Kommentar

Wann folgt der nächste Erb?

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Adrian Knoepfli /  In welchem Umfeld konnte sich der Fall Erb ereignen? Und hat man aus dem Milliarden-Konkurs etwas gelernt?

Letzte Woche ging vor dem Bezirksgericht Winterthur der Prozess gegen Rolf Erb zu Ende. Das Urteil wird in einigen Wochen erwartet. Obwohl als sicher gilt, dass es eine Fortsetzung vor der nächsten Instanz gibt, ist es Zeit, ein erstes Fazit zu ziehen. Dabei interessieren mich die juristischen Details des Prozesses nicht besonders.

Verteidigung degradierte Rolf Erb zum reinen Befehlsempfänger

Hierzu nur so viel: Wenn die Staatsanwaltschaft zehn Jahre Gefängnis beantragt, muss sie von der Schwere der Erb’schen Delikte überzeugt sein. Die Höhe des Antrags hat mich ebenso überrascht wie die plumpe Argumentationsschiene der Verteidigung, die alle Schuld auf Erbs Vater abzuschieben versuchte und Rolf Erb zum reinen Befehlsempfänger degradierte.

Erb widerlegte diese Behauptung am letzten Prozesstag teilweise selber, indem er sich brüstete, was er alles geleistet habe. Schon zu Zeiten, als noch alles in Butter schien, gewann man als Beobachter den Eindruck, dass Sohn Rolf und nicht Vater Hugo der grosse Finanz-Jongleur war.

Dass Erb zwar ununterbrochen an der Heiligenlegende seines Vaters bastelt, aber trotzdem ihn jetzt – neben den bösen Expernen – allein verantwortlich macht, ist nach dem Rette-sich-wer-kann-Prinzip verständlich, aber irgendwie unfein. Aber das ist keine juristische, sondern höchstens eine moralische Kategorie.

Hugo Erb begann in branchenfremde Bereiche zu investieren

In welchem Umfeld war der Fall Erb möglich? Der Garagist und Autoimporteur Hugo Erb, in der guten Winterthurer Gesellschaft ein Aussenseiter, begann in den 1980er Jahren die satten Gewinne, die der Autohandel damals abwarf, in branchenfremde Bereiche zu investieren. Unter anderem kaufte er den Küchenbauer Piatti, den Fenster- und Türenproduzenten EgoKiefer und schliesslich 1989 die Kaffeehandelsfirma Volcafé, die der Volkart-Erbe Andreas Reinhart unbedingt loshaben wollte.

Derartige Diversifikationen waren damals durchaus üblich, auch wenn die grossen Konzerne ihre Konglomeratsbildung bereits hinter sich hatten und sie zum Teil wieder rückgängig machten.

Es war die Zeit von Werner K. Rey und Tito Tettamanti

Es war die Zeit, als Werner K. Rey und Tito Tettamanti als Finanzinvestoren die Schweizer Wirtschaft aufzumischen versuchten und den alten FDP-Industrie-Filz aufschreckten. Der Detailhändler Beat Curti baute sich als zweites Bein ein Medienimperium auf. Felix Matthys, aus dem Sand- und Kiesgeschäft kommend, begann Metallbauunternehmen zu kaufen und nach Nigeria zu expandieren. Er war – mit Martin Ebner zusammen – an einem Industrieparkprojekt in der Nähe von Wien beteiligt und realisierte schliesslich, als fanatischer SRG-Gegner und Präsident der Stadtzürcher SVP, den European Business Channel.

Werner Bleiker mit seiner Generalunternehmung Alpha diversifizierte ebenfalls in branchenfremde Bereiche. Begleitet wurde dieser Prozess von Banken, die aggressiv ihre Kreditvolumen zu platzieren versuchten. «Es fehlt zuweilen bei uns die Management-Kapazität», erklärte Werner K. Rey 1988 gegenüber dem «Spiegel». «Geld fehlt am wenigsten.»

Verhängnisvolles Engagement in ostdeutsche Immobilien

Wer von den Aufsteigern im Boom vor allem auf Immobilien gesetzt hatte und weitgehend fremdfinanziert war, überstand die frühen 1990er Jahre in der Regel nicht. Die Erbs machten, in ihrem Grössenwahn, den kapitalen Fehler hingegen erst Mitte des Jahrzehnts, mit dem massiven Engagement in ostdeutsche Immobilien.

Auch hier war Erb nicht allein. 1996 musste zum Beispiel die renommierte Winterthurer Stahlbaufirma Geilinger um Nachlassstundung ersuchen, weil sich ihre neuen deutschen Filialen als Fass ohne Boden entpuppten. Aus der Masse gerettet werden konnte der heute noch bestehende Fenster-und Fassaden-Teil. Auch verschiedene Bau- und Generalunternehmen holten sich in der ex-DDR ihre Blessuren.

Die Ausstrahlung des SF-Dok-Films war unverantwortlich

Wie steht es mit der medialen Begleitmusik? Unverantwortlich war meines Erachtens die Ausstrahlung des SF-Dok-Films von Hansjürg Zumstein am Donnerstag vor dem Prozess. Auf Schritt und Tritt dominierte in diesem Beitrag der Eindruck, dass sich Zumstein das Mitmachen von Erb damit erkauft hatte, dass dieser seine Sicht der Dinge unwidersprochen darlegen durfte.

Und der Filmer konnte mit Erb bedeutungsschwanger durch dessen Schloss Eugensberg wandeln. Für den wenig informierten Zuschauer blieb der Eindruck, dass Erb ausschliesslich das Opfer und der Sanierer Hans Ziegler an allem schuld sei. Dass Ziegler bei dieser Ausgangslage darauf verzichtete, sich zu äussern, ist nachvollziehbar.

Der Film steht für mich für eine ungute Tendenz: Im Zuge der Personalisierung sämtlicher Medieninhalte verzichten Journalistinnen und Journalisten in Konfliktfällen immer häufiger darauf, als distanzierte Beobachter eine Geschichte zu recherchieren und dem Publikum zu vermitteln. Stattdessen ergreifen sie Partei, und oft gewinnt man den Eindruck, da werfe sich ein Journalist nur darum für jemanden in die Bresche, weil alle andern gegen ihn seien. Exklusivität um jeden Preis ist aber ein schlechter Ratgeber.

«Die waren immer so schön angezogen und fuhren grosse Autos»

Lernt man etwas aus Fällen wie dem Erb-Konkurs? Zweifel sind angebracht. Zum Beispiel erstaunt, dass die Gemeinde Vals ernsthaft mit dem Immobilienunternehmer Remo Stoffel – ein 35jähriger «Sohn des Dorfes» – über die Zukunft der dortigen Therme verhandelt. Gegen Stoffel laufen verschiedene Strafuntersuchungen wegen Steuerbetrug und Urkundenfälschung, wobei es bisher zu keiner Verurteilung gekommen ist und damit bekanntlich die Unschuldsvermutung gilt.

Den grossen Sprung machte Stoffel im Frühjahr 2005, als er aus dem Nachlass der SAirGroup (Swissair) die Avireal (Immobilien, Dienstleistungen) kaufte. Erstaunlich auch, wie der Rennverein Zürich auf die grossartigen Investitionsversprechen des Hochstaplers Martin Gloor hereinfiel. Als sie ihren neuen Präsidenten wählten, stellten sich die Pferdesportnarren und die mit ihnen begeisterte NZZ («Für den hiesigen Turf ist das ein Glücksfall”) wohl nicht vor, dass dieser wenige Monate später auf einer Fensterbrüstung verhaftet würde.

Aber wie sagte mir doch einst der Zürcher SVP-Kantonsrat Eugen Kägi, der über die Drogenhändler Reinhard Lutz und Markus Schön stolperte: «Die waren immer so schön angezogen und fuhren grosse Autos.»

Dieser Beitrag erschien im P.S. vom 09.02.2012.


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