Kommentar

Nötige Umweltbelastungen und andere Abwechslungen

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsMitglied des Clubs der Autofreien der Schweiz, des Verkehrsclubs der Schweiz, des Vereins für soziale Gerechtigkeit ©

Jürgmeier /  Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger mit Auto belasten unnötig die Umwelt, sagt die Mehrheit des Zürcher Kantonsrats.

In den nächsten Wochen werden sie wieder zu Hunderttausenden durch unerschlossene Wüsten oder unverbauten Küsten entlang brausen und die Sonne ihre Haut röten lassen. Präzis zum Sommeranfang hat sich der Zürcher Kantonsrat mit einer – vor allem auch für unsere Nachgeborenen – existentiellen Frage beschäftigt: Wann ist eine Umweltbelastung nötig? Wann nicht?

Die Millionen haben keine Wahl – sie sind auf das Auto angewiesen, die lauschigsten Buchten sowie die Bungalows mit dem unverstelltesten Blick aufs Meer sind mit dem Zug beim besten Willen nicht zu erreichen, und der Bus fährt, wenn überhaupt, höchstens zwei Mal im Tag zu den romantischsten Plätzen, welche die Welt zu bieten hat. Das ist einem modernen Menschen – der, weil er sich im Stadtverkehr nicht aufs Rad traut, auch schon mal mit dem grossen Familienwagen aus der City fährt, um dort das Bike aus dem Kofferraum zu hieven und sich in der frischen Waldluft gesundzustrampeln – nicht zumutbar.

Die Zürcher Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben mit knappem Mehr, aber gezielt pauschal entschieden: «Sozialhilfeempfänger benötigen kein eigenes Auto, sie belasten damit unnötig die Umwelt und können ihre Aufgaben auch mit dem öffentlichen Verkehr erledigen.» (Aus der Postulatsbegründung, «Tages-Anzeiger», 21. Juni 2011) Und jeden Winkel der Erde brauchen sie ja nicht zu erobern, die Natur soll auch noch irgendwo Natur bleiben; aber sie können jederzeit mit Tram oder Bus an Katzen- oder Zürichsee fahren, was von MillionärInnen nun wirklich nicht verlangt werden kann, die sehen die blaue Banane jeden Morgen vom Bett aus, wenn der Wecker singt.

Aber auch VillenbesitzerInnen und solche, die es zu werden hoffen, brauchen Abwechslung im Leben; deshalb setzen sie sich manchmal, nur mit dem Nötigsten ausgerüstet, in eine abgelegene Alphütte ab, ohne Elektrisch und Wasserklosett, wo sie zur Erholung Holz hacken und Geissen melken, oder sie übernachten im Biwacksack unter dem gottverlassenen Himmel, nachdem sie ihren Hunger mit gegrillten Ratten gestillt haben. Aber natürlich brauchen sie auf dem Weg in ein Leben, als wären sie SozialhilfeempfängerInnen, ihre Karosse – schon um nicht durch den Anblick der Habenichtse im ÖV in moralische Depressionen gestürzt zu werden und weil sie die Axt im Postauto nicht einfach so auf den Nebensitz legen können. Da hätten es die working poor bedeutend einfacher, sie führen mit nichts ins Paradies für Ferienkönige und kämen ohne etwas zurück. Das geht auch locker mit dem Tram.

Der Zürcher Kantonsrat hat die Frage nach der (un)nötigen Umweltbelastung nicht wirklich beantwortet. Ist es die Autofahrt einer wohlhabenden Dame ins St. Moritzer Palace, einer Zürcherin in den wie immer besten Jahren, die es nicht schafft, all ihre Koffer zum Bahnhof zu schleppen, sich aber kein Taxi zur Gepäckaufgabe leisten will? Oder der Ausflug eines vollschlanken Sozialhilfeempfängers, der seine Essensgutscheine im günstigsten Einkaufscenter der Region einlösen will, und das, weil er sich nur noch mühsam auf den Beinen zu halten vermag, mit dem eigenen Wagen? Der soll doch weniger essen, mögen sich einige sagen und «fressen» denken, dann ist er bald wieder beweglicher. Aber Obacht, am Ende wird der, Bewegung ist gesund, noch richtig alt, und das käme die Steuerzahlenden einiges teurer als seine Occasionskiste.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Mitglied des Clubs der Autofreien der Schweiz, des Verkehrsclubs der Schweiz, des Vereins für soziale Gerechtigkeit und anderer ähnlicher Organisationen

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