Kommentar
Wenn sich Journalisten als Verleger betätigen
Professionell, gewiss, aber nicht gerade umwerfend: Das neue Medien-Magazin EDITO-KLARTEXT, das dieser Tage im Briefkasten lag, mag (noch) nicht zu überzeugen. Zu brav, zu wenig hintergründig, und, mit Verlaub, auch nicht wirklich originell – «originell» im Sinn von «auf eigenen Ideen basierend», wohlverstanden.
Wer viel mit Redaktoren und/oder Journalistinnen zu tun hat, kennt das Phänomen: Der Titel, für den sie arbeiten, wäre viel erfolgreicher, wenn doch nur der Verlag bessere Arbeit leistete, argumentieren sie. Selbst die Meinung, die Verlage müssten nur das (grosse) Marketing-Budget dem (zu kleinen) Redaktionsbudget zuteilen, dann wäre der Erfolg garantiert, ist zu hören. So interessiert es natürlich, was herauskommt, wenn die Journalisten und Journalistinnen wirklich selber einen Titel verantworten.
Der Schweizer Journalist: Erfolg mit klarem Konzept
Als vor fünf Jahren der «Schweizer Journalist» auf den Markt kam, musste manch einer leer schlucken: Da versuchte doch ein österreichischer Kleinverlag, die Schweizer Medien-Insider-Szene zu erobern. Das ist doch unmöglich, dachte man. Aber der clevere Verleger, Johann Oberauer, genannt Hans, war eben ein Verleger, und zwar keiner aus Verlegenheit. Sein Magazin eroberte die Redaktions-Büros und PR-Agenturen im Schnellzugstempo. Mit einem ganz einfachen, klar kommerziell ausgerichteten Konzept, basierend auf drei Punkten: 1. Ranking, Ranking, Ranking. 2. Jahrmarkt der Eitelkeiten. 3. Ein Chefredaktor, der intelligent und fleissig ist. Schweizer musste der Chefredaktor des «Schweizer Journalist» zum Beispiel überhaupt nicht sein.
Zum Ranking: Ranking gehört zu den meisttabuisierten Themen dieser Welt. Nicht zuletzt bei den Journalisten. Denn auch sie fahren voll darauf ab. Ranking ist die Ursache der totalen Verkommerzialisierung des Sports. «Mitmachen ist wichtiger als Siegen» ist out. Man muss die Nummer 1 sein oder mindestens die Nummer 3, dann sprudeln die Millionen in allen Währungen. Mit gnädiger Unterstützung der Medien – und also der Journalistinnen und Journalisten, natürlich. Ranking in der Kultur ist die Ursache, warum vielgekaufte Bücher noch mehr verkauft werden, warum vielgehörte Musik noch öfter zu hören ist. Ranking im People-Bereich: Die schönste Schweizerin ist den Model-Millionen schon einen grossen Schritt näher. Ranking ist zum Ziel aller Ziele im Business geworden: Der grösste Marktanteil, der grösste Gewinn, das grösste Gehalt. Ranking ist mit eine Ursache, warum die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht. – Und da kommt doch der Hans aus Österreich und sagt den Schweizer Journis, wer unter ihnen die Nr. 1 ist. Und den Schweizer Verlegern, wer unter ihnen die Nr. 1 ist. Und den Schweizer PR-Fritzen, wer unter ihnen die Nr. 1 ist. Und Hans hat Erfolg. Erstaunt?
Zum Jahrmarkt der Eitelkeiten: Ja, es stimmt, auch ich hatte als Chefredaktor meinen Redaktorinnen und Redaktoren gesagt: «Names are money». Wer seinen eigenen Namen in der Zeitung sieht, ist schon mal stolz. Ich bin wer! Er bleibt Abonnent oder Inserent, auf Jahre hinaus. Nun kommt Hans aus Österreich und macht das zum Konzept: Namen und kleine Konterfeis, zu Dutzenden, zu Hunderten. In einem Journi- und PR-Insiderheftchen! Wer nimmt, wenn der Schweizer Journalist angeliefert wird, das Hochglanz-Magazin nicht sofort zur Hand, um zu sehen, ob es nicht vielleicht doch zu einer kurzen Erwähnung, zu einem kleinen Bildchen gereicht hat?
Zum Chefredaktor: Natürlich, auch der Chefredaktor musste ok sein. Und das ist er. Aus ein paar Gerüchten werden Prognosen, aus ein paar beobachteten Tendenzen intelligente Analysen. Kompliment, Markus Wiegand!
Und was machte der KLARTEXT?
Der KLARTEXT mauserte sich vom Produktions-Low-Cost-Schwarz-Weiss-Blau-Heftchen im A4-Format zum A4-überformatigen Vierfarb-Heftchen (22cm breit statt nur 21cm). Man musste ja immerhin mithalten. (Insider wissen, dass schon 1989 ein totaler Relaunch des KLARTEXT angesagt und vorbereitet war, dann aber von Rudolf Matter, dem heutigen Direktor für Radio und Fernsehen in der Deutschschweiz, abgeblasen wurde. Als KLARTEXT-Stiftungsrats-Verantwortlicher könne er diese Investition nicht verantworten, sagte er – um sich dann vor allem um die eigene Karriere zu kümmern.)
(Noch) verpasste Chancen
Vergleicht man nun die letzte Ausgabe von KLARTEXT mit der ersten Ausgabe von EDITO-KLARTEXT, so ist man halt doch leicht enttäuscht:
Das Titelbild: In beiden Heften ein Verleger aus dem kleinen Kreis des Verleger-Verband-Vorstandes. Im KLARTEXT Norbert Neininger, der «auch für Tele-Blocher verantwortlich» ist. Ein nettes Foto eines netten Mannes. In EDITO-KLARTEXT NZZ-CEO Stäheli in einer Pose, die zumindest körpersprachlich aussagekräftig ist. Der neue starke Mann an der Falken-Strasse versteckt seine rechte (rationale) Hand unter dem Pult und zeigt seine linke (emotionale) Hand mit seinem stramm-stehenden Ich-bin-der Stärkste-Finger. Ja, Ihr müsst es fühlen: Ich werde mich durchsetzen! Die dazugehörende Schlagzeile allerdings – Die NZZ wird keine Geldmaschine – zeigt nicht einmal Anführungszeichen. Glaubt EDITO-KLARTEXT denn wirklich, dass es Polo um etwas Anderes geht, als ums Geld?
Und im Innern: Nichts wirklich Neues. Ein professionelles Layout, ohne Überraschung. Zwei Artikel zum Thema Bild-Journalismus, aber zum Beispiel auf Seite 11 ein Symbolbild, das nichtssagender nicht sein könnte. Langweilige, nichtssagende Bildlegenden. Und die Coverstory – leider – zu brav: Was sagt denn der CEO der NZZ dazu, dass die Aktien der NZZ zwar «leichter» gemacht wurden (man kann jetzt schon mit 9000 Franken NZZ-Aktionär werden, nicht erst mit 90’000), dass aber die Vinkulierung der Aktien mit der Beschränkung auf «Freisinnige» beibehalten wurde? Bösartige Vermutung: Wahrscheinlich wissen die wenigsten Journis, was vinkulierte Aktien sind. Warum sollte es sie denn interessieren?
Dafür ein Artikel zu Moritz Suter in Basel und dass man nicht weiss, woher er sein Geld hat. Und daneben ein Kommentar zur angekündigten neuen Publikation in Basel, in dem der Satz steht: «Erstmals in der Schweiz wird eine Zeitung durch eine Stiftung getragen.» Dass vor ein paar Monaten ein Schweizer Journalist, Urs P. Gasche, eine gemeinnützige Stiftung ins Leben gerufen und mit einer sechsstelligen Franken-Summe ausstaffiert hat, um die unabhängige Info-Plattform www.infosperber.ch zu starten, das ist EDITO-KLARTEXT dagegen keine Zeile wert.
Gut abgekupfert ist auch gut
Der Fortschritt der Welt basiert auf dem Kopieren guter Ideen. Eine alte Weisheit. Wenigstens von dieser Weisheit haben sich die EDITO-KLARTEXT-Macher unter fachkundiger Beihilfe der Firma bachmannmedien in Basel, die auch das neue Basler Anti-BaZ-Projekt betreut, beflügeln lassen: Dem EDITO-KLARTEXT liegt ein 16seitiges Supplement bei: werkstatt journalismus – diesmal im genauen A4-Format (nur 21cm breit) und auf 60g-Papier. Das Hochglanz-Magazin «Schweizer Journalist» des österreichischen Verlegers Johann Oberauer kennt eine solche Beilage schon seit Jahren. Nur heisst sie dort nicht «werkstatt journalismus», sondern Journalisten-Werkstatt, und sie kommt nicht auf 60g-Papier, sondern auf 90g-Papier daher…
Ja, die EDITO-KLARTEXT-Macher müssen sich schon noch etwas Eigenes einfallen lassen, wollen sie wirklich zum «grössten Medienmagazin der Schweiz» werden, wie es im Editorial heisst. Allein mit der Fusion von EDITO und KLARTEXT ist es noch nicht getan.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Schreibende gehört zu den Fossilen der Schweizer Printmedien. Er arbeitete als Journalist, Redaktor und Chefredaktor, später als Verlagsmanager und als CEO von Medien-Unternehmen. Er ist in Pension und unabhängig.
Es ist immer eine Freude, wenn das eigene Schaffen wahrgenommen wird (Stichwort: Jahrmarkt der Eitelkeiten), deshalb erstmal Dankeschön, Christian Müller, für die Wahrnehmung der ersten „EDITO+KLARTEXT“-Nummer.
Die Freude der Leserin wird ein bisschen kleiner, wenn sich herausstellt, dass sich der entsprechende Artikel zu mehr als einem Drittel um den Konkurrenten „Schweizer Journalist“ dreht, der mitsamt seinen Rankings und Eitelkeits-Jahrmärkten sehr gelobt wird.
Noch etwas mehr schrumpft die Freude der Leserin, wenn sie Kritikpunkte wie „zu brav, zu wenig hintergründig, und, mit Verlaub, auch nicht wirklich originell“ liest. Aber, sagt sie sich, die Gedanken sind frei, die Meinung ist frei, selbstverständlich darf ein Kritiker kritisieren und das ist auch gut so. Sogar wenn er dabei zum Beispiel einen Primeur („Aegis“-Geschichte) unerwähnt lässt.
Ganz und gar aus ist es dann aber mit der Freud, wenn im Artikel behauptet wird, die „EDITO+KLARTEXT“-Beilage „werkstatt journalismus“ sei eine „gut abgekupferte Kopie“ der „Journalisten-Werkstatt“ des „Schweizer Journalisten“. Sorry, Christian Müller, da bräuchte es dann halt – statt einen Vergleich der Papierqualität – entweder Vorwissen oder Recherche: Die „werkstatt journalismus“ gibt es seit 2007, zuerst als Beilage der „gazette“, dann als Beilage der Nachfolgepublikation „EDITO“. Und wie das bei Fusionen so ist, ist „werkstatt journalismus“ von „EDITO“ in das fusionierte „EDITO+KLARTEXT“ gewandert.
Genauso wie das grosse Interview aus dem „KLARTEXT“ mitgekommen ist. Und dieses Interview wird als „zu brav“ kritisiert, weil der NZZ-CEO nicht gefragt wurde, was er dazu meine, dass die Aktien der NZZ zwar „leichter“ gemacht wurden, aber ihre Vinkulierung beibehalten wurde. Dafür gibt es, Christian Müller, eine einfache Erklärung: Das Gespräch wurde vor der entsprechenden GV geführt. Das merkt, wer im Interview die Frage, die mit „Die GV der NZZ-Gruppe steht bevor“ beginnt, liest. Oder wer den in „EDITO+KLARTEXT“ am Ende des Gesprächs vermerkten Interviewtermin (28. März) mit dem Termin der NZZ-GV (9. April) vergleicht.
Wie gesagt: Die Gedanken sind frei, die Meinung ist frei, selbstverständlich darf ein Kritiker kritisieren. Aber Fakten sollten dennoch Fakten bleiben.
Bettina Büsser, Redaktorin „EDITO+KLARTEXT“