Kommentar

In Ägypten behält das Militär die Macht

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

upg /  Jetzt ist klar, weshalb sich das Militär so still verhielt. Die neue Verfassung macht die Militärkaste zum Staat im Staat.

Das mächtige Militär in Ägypten behält die Macht zum Putschen, die Macht über Militäreinsätze und die Macht über weite Teile der Wirtschaft.
Eigentlich war dies seit Wochen klar, denn sonst hätte sich das Militär nicht still gehalten, als Präsident Mursi die Justiz weitgehend ausschaltete, vom islamisch dominierten Parlament im Hauruck-Verfahren eine Verfassung ausarbeiten liess und auf den 15. Dezember eine Volksabstimmung über diese Verfassung ansetzte.
Erstaunlicherweise war während der turbulenten letzten Wochen aus den Medien kaum zu erfahren, welche Haltung denn das mächtige Militär zur Entwicklung in Ägypten einnimmt. Ohne das Placet des Militärs hätte Mursi nicht so handeln können. Mursi muss den Militärs von Anfang an garantiert haben, deren Unabhängigkeit und Macht nicht anzutasten.
Militär bleibt ohne jede Kontrolle
Tatsächlich enthält die neue ägyptische Verfassung, die am 15. Dezember vom Volk abgesegnet werden soll, alle diese Garantien. Wie Jürg Bischoff in der heutigen NZZ berichtet, entzieht die neue Verfassung das Militär jeder demokratischen Kontrolle. Auf Antrag der Streitkräfte ernennt der Präsident aus deren Reihen einen Verteidigungsminister. Dieser wird automatisch zum Oberbefehlshaber der Armee. Sogar zum Budget für die Verteidigung hat das Parlament weder etwas zu sagen noch zu kontrollieren. Und auch in Zukunft können nicht nur Militärangehörige, sondern auch Zivilisten von Militärgerichten verurteilt werden.
Ausserdem darf die Militärkaste weiterhin grosse Teile der Wirtschaft besitzen, die sie sich auf fragwürdige Weise angeeignet hat.
Direkter Draht zu den USA
Die wichtigsten Führungskräfte des ägyptischen Militärs liessen sich in den USA ausbilden und pflegen zu den USA enge Beziehungen. Sie beziehen auch viele Rüstungsgüter aus den USA. Weil die fast unbeschränkte Macht der Militärs von Mursi unangetastet bleibt und sogar in der neuen Verfassung verankert wird, können die USA mit der Entwicklung in Ägypten leben. Dies erklärt, weshalb sich die USA mit Kritik an Mursi zurückhalten.
Pech für Frauen, Homosexuelle und andere Minderheiten
Auf die Zivilgesellschaft wird die islamische Politik einen grossen Einfluss haben. Die neue Verfassung schützt «die wahre Natur der ägyptischen Familie» sowie «Ethik, Moral und öffentliche Ordnung». Die «Prinzipien der Scharia» sollen «hauptsächliche Quelle der Gesetzgebung» sein.
In der Praxis gibt es hier einen weiten Spielraum der Auslegung. Innerhalb dieses Spielraum wird sich die Demokratie abspielen.
Zwar hat der Verfassungsrat den Verfassungsparagraphen gestrichen, der die Gleichberechtigung der Frauen explizit nach den Vorgaben des islamischen Rechts einschränkte. Doch die inner-islamische Ausmarchung wird zeigen, ob sich Frauen weiterhin unbehelligt ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit bewegen können, gleichen Zugang zur Ausbildung und zu Arbeitsplätzen behalten.
Das wichtige Familienrecht (inklusive Scheidungsrecht) und das Erbrecht dürften Änderungen erfahren zum Nachteil der Frauen.
Mit Bestimmtheit schwieriger als schon heute wird die Situation für Homosexuelle und andere Minderheiten werden.
Eine Medienfreiheit hatte es unter Mubarak nicht gegeben. Auch die neue Verfassung verpflichtet die Medien, «Prinzipien der Gesellschaft» und «öffentliche Verpflichtungen» zu respektieren – wie immer das dann von der Regierung ausgelegt wird.
Doch um die Medien- Frauen- und Menschenrechte in andern Ländern kümmern sich die USA meist nur rhetorisch. Machtpolitik ging schon immer vor. Wichtig ist Washington, dass das ihnen wohlgesinnte Militär die wichtigste Macht im Ägypten bleibt.

Postscriptum:
In Sachen Zivilrecht haben die USA selber Nachholbedarf. In etlichen US-Bundesstaaten wie Massachusetts, Michigan, Oklahoma oder Wisconsin gilt Ehebruch als ein strafrechtlich zu ahndendes Verbrechen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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