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Werbung auf der Homepage der Schweizer Gaswirtschaft © vsg

Gaslobby wäscht sich grün – mit heute erst zwei Prozent Biogas

Hanspeter Guggenbühl /  Biogas und Wasserstoff sollen den – heute fossilen – Gaskonsum «klimaneutral» machen. Doch der Weg ist lang und verlustreich.

Die Schweiz muss ihre Treibhausgase (CO2, Methan und weitere) bis 2050 netto auf Null senken und damit «klimaneutral» werden. Dieses anspruchsvolle Ziel setzt – nach der Gletscher-Initiative – auch der Bundesrat. Die Schweizer Gaswirtschaft will auf diesem Zug mitfahren.

Mit Gas in die «klimaneutrale» Energiezukunft?

Unter dem Signet «gazenergie», verziert mit einem Buchenblatt, wirbt der «Verband der Schweizerischen Gasindustrie» (VSG) für «Gas als Fundament der Energiezukunft», die «klimaneutral» sein werde. Dazu veröffentlicht er zurzeit in Tages- und Wochenzeitungen halbseitige Inserate, «Publireportage» genannt, die Biogas, Wasserstoff sowie synthetisches Methan als «klimaneutrale Gase» anpreisen.

Diese Inserate-Kampagne vertieft der VSG auf seiner Homepage mit weiteren Schriften. Dazu gehören das Thesenpapier mit der Vision einer «klimaneutralen Energiezukunft» (siehe Bild über diesem Artikel) sowie eine Broschüre mit dem Titel «Nur mit Wasserstoff lassen sich die Klimaziele erreichen». CO2-freies Gas und Wasserstoff sollen also bis 2050 das fossile Erdgas in der Schweiz vollständig ersetzen (nebenbei: Derweil baut die deutsche Gaswirtschaft mit Nordstream 2 ihre Importkapazität für fossiles Erdgas aus Russland weiter aus).

Gegenwart: 2 Prozent Bio-, 98 Prozent fossiles Erdgas

Weniger grün als die Vision ist die Gegenwart der Schweizer Gaswirtschaft. Das zeigt der Blick in die offizielle Energiestatistik des Bundes: 2019 konsumierten Bevölkerung und Wirtschaft in der Schweiz 32,5 Milliarden Kilowattstunden (Mrd. kWh) Gas; das entspricht einem Anteil von 14 Prozent am gesamten inländischen Endenergieverbrauch. Von dieser Gasmenge entfielen 2 Prozent auf Biogas (1 % im Inland produziert, 1 % importiert). Bei den restlichen 98 Prozent handelt es sich um importiertes fossiles Erdgas, das bei der Verbrennung CO2 in die Atmosphäre pufft.

Der Anteil des Wasserstoffs, den die Energielobby schon seit Jahrzehnten als «Hoffnungsträger einer erneuerbaren Energiezukunft» anpreist, bewegt sich heute im Promillebereich. Sein Einsatz als Energieträger beschränkt sich weitgehend auf wenige, mit Brennstoffzellen angetriebene Nutzfahrzeuge.

Die insgesamt geringe Menge an fossilfreiem Gas steht im Kontrast zur Propaganda. So werben Gasverkäufer immer mal wieder mit Häusern oder Autos, die zu zehn bis hundert Prozent mit Biogas versorgt würden. Damit kopieren sie das Marketing von Stromunternehmen: Beide verkaufen einen Teil ihres begrenzten Angebots an sogenannt grüner Energie, sei es Solarstrom oder Biogas, als virtuelle Produkte an umweltaffine KonsumentInnen, die damit ihr Gewissen reinigen. Entsprechend kleiner wird damit der Anteil dieser begrenzten grünen Energie für alle andern. Real aber erhalten alle Konsumierenden an der Steckdose oder Gasleitung den gleichen Energiemix. Soviel zum Grünwaschen.

Klimaneutralität ist technisch möglich

Rein technisch ist der Umbau von Erdgas zu CO2-freiem Gas möglich. Verschiedene Technologien stehen zur Verfügung: Wasserstoff lässt sich mittels Elektrolyse aus Strom und Wasser gewinnen. Die Herstellung von Biogas mittels Vergärung kann begrenzt noch erhöht werden; begrenzt deshalb, weil die verfügbare Biomasse (nachwachsendes Holz und Pflanzenabfälle) bei weitem nicht ausreicht, um den heutigen Gaskonsum zu decken. Zudem beanspruchen Anbieter von Holzheizungen oder flüssigem Treibstoff ebenfalls Biomasse. Technisch ebenfalls machbar ist die Abscheidung von CO2 aus Erdgas; doch selbst bei Kohlekraftwerken, wo die CO2-Abscheidung am effizientesten wäre, hat sich diese Technik aus wirtschaftlichen Gründen bis heute nicht durchgesetzt.

Das Problem: Alles, was technisch machbar ist, um die heute dominierende fossile Energie – nicht nur beim Gas – durch eine «klimaneutrale» Energieversorgung zu ersetzen, braucht viel Zeit, Geld und vor allem zusätzliche Energie. Denn jede Energieumwandlung führt zu energetischem Verlust. Dazu, grob beschrieben, das Beispiel der Herstellung von Wasserstoff mittels Elektrolyse, die sowohl von der Gas- als auch von der Solarlobby unter dem Stichwort «Power to Gas» als Weg in die Energiezukunft propagiert wird:

Beispiel Wasserstoff: «Power to Gas» – und retour

Um mit Elektrolyse eine Energiemenge von 70 Kilowattstunden (kWh) in Form von Wasserstoff herzustellen, braucht es rund 100 kWh Strom; es entsteht also ein Energieverlust von 30 Prozent. Der so gewonnene Wasserstoff kann ins Gasnetz eingespeist werden, heute zu einem Anteil von zwei Prozent, später, so hofft die Gaswirtschaft, zu einem Anteil bis 30 Prozent. Damit verdünnt Wasserstoff entweder das Erdgas (und reduziert damit dessen CO2-Gehalt). Oder es streckt die kleine Menge an Biogas. Auf diese Weise kann der Gas-Wasserstoff-Mix direkt zum Heizen oder für Industriefeuerungen verwendet werden, und es bleibt beim Wirkungsgrad-Verlust von 30 Prozent.

Die «Power-to-Gas»-Technik soll aber vor allem dazu dienen, überschüssige Elektrizität aus dem Sommerhalbjahr in Form von Wasserstoff zu speichern und im Winterhalbjahr, wenn Strom knapp ist, wieder zu verstromen. In diesem Fall wird der Wasserstoff (respektive das mit Wasserstoff verdünnte Gas) in einem Gaskraftwerk zu Elektrizität zurückgewandelt. Ein modernes Gas-Kombi-Kraftwerk hat einen Wirkungsgrad von rund 60 Prozent- Bei der Umwandlung von Gas respektive Wasserstoff zu Strom entsteht also ein zusätzlicher energetischer Verlust von 40 Prozent. Das heisst: Um mit den Techniken «Power to Gas» und retour «Gas to Power» 42 kWh Winterstrom zu produzieren, müssen Kraftwerke zuersr 100 kWh überflüssigen Sommerstrom erzeugen.

Je höher der Konsum, desto teurer die Wende

Damit der ganze Prozess hin und her «klimaneutral» verläuft, muss der überflüssige Sommerstrom aus Wasser-, Wind- oder Solarkraft stammen. Die Erzeugung von zusätzlichem erneuerbarem Strom, aber auch die Anlagen zur Energieumwandlung erfordern zusätzliche Investitionen und damit viel Geld, was den ganzen Prozess unwirtschaftlich macht respektive zusätzliche Subventionen erfordert.

Allein dieses Beispiel zeigt. Der Weg in eine «klimaneutrale» Gasversorgung ist technisch machbar, aber mit hohen Kosten und energetischen Verlusten verbunden. Um diese Kosten und Verluste zu vermindern, muss die Schweiz den Umstieg in eine klimaneutrale Energieversorgung» mit einer griffigen Energiespar-Politik verbinden. Denn je weniger Energie (ob Erdöl, Erdgas oder Strom) wir konsumieren, desto kleiner werden die Kosten und energetischen Verluste der – notwendigen – Energiewende.

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6 Meinungen

  • am 18.09.2020 um 12:17 Uhr
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    Wasserstoff kann durchaus einen Beitrag leisten, denn Wasserstoff ist transportierbar und er kann – wie Batterien – als Energiespeicher verwendet werden, z.B. über den Winter und generell dann, wann die Sonnenstrahlung für Solaranlagen niedrig ist. Entscheidend ist jedoch, dass für die Elektrolyse zur Wasserstofferzeugung ausschliesslich saubere Energie, also nichtfossile Energie, verwendet wird und dass er möglichst lokal produziert wird – sonst verbrauchen wir wegen der Umwandlungs- und Transportverluste tatsächlich noch mehr fossile Energie. Zusammen mit Solar-, Wind und Wasserstrom ist Wasserstoff aber ein weiterer Mosaikstein zur Reduktion des CO2-Ausstosses und zur Vermeidung von Luftschadstoffen.
    Ueli Schlegel

  • am 18.09.2020 um 13:43 Uhr
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    Der Mensch sei vernünftig, aber genauer mehr oder weniger. U.a. ist es auch praktisch vernünftig, die Schwachen auszurauben, denn die Starken könnten sich ja wehren.
    Der Mensch sei auch riskiert, weil er eher einen kurzfr. Nutzen erkennt, aber meist langfr. Gefahren bewusst oder fahrlässig ausblendet.
    Gegen die Macht der Besitzstandswahrer und ihre Opportunisten, vulgo konservativ bei Macht u. Einkommen aus Eigentum, hilft auch demokr. Gewaltenteilung nicht.
    Derzeit werden jährlich 400 Mrd.$ allein von den übermächtigen globalen fossilen Kapitalgesellschaften in neue Förderkapazitäten investiert. Die müssen sich wachsend rentieren, denn ohne unnatürliches Wachstum bricht der Libertäre Kapitalismus zusammen. Der Fremdkapitalanteil/Schulden am Gesamtkapital steigt unverhältnismässig.

    El.Energie aus PV und Windkraft, mit smarten Netzen u. neuartigen stationären Speichern.
    Von den Fossilen wurde auch der sog. Thermo-Magnetische-Motor seit 1880 unterdrückt., der durch rührige Schweizer Ingenieure zur Entwicklungsreife gebracht wird. Da werden niedrige Temperaturdifferenzen (20°) genutzt.
    http://www.sbe-og.ch
    Statt das vergiftete Geschenk fossiler Energieträger, flüssige oder gasförmige Energie-Tträger u. Speicher aus natürlicher Photosynthese. Die üblichen Landpflanzen sind dafür wenig effizient, gegenüber sog. Mikroalgen ein 20 mal höherer Flächenverbrauch. Ausserdem kann man da auch Meeresflächen, Sand u. Stein-Wüsten nützen.

  • am 18.09.2020 um 15:44 Uhr
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    Mittels einer Mischung korrekter und nicht ganz korrekter Informationen, sowie einer Prise Moralin versucht Hanspeter Guggenbühl… tja, was eigentlich? Am Ende des Artikels ist man nicht viel schlauer und fragt sich, was die Kernaussage ist, ausser vielleicht der, dass wir mit unseren Ressourcen schonen umgehen sollen. Gegen Letzteres ist nichts einzuwenden. Wohl aber gegen Behauptungen über die Effizienz oder Ineffizienz von Power-to-Gas. Leider lässt uns Herr Guggenbühl im Unklaren darüber, woher er die entsprechenden Zahlen hat. Er erwähnt aber vor allem auch nicht, dass es ganz andere Erfahrungswerte und Schätzungen gibt. Sunfire zum Beispiel rechnet mit einem Verlust von lediglich 20%, sowohl bei Power-to-H2, als auch bei H2-to-Power. Hinzu kommt, dass überschüssiger Strom per definitionem nicht genutzt werden kann. Man müsste damit, wie schon in Deutschland geschehen, unsinnigerweise Schienen aufheizen oder die Stromlieferanten abstellen. Bei der Berechnung des Wirkungsgrads sollte man deshalb beide Szenarien gegenüberstellen: Null Strom(verwendung) versus sinnvolle Verwendung. Was bei der Division mit Null herauskommt, sollte jedem, der in der Schule rechnen gelernt hat, bekannt sein: unendlich. Die Effizienz von Power-to-Gas bei Verwendung von Überschusstrom ist also unendlich viel effizienter, als den Strom nicht zu verwenden.

  • am 18.09.2020 um 20:46 Uhr
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    Durch den Wegfall der fossilen Energieträger und dem AKW-Strom wird das Wintermako noch grösser. Massive Überschüsse von Solarstrom fallen dagegen im Sommer an. Der entsprechende Transfer in den Winter ist theoretisch möglich, aber praktisch kaum zu bezahlen. Dies auch bei «Power zu Gas»: Was im Sommer in die bestehenden Leitungen eingespeist wird, ist in kurzer Zeit verbraucht – der Nutzen für den Winter folglich nahezu Null.

  • am 21.09.2020 um 11:59 Uhr
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    Ich schliesse mich der Meinung von Peter Metzinger an. Wenn überschüssiger, erneuerbarer Strom für Power-to-Gas eingesetzt wird, dann verlieren Wirkungsgrade an Bedeutung. Mir fehlt im Beitrag auch der Aspekt «Strassenverkehr», der für immerhin rund 30 Prozent unserer CO2-Emissionen verantwortlich ist. Gerade hier ist es wichtig, dass wir auf verschiedene Technologien setzen. Neben dem Elektromotor eben auch H2 und CH4, also synthetisches Methan oder Biogas. Dem CNG (Compressed Natural Gas) an den Schweizer CNG-Tankstellen war 2019 im Durchschnitt 23,6 Prozent Biogas beigemischt – und die Gasbranche hat sich zum Ziel bekannt, diesen Anteil bis 2023 auf 30 Prozent zu erhöhen. Der Bundesrat anerkennt in seiner Energieeffizienzverordnung einen biogenen Anteil von 20 Prozent. Das heisst, er gewährt so quasi einen «Rabatt» von 20 Prozent auf den am Auspuff eines CNG-Fahrzeugs gemessenen CO2-Ausstoss, weil diese 20 Prozent ja bei der Entstehung des Biogases der Atmosphäre entzogen wurden. Und was man auch nicht vergessen darf: Ein CNG-Fahrzeug stösst 15 bis 25 Prozent weniger CO2 aus als ein Benziner oder ein Diesel. Mit 100 Prozent Biogas ermöglicht CNG schon heute praktisch klimaneutrale Mobilität.

  • am 21.09.2020 um 18:13 Uhr
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    @ P. Metzinger: Die Aussage des Artikels von Hanspeter Guggenbühl ist glasklar: Die Gasindustrie betreibt «Greenwashing». Schon der Ausdruck «Naturgas» für eine Mischung aus fossilem Erdgas und (einem bisschen) Biogas ist grenzwertig. Und das Beimischen von Wasserstoff, der aus «Überschuss-Strom» erzeugt wurde, ist ebenso grenzwertig, wenn es dazu dient, weiterhin fossiles Erdgas zu vermarkten. Ich bezweifle übrigens, dass die bestehenden Erdgasleitungen dicht genug sind, um die viel kleineren Wasserstoffmoleküle erfolgreich an ihr Ziel zu leiten; viel wahrscheinlicher ist, dass sie vorher aus dem System wegdiffundieren. Zusammengefasst: Fossiles Erdgas ist (genau wie Erdöl und seine Derivate) ein Produkt, das möglichst rasch und vollständig abgelöst werden soll, wenn es uns um Massnahmen im Sinne des Pariser Abkommens geht. Eine viel bessere Regelung der Stromnetze macht Massnahmen wie «Power-to-Gas» in Zukunft schlicht und einfach obsolet. Zum Schluss ein Kompliment an Hanspeter Guggenbühl: Seine Wirkungsgradüberlegungen sind ganz einfach richtig und eindrücklich. Die von ihm beschriebenen Mechanismen sind «Energievernichtungsanlagen» wie zum Beispiel Speicherkraftwerke.

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