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Ausschnitte des Cover des «Beobachters» vom 19.11.2020 © Ringier Axel Springer

Rabatt für Herz-Operationen mit Zugabe Herzschrittmacher

Urs P. Gasche /  Kardiologen streiten sich mit Herzchirurgen – zum Nachteil von Patientinnen und Patienten. Das hat der «Beobachter» aufgedeckt.

Chirurgen operieren vor allem invasiv, während Kardiologen für das Geschäft mit minimal-invasiven Eingriffe mit Kathetern zuständig sind. Herzpatientinnen und -patienten besuchen meistens zuerst die Praxis eines Kardiologen, so dass diese im Vorteil sind.

Künstliche Herzklappe

Einer der kathetergestützten Eingriffe ist ein Ersatz der Herz- oder Aortaklappe (Tavi). Die Ersatzklappe wird meist über die Leistenarterie ins Herz gebracht. Im Jahr 2018 (letzte zugänglichen Zahlen) erhielten in der Schweiz 1’710 Personen eine neue Herzklappe per Katheter. Das kostete die Krankenkassen pro Eingriff zwischen 25’000 und 30’000 Franken, also insgesamt 47 Millionen Franken.
Der Tavi-Eingriff birgt ein erhebliches Risiko: Bei jedem fünften Kathetereingriff werden die pulsgebenden Nerven im Herzen verletzt. Dann brauchen die Betroffenen zusätzlich einen Herzschrittmacher, der je nach Modell zwischen 8’000 und 15’000 Franken kostet. Gemäss den Recherchen des «Beobachters» bieten deshalb manche Hersteller künstliche Herzklappen gleich im Paket mit einem Herzschrittmacher an und gewähren dafür einen Rabatt.

Ein mit einem Katheter geführter Ersatz der Herzklappe (Tavi). Quelle: HerzClinic

«Bahnbrechende Innovation»

Ebenfalls mit einem Katheter können Kardiologen eine undichte Herzklappe «reparieren», indem sie mit einem «Mtraclip» den Querschnitt der Herzklappe verengen. Dagegen öffnen Herzchirurgen zum Verengen der Herzklappe den Brustkorb und nähen die Klappe.
Auf Anhieb entscheiden sich viele Patientinnen und Patienten für den mit einem Katheter eingesetzten «Mitraclip». Schliesslich bewarb die Herstellerin Abbott ihr Produkt als «bahnbrechende Innovation». Eine grosse US-Studie verglich zwei Gruppen von Patienten, deren Herzklappe undicht war. Die eine Gruppe erhielt Medikamente, die andere einen «Mitraclip». Das Resultat war für Abbott höchst erfreulich: Von der «Mitraclip»-Gruppe mussten 36 von 100 Patienten im Folgejahr erneut ins Spital, bei der Medikamentengruppe jedoch 68 von 100. Viele Kardiologen liessen sich beeindrucken. «Die Verkaufszahlen [von «Mitraclips»] haben um 30 Prozent zugelegt», schrieb Abbott-Chef Miles D. White im jüngsten Jahresbericht.

Studie vom Hersteller konzipiert und bezahlt

Allerdings kamen unabhängige Forscher in Frankreich zu einem ganz anderen Resultat. Ihre Studie war ähnlich aufgebaut und ergab das Gegenteil. In der «Mitraclip»-Gruppe war die Sterblichkeit nicht tiefer. Und es mussten auch nicht weniger Patienten im Folgejahr wegen Herzinsuffizienz ins Spital als bei denen, die bloss mit Medikamenten behandelt wurden.
Die beiden Studien unterschieden sich vor allem dadurch, dass die französische mit öffentlichen Geldern finanziert war, während Herstellerin Abbott die US-Studie finanzierte. Es ist statistisch erwiesen, dass von Pharmakonzernen finanzierte Studien viel häufiger Resultate ergeben, welche für sie günstig sind.
«Beobachter»-Autor Gian Signorell zitiert einen norddeutschen Herzchirurgen, der den häufigen Einsatz des «Mitraclip» in einer Fachzeitschrift kritisierte. Das Implantat heile nicht, sondern lindere bloss. «Statt einer schweren Insuffizienz hat der Patient nach dem Eingriff nur noch eine leichte bis mittelschwere. Im Alltag bedeutet das: Beim Treppensteigen ist er nach dem zweiten Stock ausser Atem und nicht wie vor dem Eingriff schon nach dem ersten.»
Viele Schweizer Herzchirurgen können das bestätigen, schreibt der «Beobachter», wollten aber nicht zitiert werden. Andere beurteilen die geringe Verbesserung als Erfolg. Doch in den Richtlinien der europäischen Fachgesellschaften für Kardiologie und Herzchirurgie wird der «Mitraclip» nur empfohlen, wenn das Risiko einer Operation für die Patienten zu hoch ist.

Herzchirurgen sind überzeugt, dass bei einer undichten Herzklappe eine Operation am offenen Herz und die klassische Nadel- und Faden-Chirurgie meistens die besten Ergebnisse bringen. Welche Behandlung gewählt wird, soll ein Heart-Team entscheiden, zusammengesetzt aus Ärztinnen und Ärzten verschiedener Fachrichtungen: Kardiologen, Chirurgen, einer Spezialistin für bildgebende Verfahren und einem Anästhesisten. Doch die Zusammenarbeit sei in vielen Teams alles andere als gut.

Kardiologen im Vorteil

Herzpatienten werden sowohl nach Eingriffen mit Kathetern als auch nach invasiven chirurgischen Eingriffen meistens von Kardiologen weiter betreut. Deshalb können Kardiologen den Erfolg ihrer eigenen Kathetereingriffe selber beurteilen und in den Akten festhalten. «Das bietet Möglichkeiten zur Manipulation und zur Schönung von nicht optimalen Befunden», meint der «Beobachter».
«Es ist in der Fachwelt ein offenes Geheimnis, dass es in den Katheterlabors immer wieder zu bedrohlichen Komplikationen wie Blutungen oder einer Reanimationssituation kommt», erklärte ein Chirurg dem «Beobachter».
Bei der Arbeit der Chirurgen beurteilen stets Vertreter anderer Disziplinen, wie gut das Resultat ihrer Herzoperationen ausgefallen ist: Anästhesistinnen oder eben Kardiologen.
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2 Meinungen

  • am 3.12.2020 um 13:46 Uhr
    Permalink

    Kostensenkung im Gesundheitswesen ist eine dringende Notwendigkeit. Mir erschliesst sich nicht, weshalb Herzschrittmacher nicht wiederverwendet werden – oft werden diese betagten Patienten eingesetzt, die nur noch wenige Jahre leben. Post mortem wird der Schrittmacher entnommen, bevor bestattet oder kremiert wird. Diese Schrittmacher könnten problemlos mit neuen Elektroden und einer neuen Batterie bestückt werden und wiederverwendet werden. So liessen sich viel Geld und Ressourcen sparen.

  • am 8.12.2020 um 17:54 Uhr
    Permalink

    "Bei der Arbeit der Chirurgen beurteilen stets Vertreter anderer Disziplinen, wie gut das Resultat ihrer Herzoperationen ausgefallen ist: Anästhesistinnen oder eben Kardiologen."

    Dss glaube ich nur bedingt.
    Ein Thierry Carrel lässt sich sicher nicht drein reden. Er und sein Team wird, wie jeder Chirurg übrigens, den Erfolg einer OP selber überprüfen wollen.

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