Naturschutzgebiete sind kein Reserve-Bauland
Steht ein Naturschutzgebiet einem grossen Bauprojekt im Wege, ist es trotz Schutzstatus akut bedroht. Das zeigt sich zurzeit exemplarisch in Basel, wo mitten in einem artenreichen Trockenbiotop beim Badischen Bahnhof ein Umschlagplatz für Gütercontainer geplant ist (mehr über diesen Hafenstreit hier auf Infosperber) Gemäss SBB Cargo und den Mitinitianten ist der Verlad zwischen Bahn, Schiff und Strasse an diesem Ort von so grossem öffentlichem Interesse, dass die Allgemeinheit dafür eine der wertvollsten Trockenwiesen der Schweiz opfern soll.
Um eine Bewilligung für diesen zerstörerischen Akt zu erhalten, suchen die Promotoren nach möglichen Ersatzflächen. Diese müssen gleichwertig sein, und das ist sehr schwierig. Die Umweltorganisationen und Biodiversitäts-Fachleute stellen sich sogar auf den Standpunkt, dass es unmöglich ist. Denn die Trockenwiese ist durch ihre Grossflächigkeit und ihre besonderen Naturwerte eine «Singularität», also einzigartig für die Schweiz. Die aus Flusskies bestehende Fläche beherbergt eine trockenheitsliebende sehr vielfältige Lebensgemeinschaft, mit teils seltenen sowie bedrohten Pflanzen- und Tierarten. Diese über Jahrzehnte gewachsene Gemeinschaft lässt sich nicht einfach «umtopfen», warnt Urs Tester von Pro Natura.
Trotzdem: In der Schweiz wird das Umtopfen von Natur bei Bauprojekten immer wieder versucht. In Basel schlugen die Bauwilligen erst mal vor, bestehende Grünflächen in der Stadt aufzuwerten. Das ist dreist und zeugt von wenig biologischem Sachverstand: Was in der Stadt schon an Naturflächen vorhanden ist und zudem einen völlig anderen Charakter hat – zum Beispiel Wald –, kann unmöglich als gleichwertiger Ersatz dienen. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) reagierte entsprechend ablehnend.
Kürzlich hat die Projekt-Trägerschaft des geplanten umstrittenen Güterterminals neue Flächen auserkoren, diesmal vorwiegend jenseits der städtischen Grenzen im Kanton Baselland. Es handelt sich aber wiederum nicht um eine kompakte und störungsfreie Fläche, wie es das jetzige Naturschutzgebiet darstellt: Die SBB würden Hand bieten, den Rangierbahnhof Muttenz und Bahnnebenflächen aufzuwerten. Aufgrund des ähnlichen Bodentyps ist dieser Vorschlag nachvollziehbar, gleichwertig ist er aber angesichts des Bahnbetriebs nicht. Weitere Ersatz-Ideen sind verwunderlich. Wenn aus Ackerland in der langen Erle Trockenwiesen werden sollen, steckt dahinter ein seltsames Naturverständnis. Mit Baggern kann man das zwar versuchen, aber sinnvoller wäre hier eine Aufwertung, die diesem Ökotyp besser entspricht. Nur lässt sich dann die geforderte Ersatzfunktion nicht geltend machen. Als Ersatz fraglich ist auch die Hard in Pratteln, wo aus einem Buchenwald ein lichter Wald gemacht werden soll: Hier erzwingt der Klimawandel ohnehin eine forstliche Entwicklung weg vom Buchenwald.
Die Rechnung geht für die Natur somit nicht auf. Das Jonglieren mit Ersatzflächen ist generell ein absurdes Nullsummenspiel, wenn man folgendes bedenkt: Die ganze Schweiz hat ein riesiges Defizit an wertvollen Naturflächen. Die Naturschutzgebiete sind in der Regel zu klein, und sie liegen isoliert voneinander in der Landschaft. Das ist einer der Gründe, weshalb hierzulande so viele Pflanzen- und Tierarten immer seltener geworden, vom Aussterben bedroht oder schon verschwunden sind. Bund und Kantone sind gefordert, dieser gefährlichen Entwicklung mit einem massiv verstärkten Einsatz für den Naturschutz entgegenzuwirken.
Im Rahmen der internationalen Biodiversitätskonvention hat sich die Schweiz verpflichtet, mindestens 17 Prozent der Landesfläche unter Schutz zu stellen. Davon ist sie meilenweit entfernt. Nach Jahren intensiver Auseinandersetzungen verfügt der Bund nun endlich über ein Biodiversitätskonzept und einen Aktionsplan. Das Ziel ist, eine «ökologische Infrastruktur» aufzubauen. Gemeint ist damit ein Netz von wertvollen Lebensräumen, die miteinander durch natürliche Korridore verbunden sind, analog zu den bestehenden Verkehrsinfrastrukturen für die menschliche Mobilität.
Dieses Ziel erfordert, die bestehenden Naturschutzgebiete ausnahmslos zu erhalten und weiter aufzuwerten. Zusätzlich müssen Flächen für die Verbindungskorridore gesichert werden. Unter anderem sind dafür die Böschungen an den SBB-Linien wie geschaffen. Diese gilt es aufzuwerten, aber nicht als Ersatz für grosse wertvolle Trockenwiesen, sondern als Korridore zwischen entsprechenden Naturschutz-Kernarealen. Wird die Trockenwiese beim Badischen Bahnhof dem Gütertransport geopfert, steht dies im krassen Gegensatz zur Pflicht des Staats, die Biodiversität endlich zu sichern.
Weitere Informationen dazu:
– Auf Infosperber: «Basler Hafenstreit: Um Klimaschutz geht es nur vordergründig»
– Sonderheft von Pro Natura zum Hafenbecken»
– DOSSIER: Schutz der Natur und der Landschaft
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Bin völlig einverstanden mit dem Inhalt des Artikels, aber die Schwierigkeit liegt sicher nicht im mangelnden Sachverstand der Promotoren des Prokekts. Das Problem ist das System, dem alle unterliegen: Genau wie bei der Covid-Krise der Umsatz wichtiger ist als die Volksgesundheit, ist beim Hafenprojekt in Basel der Umsatz wichtiger als die Natur. Da bleibt nur der Systemwechsel als Lösung.
Sind Wasserstrassen und der dazugehörige Hafen als Umschlag-platz von Binnenschiffen auf Bahn oder LKW ökonomisch und ökologisch überhaupt noch langfristig sinnvoll ?
1.) Noch gleicht die zunehmende Gletscherschmelze in den CH-Alpen in Rhein u. Aare die längeren Trockenzeiten im Sommer an den dt. Rheinzuflüssen aus. Der Bodensee ist ein begrenzter Speicher/Puffer. Im Einzugsgebiet der Aare u. ihren Nebenflüssen gibt es mehr Seen, aber wie stark sich da Abflussmengen u. wann ändern, wäre zu ermitteln. Die Versorgungssicherheit über die Wasserstrasse Rhein sinkt in den kommenden Jahren. Es sei an den Sommer 2018 erinnert.
2.) Wenn der Bahnstrom nicht aus fossilen Energieträgern kommt, wie bei den alten Dieselmotoren der Binnenschiffe, ist der Bahn-Transport inzwischen ökologischer. Wohl auch kostengünstiger, weil der Aufwand für Be- und Entladung entfällt.
3.) ‹Smartere› Lösung für die Logistik würde wohl auch da Kosten und überbaute Flächen einsparen.
Umdenken wegen sich verändernder oder neuer Gegebenheiten ist für die meisten Menschen aber die schwierigste Form des Denkens. Die Ideologien vom «Freien Markt», DEM Nationalismus oder DER «Freiheit» löst auch diesen ganzen Sachverhalt nicht.
Dialogische Verständigung, mit Rücksicht u. Einsicht in einer partizipativen Demokratie tun Not. Blosse polarisierte Mehrheiten aus stolzen Siegern u. frustrierten Verlierern führen zunehmend zur Fragmentierung u. Instabilitäten in den immer differenzierteren Gesellschaften.
Wenn ich richtig im Bilde bin, geht es in Basel nicht darum ob man Schiffe überhaupt noch entladen kann, sondern einzig darum ein bisschen schneller zu entladen. Nicht mehr Schiffe, sondern nur schneller.
Der Wachstumsglaube ist nicht kleinzukriegen.
Es fehlt eine richtige Wertediskussion: ungefähr 80% der Pflanzen- und Tierarten in der Schweiz sind sogenannte Archae- und Neophyten. Diese Trockenwiesenarten wanderten in unser Gebiet ein als Folge der menschlichen Bewirtschaftung. Als Opportunisten, teils auch als Unkräuter nisteten sie sich seit der Zeit der neolithischen Bauern hier bei uns ein.
Die Naturlandschaft wäre im grössten Teil der Schweiz von vergleichsweise arten armen Fichten-, Tannen- und Buchenwäldern bestanden. Am fraglichen Standort in Basel wäre es wohl ein Auenwald gewesen.
Die Frage nach den Werten ist: Was wollen wir schützen und wozu? Wollen wir die Umweltzerstörungen unter Schutz stellen, die unsere Altvorderen begangen haben und diese auf ewig festlegen? Die Fröschlistreichler und Blümchenzähler haben eine naive Vorstellung davon, wie dynamisch und unwiderbringlich natürliches Geschehen ist.