Kommentar
Die "too-big-to-fail"-Debatte ist einäugig
Die öffentliche Diskussion dreht sich, vor allem seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008, fast ausschliesslich um das Verhältnis von Wirtschaft und Staat. Um die Partikularinteressen einzelner Firmen vergessen zu machen, wird das Wort «Wirtschaft» dabei oft durch das Wort «Markt» ersetzt. Das tönt besser. Der Markt ist, so wird vorgegeben, etwas Gegebenes, Unveränderliches. Und meist wird dann auch noch mit dem Wort «liberal» hantiert. Liberal ist, wer an die Selbstregulierung des Marktes glaubt und den Staat zum Teufel wünscht. Alle anders Denkenden sind aus dieser Sicht «sozialistisch» und/oder «linke Umverteiler».
Diese Darstellung der öffentlichen politischen Diskussion scheint etwas zu einfach zu sein. So dumm seien unsere Politiker und Politikerinnen, unsere Journalistinnen und Journalisten dann doch nicht, mag man einwenden. Doch bitte: «Liberale wollen einen schlanken Staat; Soziale fordern das Gegenteil. Liberale plädieren für Eigenverantwortung; Soziale für staatliche Vollkasko.» Der diesen Satz schrieb ist kein Geringerer als René Zeller, seines Zeichens Chef der Inlandredaktion der NZZ (siehe NZZonline, 16.6.2011). – So einfach ist also die Welt, selbst in der Redaktion der NZZ!
Von den Eingriffen des Staates in die Wirtschaft…
Die ganze Diskussion zwischen den Politikern jedwelcher Couleur, zwischen den Parteien von links und rechts, zwischen den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmer-Verbänden, zwischen wem auch immer, dreht sich fast ausschliesslich um die Frage: Wie weit darf oder soll der Staat in die (freie) Wirtschaft eingreifen. Und selbst diese Diskussion findet im Moment fast nur im Rahmen der «too big to fail»-Debatte um die zwei Schweizer Grossbanken UBS und CS statt. Aber diese Diskussion greift klar zu kurz. Es geht nicht nur darum, wie weit der Staat in die Wirtschaft eingreifen darf.
… zu den Eingriffen der Konzerne in den Staat
Es muss endlich ein anderes Thema auf den Tisch. Die einzelnen Länder sind längst in die Abhängigkeit der Grosskonzerne geraten. Das beweisen die zahlreichen Rettungspakete in vielen Staaten. Umgekehrt sind staatliche Regulierungen oft wirkungslos, weil die Grosskonzerne international operieren und jederzeit ausweichen können. Die Grosskonzerne bestimmen recht eigentlich die heutige Politik. Die Demokratie, die Herrschaft des Volkes, wird mehr und mehr zur Farce.
Erst da und dort meldet sich – noch immer etwas verstohlen – ein Politologe oder ein Wirtschaftswissenschafter, der es wagt, die internationale Diktatur des Neoliberalismus in Frage zu stellen. Zu ihnen gehört der Politikwissenschafter Colin Crouch, Professor für «Governance and Public Management» an der University of Warwick UK. Obwohl er sich mit dem Buch «Postdemokratie» (Bonn, 2008) auch im deutschsprachigen Raum zu Wort gemeldet hat, ist er noch viel zu wenig bekannt. Es ist einmal mehr der deutschen Zeitschrift «Die Gazette» vorbehalten, ihn zu Wort kommen zu lassen. Ausserdem erscheint im September ein neues Buch von ihm, in dem er sich mit den Demokratie-zerstörenden Auswirkungen des Neoliberalismus auseinandersetzt.
Zum Lesen und zur Weiterempfehlung
Colin Crouch’s Artikel in «Die Gazette», Ausgabe 30, findet man unten als PDF zum Downloaden. Da die Kiosk AG den Vertrieb der «Gazette» in der Schweiz mangels ausreichender Rendite eingestellt hat und auch grosse Buchhandlungen wie etwa Orell Füssli am Zürcher Bellevueplatz einen Verkauf dieser Zeitschrift mit der gleichen Begründung ablehnen, können einzelne Exemplare davon ausschliesslich über den Verlag in München bezogen werden: www.gazette.de – Dass «Die Gazette» im billigen Bazar der deutschsprachigen Magazine ein Juwel ist, interessiert die Manager der monopolistisch organisierten Pressedistribution nicht. Wundert es jemanden?
Bei dieser Gelegenheit sei auch wieder auf Peter Hablützels Buch «Die Banken und ihre Schweiz» verwiesen. Zürich 2010. Lesenswert!
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Wenn Grosskonzerne die Politik bestimmen, dann versteckt man das hinter dem Wort «Sachzwänge» oder hinter der Drohung mit dem «internationalen Wettbewerb» bzw. dem Nachteil in demselben.
Wenn ich bei der UBS als Marketingleiter tätig wäre, würde ich diese staatlichen Anforderungen als Marketinginstrument benutzen. Und die UBS mit Erfüllung dieser Anforderungen als weltweit finanziell stärkste Bank positionieren. Staat ständig zu drohen man zieht ins Ausland. Von mir dürfen Sie gehen, da die britische Regierung (Börseplatz:London) ebenfalls strengere Gesetze am Ausarbeiten ist. USA wegen diverser Prozesse nicht in Frage kommt, jedoch auch hier laufen Bestrebungen die Gesetze zu verscherfen. Und Hong-Kong, hier werden die Chinesen in ein Paar Jahren das Zepter übernehmen.
Wenn man weiss, dass die grösste NL-Bank ABN-AMRO Bank von Santander (E), Royalbank of Scotland (GB) und Fortis (B) gekauft worden ist und wegen Überverschuldung dieser drei Banken voll unter Staatsschutz stehen. Die UBS soll aufhören zu jammern, sich mal ihre Situation stellen und fortwärts marchieren. Damit die (jetzigen) Aktionäre wieder Freude an Ihre UBS Investitionen mit Dividenden haben können. Wie immer für die Zukunft es kann nur besser gehen (meistens nur anders). Die Frage ist: Für wen!