Kommentar
Der Politik dienen, nicht der Wirtschaft
Ob es um Energie, Verkehr oder Umweltschutz geht: In Verfassung und Gesetzen wimmelt es von unerfüllten Zielen. Die Raumplanung etwa dient laut Bundesverfassung «der geordneten Besiedlung des Landes», während in der Realität die Siedlungen ungeordnet ins Land hinaus wuchern. Oder: «Der alpenquerende Gütertransitverkehr erfolgt auf der Schiene.» Doch wenn die Alpeninitiative auf Vollzug des alten Artikels pocht, wird sie vom Zürcher «Tagesanzeiger» begrüsst mit den Worten: «Willkommen in der Steinzeit.» (TA vom 21.12.2011)
Kann und Soll man sich da noch aufregen, wenn das Parlament im jüngsten CO2-Gesetz verschreibt, die Schweiz müsse ihre Treibhausgase bis 2020 allein im Inland um 20 Prozent vermindern, und gleichzeitig zulässt, dass die Umweltministerin energieintensive Betriebe und neue Gaskraftwerke davon ausklammert? Ja, man soll sich wehren – auf die Gefahr hin, als engstirniger Legalist verlacht zu werden. Denn wenn wir Verfassung und Gesetz nicht mehr beim Wort nehmen, können wir die politischen Institutionen gleich abschaffen. Dann ist die Arbeit des Parlamentes als gesetzgebende Behörde keinen Pfifferling mehr wert – geschweige denn die Lohnerhöhung, die sich der Ständerat kurz vor Weihnachten beschert hat.
Regierung und Parlament formulieren in den Gesetzen gerne schöne Ziele – je ferner diese liegen, desto lieber. Doch wenn es um die Mittel geht, die es braucht, um die Gesetze umzusetzen, kneifen sie. Im Konfliktfall haben die Wirtschaft und ihr Wachstum stets Vorrang gegenüber der Umsetzung von Verfassung und Gesetz. Die Unternehmen als Produzenten und die Menschen als Konsumierende stehen den demokratisch gewählten Behörden oft näher als die Bürgergerinnen und Bürger, die sie gewählt haben. Die Politik verkommt damit zum Erfüllungsgehilfen einer expansionsorientierten Wirtschaft. Das ist verständlich, aber falsch. Denn Wirtschaftswachstum ist kein politisches Ziel: In der Bundesverfassung gibt es viele unerfüllte Artikel – aber keinen einzigen, der ein Wachstum der Wirtschaft verlangt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine