Kommentar
Löst die Finanzbranche einen Crash aus wie 1929?
Politiker und Wissenschaftler streiten sich etwas hilflos darüber, wie man in die Finanzmärkte wieder Ruhe bringen kann, und wie die selbst verursachte Banken- und Schuldenkrise bewältigt zu bewältigen ist.
Das birgt Zündstoff. Unvermittelt flackern warnende, ungute Bilder von 1929 auf, als in New York das US-Finanzsystem über Nacht kollabierte und eine weltweit chaotische Kettenreaktion auslöste. Spätere Finanzkrisen wurden manchmal zu Unrecht jenem Ereignis gleichgesetzt, denn was 1929 ablief, war von ganz anderer Tragweite.
Über 9000 US-Banken gingen bankrott
Der Oktober-Crash an der Wall Street (Folge von extremsten Börsenexzessen und einem unverständlichen Defizit an Verantwortung der Finanzwelt) hatte in den USA verheerende Verhältnisse geschaffen. Über 9000 Banken gingen bankrott, die Grossindustrie brach ein, das Land kam aus dem Gleichgewicht. Die Krise schwappte auf den ganzen Erdball über und leitete die grosse Depression der Dreissigerjahre mit Massenarbeitslosigkeit und politischer Instabilität ein.
Dazu einige Schlaglichter: Deutschland (geschwächter Verlierer des 1. Weltkrieges) wurde besonders hart getroffen. Stillstehende Fabriken, nicht funktionierende Geldwirtschaft, über sieben Millionen Arbeitslose, Hunger in Grossstädten, dumpfe Verzweiflung kennzeichneten die Lage. Aus diesem Sumpfboden baute Hitler Nationalsozialismus, Diktatur und Militarisierung auf. 1939 führte er das Land in den Krieg.
Am Ende lag alles in Schutt und Asche
Die abgeschottete UdSSR war von der Krise weniger betroffen. Die wirtschaftliche Anarchie im Westen diente der Kreml-Propaganda als Bestätigung ihrer These vom Untergang des Kapitalismus und von der Überlegenheit des Marxismus. Die Leuchtkraft der UdSSR stieg und Stalin baute seine Schreckensherrschaft aus (die Blockkonfrontation nach 1945 lässt grüssen…). Das hoch industrialisierte Japan wurde vom Westen zurückgebunden (Erschwerung Rohstoffzufuhr, Beschneidung japanischer Exporte). Grosse Arbeitslosigkeit und existentielle Nöte waren die Folge und bewirkten die Übernahme der Macht durch eine Militärkaste. 1941 griff sie die USA an. 1945, am Ende des grössten Krieges der Weltgeschichte, lagen weite Teile der Erde in Schutt und Asche.
Diese geraffte Rückblende zeigt eines auf: Es waren 1929 die Finanzinstitute, die den Börsenkrach zu verantworten hatten. Realwirtschaft und Sozialstrukturen zu Boden rissen, indirekt den Diktatoren den Weg ebneten und dem Kriegsausbruch Vorschub leisteten. Man muss sich fragen, ob es ohne Kollaps an der Wall Street und ohne grosse Depression (sowie ohne schwächliche Politik) überhaupt zum 2. Weltkrieg gekommen wäre?
Die gegenwärtigen Verantwortungsträger dürfen die Lehren jener Epoche nicht vergessen. Bedrohungen von der Finanzseite her tauchen stets wieder in neuem Gewand auf. Diesem Bereich – auch diesem – müsste die Konfliktforschung vermehrt Beachtung schenken.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Autor des Buchs «Es muss einer den Frieden beginnen wie einer den Krieg», 2004, Verlag Herchen + Herchen, Frankfurt am Main.