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US-Präsident Donald Trump im Jahr 2019 © The White House from Washington

USA: Der Fall der grössten Gesundheitsorganisation der Welt (4)

Tobias Tscherrig /  Die Einmischung von Trump, ein Virus und das Versagen der eigenen Führung führten zum Fall der wichtigsten US-Gesundheitsbehörde.

In einer vierteiligen Serie zeichnet «Infosperber» den Fall der CDC nach. Teil eins zeigte, wie sich das Weisse Haus in die Angelegenheiten der Gesundheitsbehörde einmischt und auf ihrem Rücken Politik betreibt. Teil zwei beleuchtete die internen Probleme der Gesundheitsbehörde, den mangelnden Informationsaustausch zwischen China und den USA und zeigte, wie sich die Kluft zwischen der US-Regierung und der CDC stetig vergrösserte. Auch die fehlerhaften Covid-19-Tests der USA waren Thema. Der dritte Teil handelte von Versäumnissen der Kreuzfahrtindustrie und einem Präsidenten, dessen Show immer weitergehen muss. Ausserdem zeigte er, wie Migrantinnen und Migranten in den USA zum Sündenbock der Covid-19-Pandemie gemacht wurden.

Der vierte und letzte Teil behandelt den Kampf um die Gesundheitsdaten und die Schulschliessungen in den USA und erklärt, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler endgültig zum Feindbild des Weissen Hauses wurden. Als Hauptquelle dient eine 23-seitige Recherche, die «Pro Publica» veröffentlich hat.

Trump-Regierung entzieht CDC Gesundheitsdaten
Im April waren die Zahlen in den USA brutal: Landesweit gab es 608’000 auf Sars-Cov-2 positiv Getestete. Mehr als 26’000 Menschen waren gestorben, davon etwa 10’000 in New York City. Innerhalb der CDC beeilten sich die Wissenschaftler, Daten zu sammeln und sie zu analysieren. Diese Daten waren die Grundlage für fast jede Entscheidung, die getroffen werden musste. 

Zu Beginn der Pandemie führte der Mangel an Tests in den USA auch zu einem Datenmangel. Nun aktualisierten die CDC ihr angesehenes Krankenhausverfolgungssystem, um Informationen über Covid-19 zu sammeln.

Aber im Frühjahr entzog die Trump-Regierung den CDC in einem Machtspiel ihre Führungsrolle im Umgang mit den wichtigen Krankenhausdaten und brachte plötzlich einen privaten Auftragnehmer ins Spiel. Ein beispielloser Schritt, der die CDC im Kern traf. Nun befürchten führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA, dass sie erneut Schwierigkeiten haben werden, Ausbrüche zu verfolgen und Ärzte, Pflegepersonal, Medikamente sowie Ausrüstung zu den jeweiligen Hotspots zu leiten.

Machtinteressen statt Schutz vor Corona
Der Kampf um die Gesundheitsdaten in den USA ist – wieder einmal – geprägt von der Politik. Mächtige Kritikerinnen und Kritiker arbeiten hinter den Kulissen, um eine Gesundheitsbehörde, die sie als ineffektiv ansahen, ins Abseits zu drängen.

Im Februar setzte sich der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater Matthew Pottinger stark dafür ein, dass Deborah Birx, die Freundin und frühere Chefin seiner Frau, zur Corona-Koordinatorin im Weissen Haus ernannt wurde. Pottinger war verärgert über das Testdebakel der CDC und ihre Fehlschläge in China. Aber sein Kampf für Birx war auch persönlicher Natur. Als ehemalige CDC-Wissenschaftlerin hatte Pottingers Frau geholfen, einen HIV-Test zu erfinden, der in Übersee angenommen wurde, nicht aber in den Vereinigten Staaten. Da Pottinger glaubte, dass es sich dabei um einen bürokratischen Streit innerhalb der CDC handelte, sagte er den Kollegen im Weissen Haus, dass die Behörde eine «Kultur habe, in der kleinliche Rivalitäten zwischen Egos dazu neigen, das öffentliche Wohl unterzuordnen».

Auch Birx war kein Fan der CDC, obwohl sie früher deren globales AIDS-Programm geleitet hatte. Seit 2014 leitete sie die internationale AIDS-Bekämpfungsinitiative des Aussenministeriums, die als eines der effektivsten Bundesgesundheitsprogramme in der Geschichte der USA gilt. Trotzdem gibt es an Birx auch einige Kritik.

Hochrangige Beamte behaupten, Birx habe Macht angehäuft, indem sie Kollegen unterminierte, Aufruhr geschürt habe und sich selbst als einsame Retterin in einer Krise präsentierte. Wie «Pro Publica» schreibt, ergab eine im Februar durchgeführte Prüfung ihres AIDS-Programms durch den Generalinspektor des Aussenministeriums, dass 49 von 68 Befragten die Führung kritisch beurteilten, wobei einige sie als «diktatorisch» oder «autokratisch» bezeichneten.

Da die CDC nun in ihren Zuständigkeitsbereich fällt, stellte Birx Forderungen. Während einiger Treffen kam es zu Zusammenstössen mit Schuchat und anderen wegen der Coronavirus-Daten, die die CDC aus Krankenhäusern sammelten. Sie wollte viel mehr Details, und sie wollte sie schneller haben. Sie erwartete, dass jedes Krankenhaus jeden Tag alle Daten meldet.

Wenn private Unternehmen Daten sammeln
Im April beauftragte das HHS schliesslich die «TeleTracking Technologies Inc.» zusammen mit den CDC mit der Erhebung von COVID-Daten. Das Unternehmen aus Pittsburgh hatte jedoch Schwierigkeiten, genaue Informationen zu erhalten. Eine CDC-Analyse im Mai stellte fest, dass bei 57 Prozent der Spitäler, die an TeleTracking berichteten, Daten über die Verwendung von Beatmungsgeräten fehlten. Bei Krankenhäusern, die im selben Zeitraum mithilfe des CDC-Systems berichteten, fehlten diese Angaben bei nur sechs Prozent.

Anstatt zuzugeben, dass Daten fehlen, meldete das Unternehmen der CDC-Analyse zufolge stattdessen einfach Nullen.

Trotzdem fügte TeleTracking noch einmal zahlreiche Datenfelder zu den Formularen hinzu, welche die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Krankenhäuser täglich ausfüllen mussten. Die Datenexperten der CDC weigerten sich und warnten davor, dass Krankenhäuser, die mit einem Formular mit 91 Kategorien konfrontiert werden, diese leer lassen oder unzuverlässige Zahlen angeben würden.

Um dieser Sackgasse zu entkommen, forderte die Regierung im Juli sämtliche US-Krankenhäuser auf, die Meldung von Coronavirus-Daten an die CDC einzustellen. «Das ist wirklich fast wie der letzte Schlag, um der CDC zu zeigen, dass sie aus dem Spiel ist», sagt ein ehemaliger Landesdirektor der CDC-Abteilung in China. «Wir trauen TeleTracking nicht einmal zu, dass Sie mit den Basisdaten umgehen können.»

Ein Sprecher von TeleTracking verteidigte die Leistung des Unternehmens. TeleTracking habe unter der Leitung von HHS ein Datenerfassungssystem entwickelt, das es mehr Krankenhäusern ermögliche, ihre Daten schneller und zuverlässiger als je zuvor zu melden. Seit der Umstellung im Juli habe sich die Einhaltung der Vorschriften um mehr als 25 Prozent verbessert. Das mag auch daran liegen, dass Birx den Krankenhäusern, aus denen keine Daten fliessen, den Verlust ihrer Medicare- und Medicaid-Finanzierung angedroht hatte. Ein tödlicher Schlag für jedes US-Krankenhaus.

Expertinnen und Experten von CDC fürchten nun, dass Krankenhäuser bei ihren Bemühungen, die strikten neuen Vorschriften einzuhalten, sparen könnten. Ein Wissenschaftler sagte gegenüber «Pro Publica», dass die harte neue Politik «ein Problem unvollständiger Daten in ein Problem ungültiger Daten verwandelt».

Schulschliessungen: Interessen- statt Gesundheitspolitik
Im Sommer waren die US-Gemeinden voller Angst, wie sie die seit dem Frühjahr geschlossenen Schulen sicher wiedereröffnen könnten. Auch sie wandten sich an die CDC und fragten um Rat. Aus früherer Erfahrung wussten die Karrierewissenschaftler der CDC, dass Schulen ein heikles politisches Terrain sind. Das letzte Mal, als die USA 2009 von einer Pandemie heimgesucht wurden, verursachten die CDC eine starke politische Gegenreaktion, als sie ein- bis zweiwöchige Schulschliessungen vorschlug.

Ende Juni veröffentlichten die CDC eine Checkliste für die Wiedereröffnung von Schulen, die auch Ratschläge zu Social Distancing und Masken enthielt. Trump wetterte daraufhin auf Twitter, dass er mit den «sehr harten und teuren Richtlinien der CDC für die Wiedereröffnung von Schulen» nicht einverstanden sei.

Diese Checkliste sollte nur der Anfang der CDC-Ratschläge zur Wiedereröffnung der Schulen sein. Allerdings mischten sich erneut unzählige verschiedene Partien in die Kompetenzen der CDC ein. Sogar Trumps Tochter Ivanka, die vorschlug, Lehrern und Verwaltungsangestellten mit hohem Risiko für COVID-19-Komplikationen bezahlten Krankenstand zu gewähren. In einem Abschnitt, der den höheren Covid-Anteil unter hispanischen Kindern beschrieb, wollte das Anwaltsbüro des Weissen Hauses, dass die CDC einen Hinweis auf die mexikanische Grenze hinzufügen solle.

Die hitzigsten Auseinandersetzungen betrafen jedoch ein Büro für psychische Gesundheit des Gesundheitsministeriums, das die Rolle der Schulen als integralen Bestandteil des psychischen Wohlbefindens der Kinder hervorhob. Das Büro kritisierte das CDC-Team, weil es einen übermässig negativen «Wälzer» geschrieben habe, der ein «Rezept dafür ist, dass Schulen geschlossen bleiben».

Das Amt für psychische Gesundheit kritisierte die CDC wegen ihrer «langen Liste von Warnungen» und schrieb einen eigenen – deutlich abgeschwächten – Leitfaden für Eltern.

Das Weisse Haus bestand darauf, dass das Schreiben des Amtes für psychische Gesundheit zuoberst auf der entsprechenden CDC-Homepage veröffentlicht wurde. Diejenigen, die sich die Mühe machten, weiter unten auf der Seite die wirkliche CDC-Anleitung zu lesen, waren durch die widersprüchlichen Botschaften verwirrt. «Wir wussten bei der CDC nicht, dass man uns zwingen würde, es auf unserer Website zu veröffentlichen», sagte ein CDC-Mitarbeiter. Ein Vorgehen, das von vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als «Propaganda» bezeichnet wurde.

Im August erarbeitete das Weisse Haus dann neue Leitlinien für Schulen. Unter dem Titel «Schulen sollten sicher eröffnen», widersprach die Trump-Regierung den CDC-Empfehlungen betreffend Social Distancing und dem Tragen von Masken und schrieb die Risiken für Lehrer und Schüler klein. Die CDC erhoben Einspruch, das Weisse Haus veröffentlichte die neue Richtlinie trotzdem.

«Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind Handlanger des ‹Deep State’»
Auch Michael Caputo tat alles, um die CDC von der Wissenschaft weg und auf Trumps Linie zu bringen. Caputo ist ein politischer Fixer, der von Trump selbst handverlesen wurde, um die Kommunikation im Ministerium für Gesundheitspflege und Soziale Dienste zu überwachen.

Der Protegé des verurteilten Betrügers Roger Stone hatte als Berater russischer Politiker gedient, für Trumps Kampagne gearbeitet und Verschwörungsfantasien gefördert. Kurz nach seiner Ankunft bei der HHS begann Caputo, sämtliche CDC-Empfehlungen zu kritisieren, die als Widerspruch zu Trumps politischer Botschaft angesehen wurden. Er stellte bald klar, dass jeder der es wagte, ohne Genehmigung mit einem Journalisten zu sprechen, entlassen werden konnte.

Caputo musste schliesslich eine krankheitsbedingte Beurlaubung in Anspruch nehmen, nachdem er auf seinem persönlichen Facebook-Account ein Live-Video moderiert hatte, in dem er «Wissenschaftler aus dem ‹Deep State’» der «Aufwiegelung» bezichtigte und seine Anhänger aufforderte, sich in Erwartung politischer Umwälzungen mit Munition einzudecken. In dieser Tirade, über die die New York Times berichtet hatte, sagte Caputo, dass die CDC-Wissenschaftler nur aus ihren Jogginghosen gewechselt hätten, um sich in Coffeeshops zu treffen und zu planen, «wie sie Donald Trump als nächstes angreifen werden».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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US-Politik unter Donald Trump

Weichenstellungen: An seinen Entscheiden ist Trump zu messen, nicht an seinen widersprüchlichen Aussagen.

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Eine Meinung zu

  • am 3.11.2020 um 10:51 Uhr
    Permalink

    @WernerSchenkel: Danke, ich pflichte Ihnen voll und ganz bei. Das ewige, eigentlich für den IS unübliche, Trump- bashing – und darauf läuft das Ganze hinaus – sollte endlich aufhören. Alle rühmen z.B. Obama, einen Kriegstreiber mit Friedensnobelpreis (es darf gelacht werden!). In welcher hirnlosen Welt leben wir mittlerweile?

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