Kommentar
Werbung versus Demokratie
Werbung nervt, wo sie Verstand und Geschmack beleidigt. Mich nervt sie auch, wo sie als Kunst daherkommt. Weil Kunst sich ihrer Sache entäussert, wo sie zur Werbung wird. Kunst und auch Politik entäussern sich ihrer Sache dort, wo es ihnen darum geht, Menschen nur etwas anzudrehen. Damit halten sie Menschen von dem ab, was sie etwas angeht. Es ist das, was mich an Werbung nervt: Dass sie uns für blöd verkauft, indem sie uns nach dem Mund redet und uns so am Ende selber blöd dastehen lässt; dass sie Information oder Volksnähe vortäuscht, aber Desinformation und Entmündigung will; dass sie das Subjekt verneint und damit in Widerspruch gerät zur Demokratie, die den Menschen für voll nimmt.
Bestechlichkeit wird schöngeredet
Ein Beispiel: Die Entschädigungen für Parlamentarier seien zu hoch, hört man immer wieder. Das schmeichelt dem Volk, Linke nicht ausgenommen: Haben doch «die da oben» erst kürzlich Asylbewerber auf Nothilfe gesetzt. Die sollten mal bei sich selbst kürzen, geht das Gerede, das ausgerechnet ihren Vertretern schadet. Ein Nationalrat dürfe höchstens einen Drittel seines Gehalts mit dem Volksmandat verdienen, fordert Christoph Blocher in der «Der Sonntag»: «Und zwei Drittel in der freien Wirtschaft. Ich überlege mir, hier mit einer Initiative vors Volk zu gehen, um diesen Missstand zu beheben», so der Volkstribun. Nach Bern soll also nur noch, wer es sich leisten kann. Oder wer für Konzerne und Banken lobbyiert, wer Zigtausende für ein Verwaltungsratsmandat kassiert. Bestechlichkeit wird schöngeredet. Von «zwei Dritteln seiner Zeit in die Privatwirtschaft investieren» ist ja nicht die Rede.
Gute Gesetzgebung muss und darf etwas kosten, weil sie Arbeit ist. Wird diese nicht mehr anständig honoriert, sitzen in den Parlamenten bald nur noch jene, die es nicht nötig hätten, zu arbeiten: Marktschreier, die uns einreden, es sei sowieso der Markt, der alles zum Besten regle – und das erst noch gratis! Gesellschaft als Gestaltungsaufgabe? Ideologie! Demokratie? Bloss hinderlich, wenn auch uneingestandenermassen. Falls es zu dieser Initiative kommt, wird PR (neudeutsch für Werbung und Propaganda) wieder einmal dafür sorgen, dass das Volk den Missstand ausmacht, wo er nicht ist.
Politische Arbeit besser bezahlen
L’etat c’est moi: Heute kommt Absolutismus nicht mehr so unverblümt daher. Umso mehr kann er sich einschleichen. PR macht‘s möglich. PR macht, dass wir mit denjenigen blöken, denen es um unsere Entmündigung geht. Geld regiert die Welt, aber nur dank uns Dummen. Man kann es auch umdrehen: Dummheit regiert die Welt, aber nur dank des Geldes. Denn das Wort hat, wer bezahlt. Argumente gehen da unter.
Eine reife Demokratie schwört auf Argumente und ist allergisch gegen Verführung jeder Art. Ein wichtiger Schritt hin zu einer solchen «démocratie à venir» wäre, politische Arbeit endlich besser zu bezahlen. Doch es ist wie ein Kampf gegen Windmühlen: Dass uns beim Wort «Parteienfinanzierung» die Galle hochkommt, verdanken wir nicht zuletzt PR-Leuten und dem, was sie tagtäglich absondern: «Bullshit». (Ich empfehle das gleichnamige Buch von Harry G. Frankfurt zur Lektüre.)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Matthias Bertschinger ist Jurist und Mitglied des Forums für Menschenrechte und Demokratie FMD
Vielen Dank, Matthias Bertschinger – mit Blick aus Südafrika auf die Schweiz spinne ich Ihre Gedanken noch einen Dreh weiter: Für die theoretisch zu zwei Dritteln ihrer Arbeitszeit in der Wirtschaft tätigen Politiker könnte der Zeitdruck plötzlich zu gäbigen Verbindungen führen – Südafrikas Politiker verdienen ihre Millionen (fast) alle in der Privatwirtschaft. Sie wurden nicht alle gewählt, weil sie reich waren; sie wurden obszön reich, weil sie gewählt wurden und heute bei den Gesetzen und deren Ausführung mitbestimmen.Ich will eine Schweiz, die ihre Politiker (und auch die Verwaltung) fair für ihre Arbeit entlöhnt – als Steuerzahlerin und Wählerin will ich Exklusivverträge mit beseelten Experten; kein schwaches Parlament aus Politikern nur aus dem einen Prozent, das den Parteien (oder der einen?) das Feld überlässt.