Sprachlupe: War «mauscheln» lang genug vergraben?
«Bund rät bei Mauscheleien von Bestrafung ab» – unter diesem Haupttitel auf der ersten Seite berichtete der «Bund» über einen Brief der Bundesverwaltung an die Staatsanwaltschaften in Sachen erschlichene Covid-Kredite. Die Redaktion erhielt umgehend Post von einer Leserin, mit Kopie an die «Sprachlupe»: «Bei Ihnen wird also weiter gemauschelt. Ich mache Sie seit Jahren auf den antisemitischen Hintergrund des Wortes aufmerksam, anscheinend ohne Erfolg.» Auch ich war zusammengezuckt, als ich den Titel sah – aber ich fragte mich dann, ob der «antisemitische Hintergrund» heute noch wirksam sei, ob also das Wort «mauscheln» und seine Ableitungen Vorurteile gegenüber Juden ausdrücken oder wecken oder verstärken könnten.
Zuerst ein Blick ins Digitale Deutsch-Wörterbuch, Eintrag «mauscheln»: «‹undeutlich reden, Heimlichkeiten treiben, zweifelhafte und undurchsichtige Geschäfte machen, betrügen›. Das Verb, im 17. Jh. zuerst bezeugt, dürfte aus dem Rotw[elsch] stammen und aus verschiedenen Vorstufen zusammengeflossen sein. Heranzuziehen sind rotw. mauscheln ‹betrügen›, mundartliches muscheln ‹undeutlich reden (um von anderen nicht verstanden zu werden), heimlich tun, betrügen (besonders beim Kartenspiel)›, vgl. Mauscheln ‹Kartenglücksspiel› (um 1900). Daneben steht rotw. mauscheln ‹in jüdischer Sprechweise reden›, abgeleitet von rotw. Mauschel ‹armer Jude›, Koseform zu Mausche, der aschkenas. Form von hebr. Mōšē, d. i. Moses.»
Antisemitismus lauert
Für den Journalisten Ronen Steinke, der bei Duden eine «Streitschrift» mit dem Titel «Antisemitismus in der Sprache» veröffentlicht hat, ist klar: «Mauscheln – das geht nie», denn «auch wenn die Herkunft des Verbs vielen Menschen nicht bewusst ist, (…) bleibt die eindeutige Bezugnahme auf Juden bestehen und bleibt vor allem auch die Abfälligkeit bestehen.»
Ähnlich, wenn auch ohne «Verbot», urteilt die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus im Glossar «Belastete Begriffe»: «Wo man im Schweizerdeutschen für unseriöses Geschäftsgebaren von ‹mischeln› und ‹Gemischel› redet, da schreiben viele Medienschaffende von mauscheln und Gemauschel. Häufig glauben sie, damit ein jiddisch-hebräisches Wort wie meschugge, Mischpoche oder Chuzpe zu verwenden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Mauscheln ist nicht jiddisch, sondern eine Wortprägung der Antisemiten und war gegen die Juden gerichtet.»
Neue «Unbefangenheit»
Vermutlich denken die meisten Medienschaffenden, die «mauscheln» sagen, weder an Jiddisch noch an Antisemitismus – und wohl auch nicht mehr viele, die das Wort hören oder lesen, wie mir eine Mini-Umfrage zeigt. Der Linguist Hans-Peter Althaus hat über «Mauscheln. Ein Wort als Waffe» 500 Buchseiten verfasst (De Gruyter, 2002). Er spricht von der «Unbefangenheit, die den neuen Umgang mit der Wortfamilie kennzeichnet». Nach der Nazi-Zeit hätten «rund dreissig Jahre Vermeidung» bewirkt, dass dieses Vokabular den Nachgeborenen nicht mehr geläufig war. Dann, ab etwa 1970, hätten zunächst studentische Agitatoren erneut «Mauscheleien» angeprangert, sei es von Professoren oder Kapitalisten, und das Wort habe sich rasch wieder verbreitet – doch nunmehr ohne den «Nährboden, auf dem die früheren Konnotationen ihre denunzierende Wirkung entfalten konnten».
Victor Klemperer, der den Sprachgebrauch der Nazis früh und tiefgründig untersucht hatte, wollte belastete Wörter «für lange Zeit, und einige für immer» vergraben, wie es fromme Juden mit nicht mehr koscherem Geschirr täten, um es zu reinigen. Darauf gestützt, nahm Althaus «mauscheln» als Beispiel dafür, «dass bei Fehlentwicklungen eine Wende im Denken, Sprechen und Handeln herbeigeführt werden kann. Allerdings mussten sich erst Katastrophen ereignen, ehe die Sprachgemeinschaft die notwendigen Lehren aus dem sprachlichen Missbrauch gezogen hat.» Anders gesagt: Man kann ausgegrabene Wörter wie Denkmäler behandeln – nicht schleifen, sondern mit Erklärungen versehen.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»
Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.
«War «mauscheln» lang genug vergraben?» – Ja, erklärte die Unabhängige Kommission für Radio und Fernsehen UBI Anfang der Neunzigerjahre. Im Kassensturz hatten wir oft die Begriffe «Schwindel» oder «Mauschelei» verwendet, weil sie nicht justiziabel sind wie etwa «Betrug». Wegen des Begriffes «Mauschelei» kam es zu einer Beschwerde wegen angeblichem Antisemitismus. Die unabhängige Beschwerdeinstanz UBI kam jedoch zum Schuss, dass schon damals praktisch niemand der Zuschauenden diesen Zusammenhang herstelle und der Begriff sich verselbständigt habe. Leider der Entscheid der UBI vom 5.2.1993 im Volltext nicht online einsehbar.
Worte sind Abbilder von Wirklichkeit, sind nicht Wirklichkeit selbst. Wirklichkeit kann -istisch sein, Abbilder nicht. Abbilder sind nicht, sind kein Subjekt. Im öffentlichen Raum sind alle Worte gleichberechtigt und unkündbar. Worte und Kunst dürfen ausnahmslos alles, nur Taten unterliegen Massregelungen.
Sonst muss man auch Spiegel je nach optischen Eigenschaften verbannen, denn wirklich isometrisch bildet kein realer Spiegel ab.
Sehr interessant. Die Sprache als Gewaltinstrument. Alle Weltreligionen bedienen sich der verbalen Gewalt. (Ausdrucksweisen und Wörter welche andere Menschen entwerten, ihnen die Würde rauben, sie zu Opfern von Gruppen, Ideologien, Inquisitionen, Progromen und Gewalt machen) Warum schafft man kein Gesetz welche das Ausüben jeder Form von Gewalt, welche jenseits von Notwehr liegt, verbietet, inklusive verbaler Gewalt, emotionaler Gewalt, auf Glauben basierender Gewalt, (Siehe Marshall Rosenberg, Psychologe,Gewaltforscher, Bestsellerautor) dann würde sich wohl einiges positiv verändern. Die Gewalt fängt im Denken an, und ihr erster Weg ist die Sprache, die Gewalt versteckt sich in der Sprache. Es braucht ein Bewusstsein darüber, wie Gewalttätig unsere Alltagssprache sein kann, damit wir auf diese verzichten und bessere Wege finden, die Saat der Zukunft aus zu streuen. Dies fängt an bei solchen Worten. Mauscheln würde ich nicht als belastetes Wort bezeichnen, sondern als einen versteckten induktor für rassistische Gewalt. Versteckte Feindseligkeit und solche Wörter gehen oft Hand in Hand.
Das Wort ist, wie Daniel Goldstein deutlich zeigt, sehr direkt aus Vorurteilen über Jüdinnen und Juden entstanden, die gerade heute von der politischen Rechten wieder aufgewärmt und aktiviert werden: Jüdinnen und Juden als geheime Strippenzieher einer Weltverschwörung, die irgendwelche Deals zum Schaden egal wessen (der weissen US-Bürger*innen, der weissen Männer in Europa, einfach aller, die sich gerade als Opfer sehen möchten) schliessen. Gerade weil diese Vorurteile wieder bewirtschaftet werden, plädiere ich sehr dafür, dass wir dieses Wort nicht verwenden und da, wo es verwendet wird, auf den antisemitischen Hintergrund hinweisen. Ich fürchte, seine Verwendung könnte sonst dazu verhelfen, die genannten Vorurteile wieder salonfähig zu machen.
"Mauscheln» war noch nie ein vergessenes oder verbotenes Wort. Das Verb «mauscheln» wurde auch schon in den 70er Jahren von den linken Propagandisten in der Schweiz fleissig gebraucht. Wenn jemand die Wörter «mauscheln» oder «Mauschelei» so unverfroren in den Titel setzt wie beim Berner Bund, dann signalisiert er einfach seine politische Gesinnung. Für die Linken ist dieses Wort normaler, anständiger, alltäglicher Sprachgebrauch.
"Strippenzieher einer Weltverschwörung» bekomme ich in den letzten Jahren von allen Seiten her vorgestellt. Mein Eindruck davon war bisher der von einer diffusen allgemeinen Technik- und Wissenschaftsfeindlichkeit, die ich politisch nie einordnen konnte. Chemtrails, Handystrahlen zur Gedankenkontrolle, Corona-Impfzwang zur Sterilisierung der Arbeiterklasse, Markierung der Bevölkerung mit Chip unter der Haut, solche Sachen höre ich oft von Frauen und Männern um die 50 bis 60 Jahre alt und ohne brauchbare naturkundliche Vorbildung. Ganz allgemein gehen in der Öffentlichkeit das naturkundliche, naturwissenschaftliche Grundkenntnisse verloren. Die heute am weitesten verbreiteten Verschwörungstheorien sind aus meiner Sicht nicht einer politischen Richtung zuzuordnen, sondern vielmehr der allgemeinen Verluderung des Diskurses.