Kommentar
Die Reichsten schaden dem Klima am meisten
In den klimapolitisch wichtigen Jahren zwischen 1990 und 2015 verursachte das weltweit reichste Prozent der Weltbevölkerung 15 Prozent der Klimagasemissionen – doppelt so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Menschheit.
Diese Zahlen stammen aus einem Bericht, den die britische Entwicklungsorganisation «Oxfam» und das «Stockholm Environment Institute» (SEI) aus Finanz- und Klimadaten zusammengestellt und im September 2020 publiziert haben. Die Untersuchung deckt 117 Länder und etwa 90 Prozent der Weltbevölkerung ab.
Geld killt Klima
Mehr als die Hälfte klimaaktiver Emissionen (52 Prozent) an CO2, Methan und Lachgas während des untersuchten Zeitraums gingen auf das wohlhabendste Zehntel der Weltbevölkerung zurück, stellt der Bericht fest.
Das dürfte auch 2020 noch so sein, denn an den Verhältnissen in der Klimahierarchie hat sich während dieser Zeit wenig geändert. Produzierten die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung 1990 genau die Hälfte der weltweiten Klimagase, war ihr Anteil 2015 mit 49 Prozent der Emissionen kaum kleiner.
Am unteren Ende der Einkommensskala sieht es ähnlich aus. Diese Entwicklung haben die Wissenschaftler in einer Grafik dargestellt, die sie «Champagner-Glas-Grafik» nennen:
Das «Champagner-Glas» zeigt den Anteil der globalen Treibhausgas-Emissionen für jede Wohlstandsgruppe. (Oxfam, SEI).
Zwischen 1990 und 2015 nahmen die Klimaemissionen weltweit um 60 Prozent zu. Das Cüpli wurde grösser und zwar am oberen Ende. Die Zunahme war beim reichsten Prozent der Menschheit dreimal so gross wie bei der ärmeren Hälfte der Menschheit. Die in der Benennung von Visualisierungen einfallsreichen Autoren fassen das in einem «Dinosaurier-Diagramm» zusammen.
Grundsätzlich ist diese Verteilung nachvollziehbar: Wer viel besitzt, konsumiert viel und verursacht damit mehr Treibhausgase. Wer wenig Geld hat, kauft nur das Notwendigste, ist wenig mobil und beansprucht wenig Raum. Mindestens die dem wohlhabendsten Zehntel folgenden 40 Prozent der Menschheit sind aber weder arm noch eingeschränkt.
Die Wohlhabenden leben auf zu grossem Fuss
Betrachtet man die CO2-Emissionen, die die Menschheit noch ausstossen darf, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, als CO2-Budget, das uns noch bleibt, geben die Reichsten davon den grössten Teil aus, rechnet «Oxfam» vor.
Die meiste «Carbon-Währung» wird für die kohlenstoffgetriebene Mobilität der Wohlhabenden ausgegeben. Einen grossen Anteil daran haben die wachsende Beliebtheit von SUV und häufige Flugreisen.
Das CO2-Budget der Durchschnittsbevölkerung schrumpft immer weiter
Dieser Überkonsum ist nicht nur ungerecht, er schränkt den Handlungsspielraum aller anderen zunehmend ein. Anstrengungen, den eigenen CO2-Fussabdruck zu verringern, fallen beim Durchschnittsmenschen weniger ins Gewicht, auch dann, wenn viele Menschen sich darum bemühen.
Sogar in wohlhabenden Ländern fliegen die meisten Menschen beispielsweise nur wenig, einige wenige aber oft und auch weit. Für Klimaorganisationen, grüne Parteien und einige Bürgerräte ist das eines der Argumente dafür, warum politische Massnahmen wie etwa eine Vielfliegersteuer nötig und sinnvoll sind.
«Der bestmögliche, moralisch vertretbare Weg [zur Bewältigung der Klimakrise] besteht darin, dass die ganze Menschheit ein anständiges Leben führt. [Das Kohlenstoffbudget] ist von den Reichen aber bereits aufgebraucht worden, indem sie noch reicher geworden sind», verdeutlicht Tim Gore, der Hauptautor der Studie, gegenüber dem «Guardian».
Diese «Klima-Ungleichheit» haben schon vor «Oxfam» bereits andere festgestellt, so etwa der Ökonom Thomas Piketty. Der Teil der Menschheit, der zur Klimakrise am wenigsten beigetragen hat, bekommt die Folgen dazu am heftigsten zu spüren und ist am wenigsten davor geschützt. Wegen Naturkatastrophen wie Stürmen, Überschwemmungen und Bränden müssen heute schon dreimal mehr Menschen ihren Wohnort verlassen als wegen bewaffneter Konflikte.
630 Millionen Menschen haben mehr Einfluss auf das Klima als der Rest der Erdbevölkerung
Umgekehrt bedeuten die Zahlen von «Oxfam» aber auch, dass ein kleiner Teil der Weltbevölkerung das Klima spürbar verändern kann. Um das Champagnerglas wenigstens in eine Sektflöte zu verwandeln oder dafür zu sorgen, dass das Glas für die gesamte Menschheit halbvoll ist, müssten die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung bis 2030 auf 90 Prozent ihrer «Klima-Ausgaben» verzichten, rechnet «Oxfam» vor. Etwa 630 Millionen Menschen haben damit mehr Einfluss auf das Klima als der gesamte Rest der Menschheit.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Hans Rosling wusste das schon vor 10 Jahren und hat dies in einem eindrücklichen Vortrag erklärt:
https://www.youtube.com/watch?v=BZoKfap4g4w&t=52s&ab_channel=TED
Als jemand, dem es aus Armutsgründen staatlich verboten wurde, im vergangenen Jahr weder einen Arzt aufzusuchen noch wichtige Medikamente zu beziehen, zähle ich mich nicht zu den oberen Zehntausend. Dennoch möchte ich auf folgenden Umstand hinweisen: In den vergangenen 8‘000 Jahren war es schon wärmer als heute, und kälter als heute – bei einem CO2-Gehalt von aber nur 260 bis 280 ppm (heute 415). Kann jeder selber nachkontrollieren.
Damit will ich keinesfalls die Grundaussagen des Artikels in Frage stellen. Im Gegenteil: Working poor sind und bleiben der wahre Motor der Wirtschaft bzw. die Quelle übermässigen Reichtums (bei Dritten).
Liebe Frau Gschweng, einmal mehr denken Sie eine Frage nicht zu Ende, wenn Sie in Titel und Schlussfolgerung meinen, dass die reichsten 10% der Weltbevölkerung bis 2030 auf 90 Prozent ihrer «Klima-Ausgaben» verzichten sollten. Damit wäre gar nichts gewonnen, der Temperaturanstieg würde sich beschleunigend weitergehen, nur würde die Beschleunigung etwas reduziert. Für einen wirklichen Effekt müssten auch die 40% der reicheren (dazu gehören wir Schweizer und alle sog. «entwickelten» Nationen) ihren Verbrauch drastisch reduzieren. Weiteres dazu hier: https://lukasfierz.blogspot.com/2020/10/tabus-und-illusionen-in-der-umweltfrage.html. Was jedem bleibt, wenn die ganze Menschheit ein «anständiges Leben» führen soll hat eine Arbeitsgruppe in Leeds ausgerechnet: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0959378020307512?via%3Dihub:
Pro Person:
2000-2150 Kalorien vegetarische Nahrung (das ist knapp, für körperliche Arbeit zuwenig, niemand wird übergewichtig).
15 Quadratmeter Wohnfläche (incl. Gemeinschaftsräume).
50 Liter Frischwasser/Tag.
20 Liter Warmwasser/Tag.
6 Stunden 10 Watt Stromsparlampe/Tag.
4 kg neue Kleider/Jahr.
80 kg Wäsche/Jahr.
1 Telefon alle 10 Jahre.
5000-15000 Personenkilometer
Pro Vierkopffamilie:
1 Laptop
Die Autoren selber bezeichnen dieses Ergebnis als optimistisch und es gibt Argumente, dass die Zuteilungen hier erheblich zu hoch gegriffen sind. All das ist so unbequem, dass die Grünen und auch der Infosperber davon nicht reden.
Ich möchte Frau Gschweng keinesfalls unterstellern, dass sie mit ihrem Artikel einfach Neid schüren will. Aber worauf will sie letztlich hinaus? In einer Demokratie, die diesen Namen verdient, kann eine zahlenmässige Mehrheit jederzeit dafür sorgen, dass der im Artikel beschriebene Missstand ein Ende hat. Aber eben: Nicht jedes Land auf der Erde ist demokratisch regiert. Und nicht jede «Demokratie» ist wirklich eine, weil … ja warum? «weil das Volk dumm gehalten wird ?», «weil die Medien ihre kritische Rolle nicht mehr richtig wahrnehmen?», «weil man mit genügend Geld alles erreicht, auch die nötigen Stimmen?» (Ganz kleines Beispiel am Rand: Obwohl in der Schweiz die Mehrheit aus Mieterinnen und Mietern besteht, machen wir bezüglich Schutz der Mieter kontinuierlich Rückschritte!)