Kommentar

Die Schuldenkrise in Afrika gerät in Vergessenheit

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/  Der im Schuldensumpf strauchelnde Westen kann gegenüber Afrika nicht mehr so hochnäsig auftreten wie früher. Umdenken ist angesagt.

Auf dem Hintergrund der momentanen Schuldenkrise sowohl in Europa als auch in den USA sollten wir einmal 40 Jahre zurückblicken, als wir Selbstgerechten im Westen die Schulden der afrikanischen Länder anprangerten. Dabei waren selbstverständlich auch die Weltbank, der Internationale Währungsfonds IWF und die EU.
Überlegen lächelnd hatten Ökonomen und Politiker des Westens gesagt: «Denen muss man es zeigen! Die sollen sparen lernen!» IWF und Weltbank kamen mit simplizistischen und dümmlichen Vorschlägen daher. Viele Ökonomen waren dogmatischer als je ein Theologe sein wird.
Hans-wie-Heiri-Prinzip
Sie hatten klare Rezepte. Rücksichten auf eine nachkoloniale Phase, auf mangelnde Grundlagen, gab es nicht. Einfach: Was sich für Hans geziemt, passt auch für Heiri. Dieses Hans-wie-Heiri-Prinzip ist als ein Dogma in die Nationalökonomie eingegangen. So, wie eine europäische Nation muss auch eine afrikanische sein, wenn sie denn eine Nation sein will, hiess es. Dasselbe ist auf Demokratie übertragbar.
Einspurig und monoman
An historische Hintergründe und Verhältnisse haben diese Nadelstreifen-Experten nie gedacht, denn sie waren alle einspurig und monoman, monokausal und ahistorisch geschult. Über eine post-koloniale Phase, und was diese alles einschloss und bedeutete, dachten sie nie nach. Wer es wagte, wie etwa Dritt-Welt-Gruppen, ein paar Anmerkungen zu machen, kam in Verdacht, östlich oder marxistisch, sogar kommunistisch beeinflusst zu sein.
65 Rappen in der Staatskasse
Wer wusste denn schon, dass Guinea-Bissau nach Abzug der portugiesischen Kolonialisten umgerechnet 65 Rappen in der Staatskasse hatte? Zudem haben ihnen die Portugiesen einen Berg von Schulden hinterlassen. Das nannte man Übergang zur Unabhängigkeit, the transition period und dann «Entlassung» in die Unabhängigkeit.
Mutwillige Zerstörung
Schäbiger noch betrieben es die Franzosen. Kurz vor der Unabhängigkeit ihrer afrikanischen Kolonien zogen sie alles, was nicht niet- und nagelfest war, ab. Sogar Eisenbahnschwellen und Schienen haben sie «heim» transportiert. Bei Ankündigung der kommenden Unabhängigkeit haben sie von einem Tag auf den anderen sogar Schreibtische aus Offices gesichert und behauptet, das alles gehöre Frankreich. Viele Franzosen in den Kolonien konnten die Unabhängigkeit kaum schlucken und zerstörten mutwillig Teile der Infrastruktur.
Etwas besser kamen Senegal und Elfenbeinküste weg, denn ihre Führer waren brave Gallier geworden und sassen in Paris im Parlament. Ja, auf einen Houphouet-Boigny und einen Senghor waren die Franzosen stolz und benutzten sie als Vorzeigegestalten.
Briten waren rücksichtsvoller
Etwas rücksichtsvoller verhielten sich die Briten mit ihrem Abzug aus den Kolonien. Sie hatten keine Rachegedanken wie die Franzosen. Sie wussten, dass in diesen neuen Staaten zukünftige Chancen lagen. Im Gegensatz zu den Franzosen hatten sie die Grundlagen zu drei einzigartigen Universitäten gelegt: Ibadan in Nigeria, Legon in Ghana und Makerere in Uganda. So gab es bereits zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit mehrere Intellektuelle und eine Mittelklasse.
Kongo ohne Ökonomen und Ärzte
Ganz im Gegensatz etwa zur belgischen Kolonie Kongo. Bei der «Entlassung» in die Unabhängigkeit gab es im ganzen, riesigen Kongo nur fünf (!) Männer mit einem säkularen Universitäts-Abschluss. Sie hatten in Philosophie in Brüssel oder Löwen abgeschlossen. Die restlichen paar Akademiker im Kongo waren Priester. Es gab keinen Ökonomen, keinen Soziologen, keinen Politologen und keinen Arzt.
Keine Chancen gegen Dumping-Importe
Nach dieser armseligen Lage bei der Unabhängigkeit anfangs der Sechzigerjahre begann der Westen von nation-building, also dem Aufbau einer Nation, und von einer freien Wirtschaft zu reden.
Doch mit offenen Grenzen liess sich nichts aufbauen. Beispiel Landwirtschaft: «Dank» des Freihandels kamen vom Westen subventionierte Überschussprodukte zu Dumpingpreisen ins Land. Einheimische kleinere und mittlere Bauern erhielten keine Subventionen, hatten deshalb gegen diese Importprodukte keine Chance und viele haben sich hoffnungslos verschuldet.
Auch an die Entwicklung einer einheimischen Verarbeitungswirtschaft konnte bei Freihandel so kurz nach dem ausbeuterischen Kolonialismus nicht gedacht werden. Alles war immer zu teuer, weil von aussen billige Produkte eingeschleust wurden. Dazu kommt: Verarbeitete Produkte konnten die Staaten Afrikas nur schwer exportieren, da sich die Industriestaaten lange mit hohen Zöllen geschützt haben. Noch heute werden afrikanischen Exporten Hindernisse in den Weg gelegt.
«Entwicklungshilfe» für Multinationale
IWF und Weltbank hatten ein einziges, heuchlerisches Rezept: Die Grenzen für alles öffnen, alles privatisieren, alles liberalisieren, Abbau von Beamten. Das Resultat war eine Massenarbeitslosigkeit, weil im Land keine Industrie existierte und kein Geld zum Investieren vorhanden war.
Und was Weltbank und IWF an Entwicklungshilfe sprachen, waren im Wesentlichen nichts Anderes als Subventionen für multinationale Firmen. Diese bauten etwa in Nigeria ein Stahlwerk, das – vertraglich festgelegt – lokale Rohstoffe benutzen sollte, aber in Wahrheit vom Erz bis Kalk alles importierte.
Anpassung an das Recht des Stärkeren
Angesichts dieser Vorgänge und Zustände ist es ein Hohn, von Entschuldung auch nur sprechen zu wollen. Dennoch entwickelten Weltbank und IWF für ein westafrikanisches Land nach dem anderen ein «Strukturanpassungsprogramm» (SAP). Es bedeutete letztlich nichts anderes als eine Anpassung – nicht an afrikanische Verhältnisse (wer schon hatte eine Ahnung von Afrika?) –, sondern an eine globale Wirtschaft. Dort herrscht das Recht des Stärkeren.
Rückbesinnung auf eine «Volkswirtschaft»
Die letzten Wochen haben gezeigt, wie komplex eine Schuldenkrise in Europa und den USA ist, und wie die bisherigen ökonomischen Rezepte versagen.
Dies gilt erst recht für Länder in Afrika. Sture Prinzipien ohne Rücksichten auf die lokalen Verhältnisse und auf die Geschichte lösen keine Probleme, erst recht nicht Fragen der Überschuldung. Keine Institutionen, auch nicht IWF und Weltbank, werden die Schulden allein beseitigen können.
Es braucht neue, angepasste Spielregeln, eine Rückbesinnung auf das, was eine «Volkswirtschaft» eigentlich sein soll.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Langjähriger Afrikakenner und Vermittler afrikanischer Kultur und Literatur.

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