Kommentar
Sprachlust: Wahlkampfrhetorik im Kutteltest
Es muss ja nicht gleich «Sekte von Debilen» sein, wie es CVP-Präsident Darbellay neulich der SVP an den Kopf warf: Für die anbrechende heisse Phase des Wahlkampfs bieten sich auch subtilere Kampfworte an. Nicht dass die so krass angegriffene SVP selber zimperlich wäre: Aussenpolitisch offenere Gegner verunglimpft sie zum Beispiel gern als «heimatmüde». Aber sie versteht es auch, mit an sich netten Wörtern die gleiche Negativwirkung zu erzielen, angefangen mit den «Linken und Netten».
Dieser Slogan ist längst zum Selbstläufer geworden, trotz seines Fehlstarts – Christoph Blocher rang sich 1993 zum öffentlichen Bedauern durch, dass seine Partei ihr Messerstecher-Inserat just nach dem im Hafturlaub begangenen Mord an einer Pfadiführerin lancierte. Was die SVP damals eben den «Linken und Netten» vorwarf, nennt sie auch gern «Kuscheljustiz» oder bei Bedarf «Kuschelpädagogik».
Kuscheln und hassen
Nun ist Kuscheln ja nicht unbedingt etwas Verwerfliches, nur gehört es kaum in die Justiz. Zumindest in der familiären Pädagogik aber sollte es seinen Platz haben – selbst bei Leuten, die der «salomonischen» Devise huldigen: «Wer sein Kind liebt, züchtigt es». Indem man indessen Andersdenkende, die Kindern Selbstvertrauen oder Straftätern Einsicht einflössen wollen, des Kuschelns zeiht, zwingt man sie in die Defensive. Ähnlich leicht ist es, Einrichtungen des Sozialstaats anzugreifen, indem man sie als «Sozialindustrie» qualifiziert – auch das ein Wort, das sich vor allem im SVP-Vokabular findet. Betrieben wird diese «Industrie» von «Gutmenschen», finanziert durch «Zwangsbesteuerung», als ob es auch freiwillig entrichtete Steuern gäbe.
Wird man angegriffen, gibt es ebenfalls verbale Patentlösungen, um den Spiess umzudrehen – zum Beispiel, indem man aus dem Angreifer einen «Hasser» macht. Abgesehen vom «CVP-Hasser» Pascal Couchepin (in den Worten des damaligen CVP-Präsidenten Adalbert Durrer) sind es wiederum vor allem Gegner der SVP, die sich als «Hasser» tituliert sehen. Das widerfährt ihnen oft in Leserbriefen, aber auch etwa in der TV-Arena – so dem Politikprofessor Georg Kohler, nachdem er SVP-Präsident Toni Brunner die Verwendung von «Worthülsen» vorgeworfen hatte. Als Worthülse oder Leerformel lässt sich fast alles attackieren, was Parteien im Wahlkampf zu bieten pflegen – Debatten sind idealerweise dazu da, die Schlagworte auf Inhalte abzuklopfen.
Aktion und Reaktion
Ob eine bestimmte Äusserung als Kampfwort wirkt, hängt vor allem von der Reaktion des Angegriffenen ab. Suchte im Wilden Westen einer Streit, so liess er eine Bemerkung fallen, die der andere als «fightin› words» verstehen konnte: Tat er dies, so gings los. Ein besonders beliebtes Mittel der Provokation – oder der gespielten Empörung darüber – sind Vergleiche. Bestens funktionierte diese Aktion und Reaktion, als der damalige deutsche Finanzminister Steinbrück in Bezug auf die Schweiz den «Indianern» mit der «Kavallerie» drohte. Oder umgekehrt, als Bundesrätin Leuthard im Fluglärmstreit deutsche «Taliban» geisselte. Mit dem Unterschied, dass sie sich danach entschuldigte.
Neulich wurde SVP-Altmeister Blocher gar mit Kutteln verglichen; da hätte die Partei aufjaulen können, oder aber souverän parieren: schliesslich seien Kutteln ein bodenständiges, bekömmliches Gericht. Weder das eine noch das andere geschah, denn der Vergleich kam aus den eigenen Reihen: Nationalrat Thomas Fuchs erklärte so im Juli den Verzicht darauf, Blocher nochmals für den Bundesrat aufzustellen: «Wir können nicht als Menü Kutteln vorschlagen, obwohl wir wissen, dass die Mehrheit des Parlaments keine Kutteln essen will.» Inzwischen schliesst sein Parteichef Brunner eine neue Kandidatur Blochers nicht mehr aus – vor allem, falls dieser sich in der Zürcher Ständeratswahl als «majorzfähig» erweisen sollte. Man könnte da geradezu von einem Kutteltest reden.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Autor einer regelmässigen Sprachlupe in der Zeitung «Der Bund» und ab 2012 Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel».