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10 km/h Höchstgeschwindigkeit: Die Regeln in auf vielen Strassen Barcelonas stehen vor einem Wandel. © Kaspars Upmanis for Unsplash

In Barcelona entsteht eine der grössten Fussgängerzonen Europas

Felix Schindler /  Die Bürgermeisterin von Barcelona will das Auto aus dem bevölkerungsreichsten Stadtteil zurückdrängen.

Sie heissen Superblocks – oder, auf katalanisch, Superilles. Und sie sollen Barcelona zu einer besseren Stadt machen. Superilles bestehen in der Regel aus neun Häuserblocks. Zwischen den Häusern werden die Strassen mit Bäumen und Sitzgelegenheiten ausgestattet, die Kreuzungen dienen als öffentliche Plätze und der ganze Block ist für den Durchgangsverkehr gesperrt.

Am Mittwoch gab Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau bekannt, dass im bevölkerungsreichsten Stadtteil Eixample in den kommenden zehn Jahren Superilles flächendeckend realisiert werden sollen. Eixample wird so zu einer riesigen Fussgängerzone mit einem Netz aus grünen Achsen. Wenn Colaus Pläne nicht am Widerstand der Autolobby scheitern, wird in Eixample von überall her ein Platz oder ein Park in einer Minute Gehdistanz erreichbar sein.


Die Zahl der Autostrassen im bevölkerungsreichsten Quartier Barcelonas wird radikal reduziert. (Ajuntament de Barcelona). Etwas grössere Auflösung hier.

Laut dem Nachrichtenportal «Bloomberg» handelt es sich beim Plan um einen der gründlichsten Umbauten einer europäischen Grossstadt in diesem Jahrhundert. Der Stadtteil Eixample entstand im 19. Jahrhundert auf dem Reissbrett, der Bauingenieur Ildefons Cerdà konzipierte einen Raster aus quadratischen Wohnblocks mit einer Kantenlänge von 133 Metern und einem Abstand von jeweils 20 Metern. Ab den 1960er-Jahren wurden diese Zwischenräume der Automobilität preisgegeben. Heute dient der Raum zwischen den Häusern als Verbindung zwischen dem einen Ende der Stadt und dem anderen. Doch Autos, die mit 50 km/h zwischen Häusern hindurchfahren, trennen das eigene Haus von dem des Nachbarn. Autos beanspruchen 60 Prozent der Verkehrsfläche in Barcelona, bewältigen aber nur 20 Prozent der Mobilität. 350’000 Autos fahren täglich durch den Bezirk hindurch, die Grenzwerte für Stickstoffdioxid- oder Feinstaubbelastung werden praktisch zu jeder Zeit überschritten.

Diese Annexion von öffentlichem Raum durch das Automobil soll nun rückgängig gemacht werden. Autos von Anwohnern und Lieferverkehr sind in den Superilles gestattet, bei einer Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h. Im Superblock gehört die Strasse den Bewohnern, als Lebensraum, zur Erweiterung des Wohnzimmers, als Spiel- und Sportplatz, als Weg zum nächsten Lebensmittelgeschäft. Die Fussgänger gehen dort, wo sie auch der Bauingenieur Cerdà vor 150 Jahren vorgesehen hatte: wo sie wollen. Und damit stellen die Superblocks möglicherweise das radikalste Konzept in der zeitgenössischen Stadtplanung dar. Die Deutung der Strasse als Lebensraum ist im Superblock die Regel, nicht die Ausnahme wie fast überall sonst auf der Welt.


Kreuzungen werden zu Plätzen umgestaltet. (Ajuntament de Barcelona)

21 Strassenkreuzungen werden zu öffentlichen Plätzen umgestaltet, jede dritte Strasse wird begrünt. 80 Prozent der Strassenfläche soll von Bäumen beschattet werden, 20 Prozent des Belags sollen durchlässig sein, um Niederschläge und Hochwasser besser abzuleiten. Das Projekt wird 2022 starten, die Bevölkerung wird in die Detailplanung einbezogen. Die Kosten: 38 Millionen Euro. Ungefähr so viel kostet in der Schweiz ein Stück Autobahn von 400 Metern Länge.

Die Idee der Superilles ist nicht neu, die erste wurde in den 90er-Jahren nahe der Basílica de Santa Maria del Mar im Zentrum der Stadt realisiert. Doch erst mit der Wahl von Ada Colau als Bürgermeisterin im Jahr 2015 rückten die Superilles in den Fokus der Stadtplanung. Barcelona sperrte die ersten Strassen mit Blumentöpfen, pinselte Sportplätze auf den Asphalt und stellte Picknick-Tische auf. Der Umbau der Stadt erfolgte praktisch ohne Bagger und Beton.


Der Umbau der Plätze erfolgte nicht mit Stahl und Beton, sondern mit Farbe und Campingtischen. (Ajuntament de Barcelona)

Im Stadtteil Poblenou stiess die Bürgermeisterin zunächst auf grossen Widerstand. Die Umsetzung erfolgte rasch, die Kommunikation war dürftig und die Bewohner kritisierten, zu wenig einbezogen worden zu sein. Der Protest kam – wie zu erwarten, wenn die Privilegien des Autos eingeschränkt werden – von Autofahren und Gewerbetreibenden. Kürzlich wertete das Nachrichtenmagazin «Spiegel» Daten des Navigationsanbieters TomTom aus und stellte fest, dass der Autoverkehr innerhalb der Superblocks um 85 Prozent zurückging, während er sich auf den wenigen Hauptverkehrsachsen verdoppelte. Ausserhalb der Superblocks änderte sich: praktisch nichts. Es entstand kein Mehr- oder Ausweichverkehr in den umliegenden Quartieren. Der «Spiegel» schreibt: «Der Verkehr bricht wegen einer Superilla nicht zusammen, die Auswirkungen sind gering.»


80 Prozent der Strassenfläche sollen beschattet werden. (Ajuntament de Barcelona)

Rasch sei die Opposition der Akzeptanz gewichen, sagte Salvador Rueda, der Direktor der Urban Ecology Agency of Barcelona und geistiger Vater der Superilles gegenüber der «New York Times». «Niemand hat die Stadt verklagt, um einen Superblock zu entfernen», sagte Rueda. Im Gegenteil, das Konzept sei in Barcelona sehr beliebt. Der Widerstand galt demnach mehr der Veränderung an sich als dem Konzept der Superblocks. Ob das hilft, die Widerstände gegen die neu geplanten Superilles abzubauen, wird sich weisen. Doch es scheint, als hätten in Barcelona immer mehr Menschen die Überzeugung abgelegt, dass der Autoverkehr ein Naturgesetz sei.


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2 Meinungen

  • am 16.11.2020 um 12:48 Uhr
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    Hoffentlich macht das Beispiel in ganz Europa Schule.
    In der Autostadt Stuttgart kämpfen wir seit Jahren dafür, offensichtlich sind wir bisher aber zu wenige.
    Obwohl wir seit 8 Jahren einen «grünen» Bürgermeister haben, der 2012 versprach, die kanalisierten Flüsse und Bäche wieder an die Oberfläche zu bringen und Kreuzungen zu Plätzen umzufunktionieren, wurden in seiner Amtszeit noch mehr Parkbäume gefällt und die Feinstaub-Hauptstadt ist dort, wo der König den Bürgern einst den «Schlossgarten» geschenkt hatte, seither eine überdimensionierte Baustelle.

  • am 17.11.2020 um 00:10 Uhr
    Permalink

    Ich wurde 1943 unweit der Zürcher Bahnhofstrasse – gegenüber vom «Jelmoli» – geboren und bin dort aufgewachsen. Damals konnte die Stadt noch ohne Tempo-Limite befahren werden, auch die Bahnhofstrasse auf der ganzen Länge. 100 km/h mitten in der Stadt waren erlaubt. Es gab auch noch keine Verkehrsampeln, und die Bremsen der Autos waren wenig wirksam. Mein Weg zum Kindergarten oder zur Schule war sehr gefährlich, und es kam auch immer wieder zu schweren Verkehrsunfällen. Schon damals habe ich mir die Frage gestellt, was mehr Existenz-Berechtigung in der Stadt habe, die Menschen oder die Autos. Als kleines Kind konnte ich noch auf der Strasse Fussball spielen, doch das wurde bald mal zu gefährlich. Alle paar Minuten hupte uns ein Auto von der Strasse. Ich wünsche mir eine Zukunft, wo Kinder wieder auf der Strasse, auf Kreuzungen und Plätzen spielen und sich vergnügen können. Exakt so, wie die Städte einst angedacht, geplant und gebaut wurden.

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