Kommentar
Mit Phantasie gegen Hetzplakate
Menschenrechtsaktivisten machen sich zunehmend an «Masseneinwanderung stoppen»-Plakaten zu schaffen. In der Regel wird der Schriftzug verändert: Aus «Masseneinwanderung stoppen» wird «Wandern ist schön» oder «MassenVERBLÖDUNG stoppen». Kleber mit dem Aufdruck «verblödung» kann man auf www.halts-maul.ch bestellen.
Nachteil: Auch nach der Veränderung des Schriftzuges sind SVP-Plakate als solche erkennbar. Dadurch transportieren sie ihre Botschaft weiterhin.
In Schaffhausen haben der Grossstadtrat Andi Kunz und der Lehrer Christoph Schmutz deshalb eine ganz andere Strategie gewählt: Sie haben diese Hetzplakate einfach weiss übermalt. Die Aktion fand am helllichten Tag statt und stiess auf grosses Echo.
Doch solche Aktionen sind rechtswidrig. Die SVP rügt die Verletzung ihres Eigentums und der Meinungsfreiheit. Fehlt es den mit Pinsel und Kleber bewaffneten Aktivisten also an Respekt gegenüber unserem Rechtsstaat und der Demokratie?
Hetze ist nicht Meinung
Die Aktivisten ihrerseits werfen der SVP vor, die Menschenwürde zu verletzen. Hetze habe soviel mit Meinung zu tun wie Schimpfen mit Nachdenken. Meinungen sind Äusserungen im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung. Die Bereitschaft zur geistigen Auseinandersetzung fehle aber gerade, wo gehetzt wird. Meinungsfreiheit dürfe man deshalb nicht als Grund vorschieben, um zu hetzen.
Ausserdem machen Menschenrechtsaktivisten auf eine Verletzung der politischen Rechte aufmerksam. In einer Demokratie sollen alle Menschen und Parteien einen gleichberechtigten Zugang zum politischen Willensbildungsprozess haben. Gleich ist dieser Zugang aber dort nicht mehr, wo ein enormes Ungleichgewicht der Mittel dazu führt, dass sich eine Partei über Gebühr Gehör verschaffen kann. Die SVP verfügt für ihre Plakatkampagnen über Millionen, während andere Politakteure quasi auf dem Trockenen sitzen.
Sowohl Hetzkampagnen wie auch die ungleiche Verteilung der Mittel in der Politik gefährden den Rechtsstaat und die Demokratie.
Noch gefährlicher für den Rechtsstaat wäre hingegen, wenn jeder das Recht in die eigene Hand nimmt. Denn der Staat bezweckt ja gerade, dass sich niemand gegen behauptete Rechtsverletzungen eigenmächtig wehrt. Das Gewaltmonopol beansprucht der Rechtsstaat für sich. Im Gegenzug stellt er Rechtsmittel zur Verfügung, mit welchen man sich gegen die Verletzung von Rechtsgütern wehren kann.
Kaum Rechtsmittel gegen Hetze
Doch es gibt kein Rechtsmittel, um sich gegen die extrem ungerechte Verteilung der Mittel in der Politik zu wehren. Denn die Schweiz hat als einzige moderne Demokratie die Parteienfinanzierung gesetzlich nicht geregelt. Deshalb sei die Demokratie bei uns in hohem Masse käuflich, meinen längst nicht nur Linke. Regeln zur Finanzierung von Parteien und Abstimmungen sind überfällig.
Auch gegen Hetzkampagnen stehen oft keine Rechtsmittel zur Verfügung. Hetze ist zum Beispiel verboten, wenn sie rassistisch ist, wie etwa die Aussage «Kosovaren sind eine Pest». Doch gegen die Aussage «Kosovare schlitzt Schweizer auf» kann man kaum klagen. Um jegliche Hetze zu verbieten, müsste man zuerst definieren, was Hetze ist. Wie schwierig das ist, verdeutlicht folgende Frage: Ist die Aussage «Fertig mit der Umverteilung nach oben durch Bonzen!» bereits Hetze gegen Reiche? Rechtsmittel können also nicht nur deshalb fehlen, weil der Gesetzgeber untätig bleibt, sondern auch, weil es oft unmöglich ist, eine befriedigende Regel aufzustellen.
Kein Rechtsnotstand
Bloss weil ihnen der Rechtsstaat keine Rechtsmittel in die Hand gibt, können sich Aktivisten nicht auf den sogenannten Rechtsnotstand berufen. Der Rechtsnotstand erlaubt eine eigenmächtige Verteidigung wichtiger Rechtsgüter, wo es der Gesetzgeber versäumt oder nicht schafft, solche Rechtsgüter gegen eine schwerwiegende (drohende) Verletzung zu schützen. Schwerwiegend ist eine Verletzung des Rechtsguts «politische Freiheit» zum Beispiel dann, wenn eine Diktatur errichtet würde. Stimmungsmache gegen Ausländer hingegen verletzt das Rechtsgut «Menschenwürde» im juristischen Sinne nicht schwerwiegend.
Aufhetzer sollen Widerspruch in Kauf nehmen müssen
Wer die Menschenrechte schützen will, kann sich wie gezeigt nicht allein auf das Recht verlassen. Vielmehr braucht es unsere aktive Mithilfe – etwa durch phantasievolle Aktionen.
Das ist kein Freipass für illegale Aktionen, zumal auch legale Mittel zur Verfügung stehen. Weil aber Hetzplakate die Menschenverachtung ausdrücken, gegen welche sich Aktivisten wehren, kann es dennoch als legitim erscheinen, auch gegen solche Plakate selbst vorzugehen.
Jedenfalls sollte der Rechtsstaat bei der Strafverfolgung äusserst sensibel reagieren. Denn wenn er Hetze schon nicht verbieten kann, soll er die Aufhetzer nicht auch noch vor Widerspruch schützen.
Aktivisten können sich genauso auf die Meinungsfreiheit berufen wie ihre Gegner. Die Aktionen müssen jedoch stets verhältnismässig bleiben. Falls die Aktivisten Eigentumsrechte verletzen, muss es glaubhaft sein, dass es ihnen um die Meinungsfreiheit geht und sie diese nicht etwa als Vorwand nehmen für ihre Zerstörungswut.
Humorvoll statt destruktiv vorgehen
Verhältnismässig ist ein Eingriff zum Beispiel wohl dann, wenn Aktivisten humorvoll und nicht destruktiv vorgehen. Wenn Aktivisten Humor, Phantasie und Kreativität an den Tag legen, können sie glaubhaft vermitteln, dass sie sich den Werten von Rechtsstaat und Demokratie verpflichtet fühlen, selbst wenn sie sich über gewisse Normen dieses Rechtsstaates hinwegsetzen. Durch phantasievolle Aktionen können Aktivisten wie Kunz und Schmutz für sich in Anspruch nehmen, einen zivilgesellschaftlichen Protest zum Ausdruck zu bringen, und nicht, einfach nur Chaoten zu sein.
Welche Aktionen klug sind, zeigt sich oft erst später
Kaum nachvollziehbar sind solche Güter-Abwägungen für diejenigen, welche nicht verstehen, wogegen sich Kunz und Schmutz mit ihrer Aktion richten: Eben nicht gegen fremdes Eigentum oder die Meinungsvielfalt. Doch auf genau dieser Interpretationsvariante reitet die SVP herum.
Deshalb kann man sich fragen, ob illegale Plakataktionen auch klug sind. Ob eine Aktion klug ist, bemisst sich am Erfolg, und ob dieser eintritt, hängt nicht nur von den Aktivisten selbst ab. Kunz und Schmutz wenden sich mit ihrer Aktion nicht nur gegen die Menschenverachtung, welche auf Hetzplakaten zum Ausdruck kommt, sondern appellieren auch an uns alle, bedenkliche Entwicklungen nicht länger tatenlos hinzunehmen. Ob sie damit erfolgreich sein werden, hängt von uns allen ab.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Mitglied des Forums zur Stärkung der Menschenrechte und der direkten Demokratie