Kommentar

Päckli von Kassen und Pharma gegen Prämienzahler

Urs P. Gasche © Peter Mosimann

upg /  Hinter dem Rücken der Prämienzahler macht Santésuisse mit der Pharma Deals. Diese Woche soll das Parlament sogar den Segen geben.

Noch in dieser Woche stimmt der Nationalrat über eine von der Pharmaindustrie inspirierte Motion ab. Sie verlangt, dass der Krankenkassenverband Santésuisse zusammen mit der Pharmaindustrie teurere Preise für Medikamente aushandelt, und dass der Bundesrat diesen Deal dann akzeptieren soll.

Im Hintergrund droht die Einheits-Krankenkasse
Die Krankenkassen spüren Gegenwind: Die Befürworter einer Einheits-Krankenkasse nehmen zu, und es soll verboten werden, gleichzeitig die Grundversicherung und Zusatzversicherungen anzubieten. Eigentlich müssten die Krankenkassen ihren Versicherten jetzt zeigen, dass sie sich vehement für deren Interessen einsetzen, hohe Kosten bekämpfen, sich um die Qualität der Leistungen kümmern sowie einen wirksamen Risikoausgleich einführen, der dem Abwerben von kostengünstigen Mitgliedern ein Ende setzt.
Doch weit gefehlt. Die Kassen wählen eine andere Taktik: Sie versuchen, bei der Pharmaindustrie und der Ärzteschaft guten Wind zu machen, in der Hoffnung, diese bei der Abstimmung über die Einheitskasse auf ihre Seite zu ziehen. In jüngerer Zeit haben sie bereits mehrere Male direkte Deals mit der Pharmaindustrie ausgehandelt.
Ob diese Strategie aufgeht, steht auf einem andern Blatt.
Für zwei Drittel der Medikamente gilt weiter der Wechselkurs von 1.55 CHF

Im konkreten Fall geht es vor allem um den Wechselkurs, der beim Medikamenten-Preisvergleich mit Deutschland, Dänemark, Frankreich, den Niederlanden, Österreich sowie Grossbritannien angewendet werden soll. Weil die Grundversicherung für Medikamente von Apotheken und Spitälern über fünf Milliarden Franken ausgibt, geht es bei den Wechselkursen um ein paar Hundert Millionen Prämienfranken.
Nach den Verordnungen, die bis im März 2012 gültig waren, wäre ein Wechselkurs von 1.23 Franken zur Anwendung gekommen. Doch Bundesrat Alain Berset kam der Pharmaindustrie angesichts des abrupten Erstarkens des Frankens entgegen und verordnete einen Wechselkurs von 1.29 Franken. Weil jedoch das Bundesamt für Gesundheit die Preise jedes Jahr nur jeweils für ein Drittel der Medikamente neu festsetzt, müssen die Prämienzahler für ein Drittel aller Medikamente noch bis 2013 einen Wechselkurs von 1.55 zahlen, und für ein letztes Drittel aller Medikamente sogar noch bis 2014.
Vor allem Pharmaunternehmen im Ausland profitieren massiv davon. Denn zwei Drittel der Medikamente, welche die Grundversicherung zahlt, werden aus dem Ausland importiert.
Diese ausländischen Pharmakonzerne konnten seit dem Erstarken des Frankens bereits rund anderthalb Milliarden Franken Währungsgewinne einstreichen – ohne dass damit ein einziger Arbeitsplatz in der Schweiz geschaffen worden wäre.
Trotzdem haben Pharma-Lobbyist Thomas Cueni und andere Pharma-Vertreter mit Erfolg Parlamentarier mit irreführenden Informationen eingelullt, so dass die Motion zustande kam, über die der Nationalrat diese Woche abstimmt (siehe «So lullt die Pharma Parlamentarier ein»): Bundesrat Berset soll gezwungen werden, der Pharma einen noch höheren Wechselkurs zuzugestehen. «Das Lobbying hat Spuren hinterlassen», stellte die NZZ gestern fest.
Maschinen- und Metallindustrie gegen «Sonderbehandlungen»
Das bringt sogar die Maschinen- und Metallindustrie auf die Palme. Jean-Philippe Kohl, Vizedirektor beim Maschinen-, Elektro und Metall-Industrieverband Swissmem erklärt, auch Swissmem könnte eine Sonderbehandlung fordern: «Gründe wie Kostenbasis oder die Investititionen in den Standort Schweiz, die die Pharma aufführt, gelten für die Schweizer Maschinen-, Elektro und Metall-Industrie ebenfalls». Kohl wehrt sich gegen «Sonderbehandlungen». Die Swissmem-Mitglieder seien noch stärker von Exporten abhängig als die Pharmaindustrie. Und es seien auch noch viel mehr Arbeitsplätze betroffen als bei der Pharmaindustrie.

Die Stiftung für Konsumentenschutz SKS und der Dachverband der Patientenstellen hatten vergeblich gefordert, die Währungsgewinne der Medikamenten-Importeure sofort und nicht erst stufenweise bis 2014 und überdies unvollständig abzuschöpfen.

Die von der Pharmaindustrie inspirierte Motion hat im Nationalrat gute Chancen: Sowohl SVP, FDP wie CVP lassen ihre Parteikassen von der Pharmaindustrie auffüllen. So verfügt die Pharmaindustrie im Parlament eine Art automatische Mehrheit. In diesem Fall scheinen sogar Kassen-Vertreter geneigt, der Motion zuzustimmen.

NACHTRAG
Wie erwartet hat der Nationalrat am 27. September die Motion «Neufestsetzung der Medikamentenpreise» angenommen. Diese verlangt, dass eine einvernehmliche Lösung zwischen der Pharmaindustrie und den Krankenversicherungen gefunden wird, um den Preisfestsetzungsmechanismus von kassenpflichtigen Medikamenten anzupassen.
43 Ja-Stimmen kamen von der SVP, 25 von der CVP und 23 von der FDP/Liberalen. SP, Grüne und Grünliberale stimmten mit einer Ausnahme gegen die Motion.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor vertritt die Patienten und Konsumentinnen in der Eidgenössischen Arzneimittelkommission EAK.

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Politik der Pharmakonzerne

Sie gehören zu den mächtigsten Konzernen der Welt und haben einen grossen Einfluss auf die Gesundheitspolitik.

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Medikamente verschlingen jeden vierten Prämienfranken. Warum müssen die Kassen viel mehr zahlen als im Ausland?

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Was ist effizienter und konsumentenfreundlicher? Was sind die Folgen für die Qualität von Behandlungen?

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Eine Meinung zu

  • am 7.10.2012 um 17:54 Uhr
    Permalink

    Ich frage mich, was sind das für Volksvertreter diese Bürgerliche Mehrheit?
    Scheinbar lassen sich diese von der Pharma Lobby kaufen ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, oder haben die gar keines?
    Ich habe mal geglaubt in der Schweiz gibt es keine Korruption, langsam kommen mir da Zweifel

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