleich anfügen, dass die «Sparauflagen» des Bundes «untragbar» und «nicht zu akzeptieren» seien. Denn der Bund wolle die Medikamentenpreise um zwanzig Prozent senken.
Diese Forderung macht einen vermessenen Eindruck, wenn man sie, wie die Tagesschau, nicht in einen Zusammenhang stellt.
Dieser hätte sich aus Gegenfragen ergeben. Zum Beispiel: Finden Sie es denn korrekt, dass für drei Viertel aller Medikamente beim Auslandpreisvergleich immer noch ein Wechselkurs von 1.56 Franken angewandt wird? Oder: Wieso müssen die Krankenkassen für Medikamente immer noch die höchsten Preise in ganz Europa zahlen?
Statt kritische Fragen zu stellen, was Journalisten von Berufs wegen tun sollen, hast Du die Aussagen der Pharmavertreter über den angeblich harten Kurs des Bundes bestätigt: «Tatsächlich gilt seit letztem Jahr, dass die Medikamentenpreise nicht höher sein dürfen als in vergleichbaren europäischen Ländern.»
Doppelt falsch
Diese Aussage stimmt zum Ersten nicht, weil die Medikamentenpreise schon seit vielen Jahren aufgrund eines Auslandpreisvergleichs festgesetzt werden.
Diese Aussage stimmt zum Zweiten nicht, weil zum Durchschnitt der Fabrik-Preise im Ausland schon immer und auch heute noch ein Zuschlag von mehreren Prozenten gewährt worden ist. Die Fabrik-Preise in der Schweiz waren schon immer und sind auch heute noch höher als in vergleichbaren europäischen Ländern.
Irreführung mit Fabrikpreisen
Deine Aussage ist zudem irreführend, weil die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer unter «Medikamentenpreise» das verstehen, was sie selber oder die Krankenkassen für Medikamente zahlen müssen. Tatsächlich aber werden beim Auslandpreisvergleich nicht die Publikumspreise verglichen, sondern die Fabrikpreise. Im Gegensatz zur Schweiz kommen diese Listenpreise der Firmen im Ausland nur in den wenigsten Fällen zur Anwendung – in den Vergleichsländern Deuschland und Holland praktisch überhaupt nicht. Würde man die Preise vergleichen, welche die Kassen zahlen müssen, stünde die Schweiz noch erheblich schlechter da.
Preisüberwacher zu Generika
Die falschen und irreführenden Informationen des Tagesschau-Kommentars konnte die eingeholte Stellungnahme des Preisüberwachers nicht wett machen, weil er zu diesen Punkten gar nicht befragt wurde. Vielmehr kritisierte dieser die zu hohen Preise von Generika. Von diesen Nachahmerprodukten war vorher nicht die Rede.
Fazit: Als Schulungsbeispiel für Jungjournalisten kann Dein gestriger Bericht über die Pressekonferenz einer der mächtigsten Lobbys im Land nicht dienen. Höchstens als Beispiel, wie man es nicht tun sollte.
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Lesen Sie hier die Reaktion von Hanspeter Forster: «Hochgradig rufschädigend und verleumderisch»
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Zum Dossier: Preise von Medikamenten
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor vertritt die Patienten und Prämienzahlenden in der Eidgenössischen Arzneimittelkommission.
Der Artikel von Herrn Gasche ist sehr wertvoll und offen! Gut beobachtet was abgelaufen ist. Aus meiner Sicht ist das «DU", welches im Artikel erwähnt wird, ein Laie.
Oder war es etwa von Anfang an die Absicht, Verwirrungen zu stiften?
Oder war die Absicht von Anfang an, die Pharma-Lobby zu unterstützen?
Oder musste er so sprechen, weil sein «Brötligeber» es so wollte?
Tja, solche Fragen tauchen nach so einer Sendung eben auf! Am besten ist es, dass Herr und Frau Schweizer selber genau beobachtet und sich von so einer Sendung schon gar nicht beeinflussen oder irritieren lässt. Gruss Heidi Altorfer
Ohne den Artikel von Herrn Gasche hätte ich die Tagesschauinformation einfach gefressen. Wahrscheinlich gibt es in jeder Tagesschau solche verzerrten Informationen, die ich als Zuschauerin nicht erkenne, da mir die HIntergrundinformationen fehlen. Von einem Korrespondenten erwarte ich jedoch, dass er belesen, informiert, kritisch und genau ist.
Mindestens etwas bleibt nachzutragen – und da müsste der harte Kritiker mit sich selbst ebenso streng sein: Aus einem Umsatz kann nicht auf Preisdifferenzen geschlossen werden, da der Umsatz das Produkt von Preis mal Menge ist. Es kann also gut sein, dass die Preise trotz höheren Umsätzen ABgenommen haben, dann nämlich, wenn (was leider zu befürchten ist) die Mengen einmal mehr (erheblich) gestiegen sind.
@Hafner. Sie haben völlig recht. Die Preise vieler Medikamente sind tiefer. Doch Pharmafirmen nehmen günstige Medikamente oft vom Markt und ersetzen sie durch teure. Auch die Bevölkerung hat zugenommen. Man müsste also die Kassen- oder Publikumspreise pro Kopf berechnen und diese dann mit dem Ausland vergleichen. In der Schweiz ergeben Preise mal Menge eine höhere Gesamtsumme (plus 3,6 Prozent im letzten Jahr).
Im Übrigen möchte ich betonen, dass Hanspeter Forster schon viele gute Fernsehbeiträge gemacht und gute Kommentare verfasst hat. Aber der erwähnte Beitrag enthielt falsche Darstellungen und konnte das Publikum leicht in die Irre führen. Früher war gegenseitige, öffentliche Medienkritik unter Profis noch ein wichtiges Element der Meinungsbildung. Im Fernsehen gab es eine wöchentliche medienkritische Sendung. Doch seit nur noch wenige Verlage neben dem einen nationalen Fernsehsender den Markt beherrschen, ist man gegenseitig abhängig und nimmt Rücksicht. Die meisten Journalisten wollen sich einen Wechsel zu einem andern Konzern nicht verbauen. Infosperber wird die Medienkritik weiterhin pflegen. Bürgerinnen und Bürger können so zuweilen erfahren, worüber die grossen Medien wenig oder nichts berichten – und wann sie gelegentlich an der Sache vorbei informieren.
Aber hallo! Sehr interessant und spannend, diese Debatte. Nur: Wo kann ich da Forsters Filmchen anklicken und anschauen – und mir dann meine eigene Meinung machen?
Mit Gruss an alle! Niklaus Ramseyer
@Niklaus Ramseyer.
Du hast recht. Der Link zum Tagesschau-Beitrag findest Du jetzt am Schluss der Sendekritik. Eigentlich erstaunlich, dass bisher niemand den Link zum Originalbeitrag vermisste.
Gruss. Urs