Selber ins Knie geschossen
Die National Rifle Association NRA ist eine der mächtigsten Lobbyorganisationen in den USA. Zwar geben Big Tobacco oder die Pharmabranche mehr Geld für die Beeinflussung von Politikern aus. Aber die Waffenfreunde haben den einmaligen Vorteil, dass Millionen von Menschen ihre Anliegen tagtäglich verteidigen. So wurden im ersten Halbjahr 2020 in den USA bereits über 12 Millionen Waffen verkauft.
Das ist nur eine Million weniger als der gesamte Verkauf von 2019. Die Corona-Pandemie, Proteste gegen Rassismus, Nationalgarden in Grossstädten, ein Präsident mit martialischer Sprache und Politik befeuern offenbar den Wunsch, sich mit seiner eigenen Waffe zu schützen.
Der zweite Zusatz zur US-Verfassung postuliert das Recht, eine Waffe zu besitzen und sein Eigentum notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen. Er stammt aus dem Jahr 1791. Aber sämtliche Bemühungen, das Prinzip auf eine Grundlage zu stellen, die der Neuzeit entspricht, sind bisher gescheitert. Auch dank der NRA: Denn jedes Mal, wenn nach einem Massaker oder neuen Höchstzahlen von Schusswaffentoten nach einer strengeren Regulierung des Waffenbesitzes gerufen wird, tritt sie auf den Plan. Bei den Wahlen im Jahr 2016 gingen allein 50 Millionen Franken an die Trump-Kampagne und an der NRA-genehme Senatoren der Republikaner. Die Wahl von Donald Trump war ein Freudenfest für die Organisation, sie rief den Moment als historisch aus und wollte ein für allemal die Waffengegner ausschalten.
Versicherung ohne Lizenz verkauft
Heute, nicht mal vier Jahre danach, steht der mächtige Verein kurz vor der Auflösung. Für die Wahlen im Herbst hat die NRA erst 250’000 Dollar eingesetzt, mehr Geld ist nicht mehr da, wie das Magazin New Republic schreibt (Artikel unter Abo).
Der tiefe Fall ist selbstverschuldet, denn die Verantwortlichen schienen trunken von der Macht und glaubten sich unangreifbar. Nun sind es aber zwei eher unbekannte Aufsichtsbehörden in New York, die der mächtigen Organisation das Fürchten lehren. Da ist einmal die Versicherungsaufsicht: Die NRA verkaufte unter ihrem Dach die Versicherung Carry Guard. Sie soll Schäden abdecken, die Waffenbesitzer zu tragen haben, wenn sie glauben, sich mit der Waffe verteidigen zu müssen. Aufgrund eines anonymen Tipps stellte die Versicherungsaufsicht fest, dass die NRA gar keine Lizenz zum Verkauf von Versicherungen hat und hatte so die Möglichkeit, das Konstrukt und die Bücher genauer anzuschauen. Die zweite staatliche Stelle die aufgrund der Durchleuchtung in Aktion trat, war die Aufsicht über Wohltätigkeitsorganisationen. Denn: Die NRA ist als eine «Wohlfahrtsorganisation» eingetragen und deshalb von den Steuern befreit. Da passt es nicht, dass der Geschäftsführer Wayne LaPierre mehr als zwei Millionen Dollar Lohn erhält und sich auf Kosten der Organisation für mehrere hunderttausend Dollar beim noblen Herrenausstatter Zegna eindecken lässt. Auch wollte er sich von seinem Arbeitgeber eine Villa kaufen lassen, da er sich in seiner Sicherheit bedroht fühlte und nur ein riesiges Anwesen dieses Unwohlsein hätte beheben können.
Spender wehren sich
Über 400 Millionen Dollar an Spenden generiert die Organisation über ihre fünf Millionen Mitglieder. Damit wird auch ein ganzes Medienimperium betrieben, das wiederum für Einnahmen sorgt: Unter den Publikationen ist der «American Hunter» noch die harmloseste, es gibt auch das Magazin «Armed Citizen», «Shooting Illustrated», den «American Rifleman», «NRA Family» und natürlich auch «NRA Women». Da kann man dann Dinge lesen, wie die Beschreibung der Vorteile des Revolvers im täglichen Gebrauch im Vergleich zur Pistole oder welches Holster am besten zur SIG Sauer P365 passt. Schiessen kann man per Online-Kurse lernen, der Kids-Club mit Eddie Eagle gibt schon den Kleinen Waffenkunde und der praktische Reiseratgeber USA informiert über die Waffengesetze in den verschiedenen Staaten.
Auch der Fernsehkanal NRATV gehörte bis vor einiger Zeit ins Portfolio. Dafür wurden der NRA-Haus-Agentur Ackermann McQueen jährlich 40 Millionen Dollar bezahlt. Über diese Agentur liess sich auch der Präsident der NRA, der sein Amt eigentlich ehrenamtlich ausüben sollte, bezahlen. Und das mit etlichen Millionen nicht zu knapp, er amtete einfach als Moderator bei NRATV. Dieser Präsident war übrigens Oliver North – ja, der Oliver North, Schlüsselfigur in der Iran-Contra Affäre.
Als dann aber erste Ungereimtheiten an die Öffentlichkeit kamen, passierte das, was immer passiert, wenn die ersten Risse in der schönen Fassade auftauchen: Jeder kämpft gegen jeden. North ist in der Zwischenzeit weg und auf Geschäftsleiter LaPierre kommen ebenfalls harte Zeiten zu. Die Aufsicht über die Wohltätigkeitsorganisationen hat nun nämlich detaillierten Einblick in die gesamte Geschäftsführung verlangt. Sie will auch wissen, ob es legal war, soviel Geld als Spenden in die Kampagne von Trump und anderen Politiker zu stecken.
In der Zwischenzeit äussern sich auch Mitglieder erbost über die Zustände an der Spitze der Organisation. Gegenüber dem Christian Science Report hat ein Grossspender (165 Millionen Dollar pro Jahr) angekündigt, die Verbandsspitze mit einer Klage auf Bundesebene wegen Bereicherung und Betrug zu verfolgen. «Niemand schaut aufs Sparschwein. Sie alle werden fett auf Kosten der hart verdienten Dollars der Mitglieder», ereifert sich der Grossspender.
«Gedanken und Gebete»
Die Implosion der mächtigen Vereinigung kommt für sie und ihre Supporter im denkbar schlechtesten Moment: Die Wahlen im Herbst stehen vor der Tür, die NRA kann ihre Macht nicht mit grossen Spenden und damit verbundenen Forderungen ausüben. Bereits haben Anti-Waffen-Organisationen die Gelegenheit genutzt, um mit Demonstrationen und Aktionen die Gunst der Stunde zu nutzen. Ihr Ziel ist klar: Wenn die mächtige NRA schon so blöd ist, sich selber an den Rand des Abgrunds zu manövrieren, dann wollen sie zur Stelle sein, ihr den letzten Stoss zu versetzen. Überlebende der tödlichen Schiesserei an der Marjory Stoneman Douglas High School senden «Gedanken und Gebete» an die NRA-Oberen – und wiederholen dabei nur die Worte, die immer dann fallen, wenn wieder irgendwo eine Schiesserei Menschenleben fordert. «Die NRA hat in diesem Land keinen Platz.» Tausende von jungen Menschen fordern ein Ende «der korrupten Organisation, die für 40’000 Schusswaffentote jährlich verantwortlich ist.»
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Weiterführende Informationen auf Infosperber:
Kein Staatsvertrauen: Die einen kaufen Gold, die anderen Guns
Bei den Waffen geht es um die Seele Amerikas
Die sechs Lügen der Waffenlobby in den USA
Basisbewegung gegen US-Waffenlobby NRA
Mehr Tote als im Vietnam- und Koreakrieg zusammen
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Das ist, liebe Frau Ryser, endlich mal eine Nachricht, die etwas wie einen Hoffnungsschimmer in diesem desolaten Geschehen zulässt.
Herrlich. Solche guten Nachrichten hört man eher selten.