Kommentar
Unappetitlich! Und auch zunehmend gefährlich!
Am 18.6.2010 reichte Nationalrat Thomas Müller, SVP St. Gallen, eine Motion ein, wonach die Gebühren für die SRG nicht erhöht werden dürften. Jetzt, am 6.6.2012, wurde darüber abgestimmt. Thomas Müller argumentierte mit dem Schlagwort der Marktverzerrung, die SRG werde gegenüber den privaten Medien privilegiert. Doris Leuthard, die für die Medien zuständige Bundesrätin, machte dagegen einmal mehr darauf aufmerksam, dass 40 Prozent der Gebühren für die Aufrechterhaltung der Mehrsprachigkeit der Programme in der Schweiz verwendet würden, was als Service Public politisch eminent wichtig sei. Die Abstimmung zeitigte ein äusserst knappes Resultat. Mit nur gerade 82 gegen 81 Stimmen wurde die Motion von Thomas Müller abgelehnt, ein deutlicher Hinweis darauf, dass die privaten Medien mit ihrem SRG-Bashing schon einigen Erfolg aufweisen können.
Es ist Zeit, sich für eine unabhängige SRG zu wehren
Das knappe Abstimmungsresultat macht deutlich, dass die Zeit gekommen ist, da auch die Öffentlichkeit für «ihren» Sender kämpfen muss. Es geht ja nicht nur um mehr oder weniger gute Unterhaltungssendungen am Fernsehen. Und es geht auch nicht nur um steigende oder sinkende Zuschauer- und Hörer-Zahlen. Es geht zum Beispiel auch um das Radio, etwa um das «Echo der Zeit», eine in jeder Hinsicht hervorragende Informationssendung, und um viele gute DRS2-Sendungen, zu denen bei den privaten Medien kein Äquivalent zu finden ist.
Schon im Mai 2011 machte Infosperber darauf aufmerksam, dass einzelne SVP-Politiker gezielt die SRG zu demontieren versuchen.
Hier der Originaltext vom 28.5.2011:
Kompliment an die Adresse der Aargauer Zeitung AZ: Obwohl Peter Wanners Medienkonzern AZ Medien Gruppe auch über zwei Privatradios verfügt und damit an einer starken SRG nicht besonders interessiert ist, publizierte am 17. Mai die AZ einen informativen Artikel über den weiteren Vorstoss der SVP-Nationalrätin Natalie Rickli zur Demontage der SRG: Sie verlangt in einer Petition an Bundesrat und Parlament, dass die Radio- und Fernsehgebühren von derzeit 462 auf 200 Franken pro Jahr, also auf weniger als die Hälfte, gesenkt werden.
Von Ricklis 62 Vorstössen im Parlament, so die AZ, seien bisher gut ein Drittel gegen die SRG oder deren Gebühreneintreiber Billag gerichtet gewesen. Dabei müsse man wissen, dass die Nationalrätin selber in der Geschäftsleitung der Goldbach Media sitze, also ausgerechnet jener 100-Millionen-Franken-Umsatz-Firma, die mithilft, über Werbeminutenverkauf für ausländische TV-Fenster die SRG-Konkurrenz aus dem Ausland zu stärken. Oder etwas pointierter ausgedrückt: dass die Nationalrätin also GL-Mitglied ausgerechnet jener Firma ist, die umso attraktivere und höherpreisige Werbefenster ausländischer TV-Programme verkaufen kann, je schwächer im Markt die SRG ist.
Der neuste Vorstoss der SVP-Nationalrätin ist unappetitlich und politisch bedenklich zugleich.
Unappetitlich in zweierlei Hinsicht: Ausgerechnet eine SVP-Nationalrätin, deren Partei ihre Abstimmungserfolge fast ausschliesslich über die Verunglimpfung von Ausländern jeder Art erreicht, versucht eine urschweizerische, qualitativ hochstehende und sehr erfolgreiche Institution zu demontieren – zugunsten ausländischer Konkurrenz. Und – zweitens – dies vor allem dem Mammon des eigenen Arbeitgebers zuliebe.
Politisch bedenklich: Die Medienleute und auch die aufmerksamen Beobachter der politischen Landschaft wissen, dass die Einführung der Privatradios in der Schweiz, denen man im Vorfeld eine politisch relevante Erweiterung der Medienvielfalt zugeschrieben hatte, ausgerechnet in diesem Punkt absolut nichts gebracht haben. Die privaten Radio-Stationen bringen Musik und seichte Unterhaltung, seichte Unterhaltung und Musik. Die politische Information in der Welt der Privatradios ist kaum mehr als ein kleines Feigenblatt zur Erlangung der erforderlichen Sendelizenz. Die SRG dagegen nimmt ihre politische Verantwortung voll und ganz wahr. Sie auf dem Weg über die Kürzung der zur Verfügung stehenden Mittel zu demontieren, kann keinen anderen Zweck haben, als unsere Gesellschaft weiter zu entpolitisieren und für populistische Pauschal-Thesen, wie die Verunglimpfung der Ausländer eine ist, noch empfänglicher zu machen.
Die Demontage der SRG wäre auf jeden Fall ein guter Grund, auch in der Schweiz einmal richtig auf die Strasse zu gehen!
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor war Anfang der 90er Jahre Verwaltungsratspräsident von Radio Förderband und von 2005 bis 2010 Verwaltungsratspräsident von Radio 32.
Bei der Zulassung von privaten Sendern wurden wir damals belehrt, die Privatwirtschaft leiste die Arbeit besser und erst noch gratis. Von Gebühren für Privatsender war damals keine Rede!
Nun wissen wir mehr, die «seichte Unterhaltung» kostet uns stattlich Gebühren! Das geschmähte Staatsradio und Staats-TV macht schon längst Zugeständnisse an den «Volksgeschmack", der Leistungsauftrag, kann leider nur noch sehr knapp erfüllt werden.
Wie lange noch können wir uns über Qualitäst-Sendungen wie Echo der Zeit und Kontex erfreuen.
Privatisierung bis zum «geht-nicht-mehr", wie die Wasserversorgung in London, Tarif steigt – Qualität sinkt.
Dabei fällt auf, dass diejenigen, welche den Staat schlecht machen am meisten Geld vom Staat kassieren. Volksvertreterinnen? Wen vertreten sie? – wen zertreten sie?
Danke für diesen informativen Beitrag. Mir war dieser Zusammenhang durchaus nicht klar – was man da liest, wundert mich nicht mehr so sehr, denn wer sich -selbstdenkend und interessiert- etwas mit den Machenschaften der Schweizer Politik und vorallem der Justiz befasst, kann nur zu einem Schluss kommen: wir haben längst kein faires, möglichst objektives und gesundes Justizsystem mehr, sind tatsächlich weit davon entfernt. Hauptsache jedoch: die Fassade stimmt und bleibt sauber und unbefleckt… Marion Mansour
Eines der Gründe war aber auch die Meinungsvielfalt zu fördern und die Regionen zu stärken. Die Einführung von Privatem Radio und TV war und ist immer noch richtig! Das duale System hat sich in der Schweiz nicht durchgesetzt. Dass es viel Geld braucht um ein einigermassen gutes TV-Programm zu betreiben, ist kein Geheimnis.
Wer möchte wieder zurück in die dunklen TV-DRS-Zeiten als der ORF der beste Schweizer Sender war? Ich nicht!
Egal was Natalie Rickli für eine Position vertritt, wo bleibt der aufrechte Journalist der die klassischen Worte in die Tastatur nimmt und sagt: Ich teile zwar nicht die Meinung von NR jedoch trete ich dafür ein, dass sie sagt was sie denkt. Über die Methoden darf man immer streiten. Niemals über die Meinungsfreiheit.
@Tek Berhe
Leider wurde die Meinungsvielfalt eben nicht gefördert. Alles nähert sich einem Einheitsbrei, der aber auf unnötig vielen Kanälen läuft.
Auf Ihre konrete Frage, wer zurück möchte: ich.
Zurück zur Qualität als es noch eine Radio-Universität auf DRS 2 gab.