Kommentar

Die Burka verstösst klar gegen die Menschenrechte

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  Die Menschen kommunizieren nicht nur verbal. Wer sein Gesicht verhüllt bekommt, kann keine Emotionen mehr zeigen.

Eigentlich seltsam: Da gab es vor x Jahrhunderten noch Zeiten, wo religiöse Themen schlicht kein Stoff für die öffentliche Diskussion waren, sondern das Exklusivrecht irgendwelcher, lediglich hierarchisch legitimierter Gremien innerhalb der religiösen Organisationen waren – im Christentum nicht anders als im Islam. Was richtig und was falsch war, wurde im stillen Kämmerlein der «Oberpriester» entschieden, und dies in allen monotheistischen Religionen. Dann kam, mit der Aufklärung, der Konsens, dass Alles und Jedes nicht nur öffentlich diskutiert werden darf, sondern auch öffentlich diskutiert werden soll. Das führte erfreulicherweise, zumindest im Abendland, zu mehr Toleranz.

Und heute: Gerade unter dem Titel «Toleranz» sollen gewisse menschliche Verhaltensweisen und religiös bedingte Bräuche nicht mehr diskutiert werden dürfen? Die Vertreter und Vertreterinnen der individuellen Freiheiten argumentieren mit einer scheinbar logischen Gleichung: Religion ist Privatsache, jeder darf glauben, was er will, also sollen auch die religiös bedingten – und/oder scheinbar religiös legitimierten – Regeln des Lebens in der menschlichen Gemeinschaft gar nicht erst diskutiert werden und diskutiert werden dürfen.

Diese Gleichung ist falsch, gerade auch hinsichtlich der Ganzkörperverschleierung! Dies darzulegen versuche ich in den hier folgenden Ausführungen.

Die Ganzkörperverschleierung ist keine Anweisung des Korans

Zugegeben: Wäre die Ganzkörperverschleierung eine klare Anweisung des Korans, der ursprünglich und letztlich das A und O des Islams ist, wäre die Diskussion schwieriger. Tatsächlich aber gibt es im Koran keine solche Anweisung. Im Gegenteil: Mohammeds erste Frau war eine erfolgreiche Geschäftsfrau in Mekka, nämlich seine eigene Arbeitgeberin, und niemand soll uns weismachen wollen, dass es im 7. Jahrhundert (unserer Zeitrechnung), als es weder Computer noch Schreibmaschinen noch andere technische Kommunikationsmittel gab, denkbar war, Handel ohne ein offenes Gesicht zu betreiben. Das offene Gesicht war und ist noch immer die wichtigste Komponente des zwischenmenschlichen Vertrauens, und gegenseitiges Vertrauen war im Handel damals so wichtig oder gar deutlich wichtiger als heute im Zeitalter der Juristen und der detaillierten Verträge.

Dass der Koran eine Ganzkörperverschleierung der Frau nicht fordert, wird auch dadurch offensichtlich, als nur in wenigen Gebieten der islamischen Welt die Ganzkörperverschleierung praktiziert wird. Wenn 95 Prozent der Muslime dieser Welt die Ganzkörperverschleierung weder leben noch fordern, darf die These, dass sie im Islam zu den essenziellen Grundrechten und Grundpflichten gehört, ohne Bedenken beiseite geschoben werden.

Der Islam und die Frauen

Die Islam-Historiker sind sich weitgehend einig, dass die im heutigen Islam feststellbare Frauenfeindlichkeit – nennen wir sie: Benachteiligung der Frau im privaten wie auch im öffentlichen Bereich – erst etwa im 10. und 11. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, also etwa 400 Jahre nach Mohammed, so richtig zum Tragen gekommen ist (vergleiche etwa Tamim Ansary: Die unbekannte Mitte der Welt; Frankfurt 2010; Seite 125 ff).

Die vermeintliche Minderwertigkeit der Frau ist denn auch ganz klar mehr eine Erscheinung der damaligen Kultur im Morgenland als des Islam. Was viele zu verdrängen versuchen: Auch im Christentum war die Frau dem Mann nicht ebenbürtig, was sich auch im Neuen Testament in aller Deutlichkeit niedergeschlagen hat. Nur noch fundamentalistische Christen (ja, auch diese gibt es, mehr als uns lieb sein kann) nehmen etwa die Worte von Paulus in seinem 1. Brief an die Korinther, 11, 3 – 16, zum Nennwert. Und auch im Judentum, das ebenfalls aus dem Morgenland stammt, ist die Frau dem Manne nicht ebenbürtig, was bei den orthodoxen Juden in Israel in nachgerade absurder Weise noch immer gepredigt und gelebt wird.

Frauenrechte und Ganzkörperverschleierung

Aufgrund der in der bisherigen Diskussion um die Ganzkörperverschleierung aufgeführten Argumentationen scheint es mir angebracht, auf einen Punkt besonders hinzuweisen: Die Ganzkörperverschleierung der Frau ist nicht irgend ein belangloser Brauch, nicht irgend eine Tradition, die halt «in Gottes Namen» akzeptiert werden muss. Eine Ganzkörperverschleierung kommt recht eigentlich einer Verstümmelung der Frau gleich.

Die Erforscher und Kenner der Körpersprache stimmen darin überein, dass es nicht primär die Augen sind, die ein Gefühl, zum Beispiel Freude oder Trauer, zum Ausdruck bringen. Es ist vielmehr der Mund, der nicht nur verbal, sondern auch nonverbal kommuniziert. Eine Frau kann zwar einem Mann, wie der Volksmund sagt, «schöne Augen» machen, aber der Mann wird das nur zur Kenntnis nehmen können, wenn der Mund – wortlos – mitspielt. Nicht zufällig haben deshalb in unserer piktogrammfreudigen Welt die Smileys stets die gleichen Augen: der Mund zeigt an, ob Ja oder Nein, ob Zustimmung oder Ablehnung, ob Freude oder Enttäuschung. Jeder Trottel versteht die Sprache der Smileys – darum sind sie ja auch erfunden worden – weil jeder Trottel intuitiv versteht, dass der Mund nicht nur verbal, sondern auch nonverbal kommuniziert.

Das menschliche Gesicht, mit sichtbaren Augen und sichtbarem Mund, ist die wichtigste Komponente der nonverbalen Kommunikation. Kommunikation aber ist nicht nur ein Grundrecht des menschlichen Lebens, sie macht recht eigentlich die Menschlichkeit unseres Lebens erst aus. Es mag provokativ tönen, aber ich wage die Aussage: die Verschleierung des Gesichts ist nicht weit weg von der operativen Entfernung der Stimme. Die operative Entfernung der Stimmbänder wäre – medizinisch konstatierbar und deshalb de facto und de iure – eine Verstümmelung und also auch strafrechtlich verfolgbar. Die Verschleierung kommt diesem Tatbestand sehr nahe – und soll nun unter dem Titel der Persönlichkeitsrechte akzeptiert werden?

Der Einwand, die betroffenen Frauen könnten sich ja selber wehren, wenn sie die Verschleierung subjektiv so negativ empfinden würden, ist absurd. Gerade weil die Ganzkörperverschleierung die Kommunikationsmöglichkeiten der Frauen betrifft, ist Unterstützung von aussen, von dritter Seite dringend erforderlich!

Ganzkörperverschleierung ist kein Phänomen des Islams

Die Frage «Ganzkörperverschleierung – erlaubt oder verboten?» gehört deshalb nicht in die Diskussionen über den Islam, über die Religionsfreiheiten oder über die Integration der Zugewanderten. Sie gehört, ob man es wahrhaben will oder nicht, zum Thema Gleichberechtigung der Frau. Warum treten die Politiker so gerne im Fernsehen auf und deutlich weniger gern im Radio? Das Gesicht, die Gestik, der Ausdruck von Emotionen, von Freude und Trauer, von Erstaunen und Wut, erst dieser Zugang macht den – um Zustimmung ringenden – Politiker allenfalls glaubwürdig. Kein Politiker hätte irgendwo auf dieser Welt eine Chance, gewählt zu werden, träte er mit verdecktem Gesicht auf.

Aber wir sind bereit, einer kleiner Minderheit zu erlauben, die Frauen in ihrer Kommunikations- und Ausdrucksfähigkeit essentiell zu limitieren, nur weil ihre Männer, mit einer mehr als zweifelhaften Berufung auf religiöse Anweisungen, es so haben wollen?

Die Diskussion über die Ganzkörperverschleierung gehört an die Öffentlichkeit und nicht in die (private) Sphäre der Religionsfreiheit. Und sie muss vor allem unter dem Titel «Rechte der Frauen» geführt werden, nicht unter dem Titel Toleranz gegenüber anderen Religionen. So wie richtigerweise die Genital-Verstümmelung der Frau – Religion hin oder her – verboten und unter Strafe gestellt wurde, so gehört auch die «Verstümmelung der Kommunikationsteile der Frau», die Verdeckung ihres Gesichts, verboten und unter Strafe gestellt.

Christian Müller

(Dieser Kommentar wurde erstmals in der deutschen Zeitschrift «Die Gazette; Das politische Kulturmagazin» veröffentlicht).


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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8 Meinungen

  • am 24.09.2013 um 11:50 Uhr
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    Mehr gibt es da nicht hinzuzufügen. Vielen Dank, Herr Müller.

  • am 24.09.2013 um 13:38 Uhr
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    ebenfalls vielen Dank und volles Einverständnis. Ich habe 2 Töchter und 2 Enkelinnen. Da wird man hellhörig und wachsam gegen alles was Gleichberechtigung einschränken will.

  • am 30.09.2013 um 14:08 Uhr
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    Ich frage mich, weshalb ein Thema herbei geredet und in diesem Artikel herbei geschrieben wird. Wieviele Burkaträgerinnen gibt es in der CH; wahrscheinlich keine; hächstens wohl ein paar Niquabträgerinnen; -notabene die meisten konvertierte «waschechte Schweizerinnen!
    Die Recherchen und Überlegungen von Christian Müller in Ehren, muss ich doch anfügen, dass m.E. das Selbstbestimmunsrecht einer Frau über allem stehen sollte. Und wenn sie sich so auf der Strasse zeigen möchte, dann soll sie es können. Gleichberechtigung der Geschlechter hängt nicht unbedingt an einem Tuch, sondern muss gelebt werden. Wer macht sich einmal stark für die theologisch ausgebildeten Frauen in der röm.-kath. Kirche, welche nur als Lückenbüsserinnen für fehlende Priester arbeiten dürfen? Auch ohne Burka, Niquab und wie die Tücher alle heissen mögen kann die Gleichstellung im Argen liegen; in einer Institution, für welche der säkulare Staat die Steuern einzieht … Wo ist da das anwaltschaftliche Schreiben?

  • PortraitM_Bertchinger
    am 2.10.2013 um 22:41 Uhr
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    Es geht nicht nur um Frauenrechte und Religionsfreiheit. Die Burkaverbotsbewegung kommt aus einer Ecke, die mit Toleranz gegenüber anderen Religionen so wenig am Hut hat wie mit Frauenrechten. Es geht massgeblich um Symbolpolitik auf dem Buckel der bei uns lebenden Muslime, die nicht in Burkas in Erscheinung treten. Es geht um die Bewirtschaftung des Ressentiments gegen Minderheiten und Fremdes, und mich dünkt, dass dies je länger desto mehr nicht mehr wahrgenommen wird.
    Zudem ist unbehelflich, auf dem Argument herumzureiten, von der Verschleierung stehe nichts im Koran. Religionsfreiheit bedeutet, sich auch noch zur verrücktesten Sekte bekennen zu dürfen – egal ob die sich selbst noch zu einer der grossen monotheistischen Religion zählt oder nicht. Das kommt ja auch zum Ausdruck im Beitrag: Keinem käme es in den Sinn, Christen auf das Frauenbild in der Bibel festzulegen.

  • am 2.10.2013 um 22:49 Uhr
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    Sehr guter Artikel, bis auf den Schlusssatz. Uneingeschränkt teile ich die Meinung von Frau Esther Gisler Fischer.

  • am 3.10.2013 um 10:21 Uhr
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    @Matthias Bertschinger: Voll einverstanden. Dieses Thema wird von gewissen Kreisen bewirtschaftet, welche vor nicht allzu langer Zeit die Frauen an den Herd verbannen wollten. «Das Frauenbild in der Bibel» gibt es so nicht. Es sind da auch die verschiedensten Strömungen auszumachen. Es gibt viele Geschichten starker Frauen, welche der patrarchalen Logik ein Schnippchen geschlagen haben, wie z.Bsp. die alttestamentliche Königin Esther; eine Namenspatronin, auf die ich stolz bin! Und last but not least: Auf ein Frauenbild werden höchstens Christinnen festgeschrieben …

    Anmerkung von Christian Müller:
    Man beachte bitte, dass dieser Artikel für die deutsche Intellektuellen-Zeitschrift "Die Gazette", Ausgabe Dezember 2010, geschrieben wurde. Der Missbrauch des Themas für politische Zwecke war damals nicht das Thema. Im Infosperber erschien er im Februar 2011. Ein Bezug zur Diskussion über die Abstimmung im Tessin im September 2013 war also naturgemäss nicht möglich.

  • am 3.10.2013 um 11:49 Uhr
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    @Christian Müller: Danke Ihnen für den Hinweis und die Situierung Ihres Artikels. Ich frage mich dennoch, weshalb generell vermutet wird, dass hinter einer Verschleierung Zwang stehe; Frau Nora Illi; -eine «waschechte» Schweizerin notabene-, ist der beste Beweis dafür, dass es durchaus auch freiwillig geschehen kann. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich der Meinung, dass Frauen durchaus sich selber wehren können. Man/frau muss sie einfach dazu ermutigen und ihnen zuhören, was sie zu sagen haben!

  • am 3.10.2013 um 11:51 Uhr
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    PS: Weshalb erscheint Ihr Kommentar in meiner Sprechblase; -fast ein wenig übergriffig, wie mir scheint …

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