Kommentar
Mehr Initiativen bringen nicht mehr Demokratie
Der Beitrag «Volksbegehren zum Profilieren und als Wahlkampf» relativiert den Wert der hohen Zahl: Bei den 29 hängigen Volksinitiativen handelt es sich mindestens zur Hälfte um Nieten. Einige Personen und zuweilen auch Parteien missbrauchen das Initiativrecht, um Lärm zu machen, sich zu profilieren oder im Wahlkampf zu punkten; ihnen geht es mehr um Beachtung als um die Sache. Nach den Wahlen verschwindet ein Teil der Volksbegehren jeweils sang- und klanglos; einige werden mit weniger als einem Zehntel der notwendigen Unterschriften begraben.
Das ist keine Pauschalkritik – und noch weniger ein Aufruf, Volksinitiativen zu erschweren. Denn es gibt viele Leute, die sich ebenso ernsthaft wie selbstlos engagieren, bei Regen und Schnee auf Strassen und Plätzen stehen, andere aufklären, politisch weiterbilden und für ihre Anliegen Mehrheiten suchen. Trotzdem scheitern die meisten Volksinitiativen, sei es in der Abstimmung oder an einem unredlichen Gegenvorschlag. In diesem Land gibt es eben viele kommerzielle Interessengruppen, die einen Haufen Geld investieren können, um Abstimmende zu verwirren und berechtigte Reformen zu verhindern.
Der grösste Hemmnis indes, das dem politischen Gestaltungswillen entgegen wirkt, ist struktureller Natur: Die wirtschaftliche Globalisierung sowie das Diktat des Finanzmarktes begrenzen zunehmend die nationale Selbstbestimmung und drängen die Demokratie in die Defensive. Dagegen helfen keine Initiativen, zumal diese sich einer relativ engen «Einheit der Materie» unterordnen müssen. Um das Primat der demokratisch abgestützten Politik zurück zu gewinnen, braucht es den Aufstand der Demokratinnen und Demokraten gegen alle Zwänge des Wirtschafts- und Finanzsystems.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Es brauche den Aufstand der Demokratinnen und Demokraten gegen alle Zwänge des Wirtschafts- und Finanzsystems, schreibt der Autor. Was er vergisst: ohne Wirtschaf und Banken gäbe es in diesem Land keinen Wohlstand und keinen Sozialstaat. Und auch die Demokratie hätte es schwer. Was Guggenbühl verlangt, ist eine weitere Einschränkung liberaler Prinzipien. Und ich meine hier nicht die Abzocker mit ihren Millionen-Salären – das entspricht nicht gelebtem Liberalismus, denn dieser postuliert auch Verantwortung und Haftung. Aber Etatismus, Reglementierungen, immer mehr Steuern und Gebühren, Bürokratie und die sang- und klanglose Übernahme von EU-Regeln und EU-Recht hebeln Demokratie und Freiheit in der Schweiz weit mehr aus als eine liberale Wirtschaftsordnung.
Ja, es braucht einen Aufstand der Demokratie gegen das Diktat der Märkte. Trotzdem möchte ich Hanspeter Guggenbühl widersprechen: Das Nutzen des Initiativrechts steht nicht im Gegensatz zu dieser notwendigen Demokratiebewegung. Denn diese muss vor allem den Demokratiebegriff den der Neoliberalismus über Jahrezehnte in den Köpfen der Menschen eingepflanzt hat verändern. Heute gilt für allzuviele das Credo: Die Demokratie hat sich nicht in die Wirtschaft und die Märkte einzumischen. Eine Initiative wie die 1:12-Initiative der JUSO aber kann genau dieses Denken aufbrechen und den Menschen wieder zeigen, dass sie das Recht haben, die Wirtschaft Demokratisch zu regeln.