So kooperierte die Schweiz mit Hitler-Deutschland
Jahrestage und Erinnerungsfeiern sind beliebte Anlässe, um die Geschichte unter die Leute zu bringen. Zur Zeit sind Rückblicke auf den Zweiten Weltkrieg, der vor 75 Jahren zu Ende ging, beliebt. Allerdings wird dabei die Rolle der Schweiz, trotz umfangreicher Studien, in der breiten Öffentlichkeit immer noch verklärt wahrgenommen.
Der Sinn historischer Rückblicke
Solche populär aufgezogene Rückblicke dienen aber auch dazu, in die politischen oder intellektuellen Orientierungen der Gegenwart einzugreifen. 1989 organsierte beispielsweise das Militärdepartement unter dem Titel «Diamant» eine Reihe von Veranstaltungen, um der 50 Jahre zuvor, bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs durchgeführten Mobilisation der Schweizer Armee zu gedenken. Diese Erinnerungsfeiern sollten, so der damalige Verteidigungsminister Kaspar Villiger, den Jungen eine sachliche und ehrliche Information über diese Zeit vermitteln. Hintergründig ging es jedoch darum, die von der Gruppe «Schweiz ohne Armee» lancierte Initiative zur Abschaffung der Armee zu kontern.
Peinlich an diesen Feiern war – wie vor allem das Ausland es bemerkte –, dass ausgerechnet die kriegsverschonte Schweiz mit offiziellen Anlässen des Ausbruchs dieser schrecklichen Katastrophe gedachte. Der bekannte Historiker und Zeitzeuge Jean Rodolphe von Salis meinte dazu: «Mir scheint, dass wir keine Lorbeerkränze auszuteilen, keine Triumphbögen zu errichten haben. Es waren andere, die im Zweiten Weltkrieg auch für uns geblutet haben.»
9. August 1940
Man hätte bei uns, um an diese schwere Zeit zu erinnern, auch ein anderes Ereignis beleuchten können: den am 9. August 1940 in Berlin unterzeichneten Handelsvertrag mit Nazi-Deutschland. Dies war zwar kein militärischer Kraftakt und auch kein grosser Auftritt eines Bundesrates. Dennoch handelt es sich bei diesem Vertrag um einen grundlegenden, die Existenz der Schweiz bestimmenden Akt. Er öffnete den Weg für eine zwar konfliktreiche, aber von beiden Parteien als notwendig erachtete wirtschaftliche Zusammenarbeit. Solange diese funktionierte, war ein militärisches Vorgehen von Nazi-Deutschland gegen die Schweiz gebannt.
Diesem vor 80 Jahren unterzeichneten Vertrag hat man allerdings bisher keine grossen Gedenkfeiern gewidmet. Und auch in der aktuellen Geschichtsschreibung nimmt er einen eher diskreten Platz ein. Ein Grund für diese Diskretion liegt wohl darin, dass sich dieses Übereinkommen, obwohl fürs Überleben des Landes entscheidend, nicht zum Baustein einer heroischen Nationalgeschichte eignet.
Die «Wirtschafts-Vereinbarungen» mit Deutschland wurden am 9. August 1940 in Berlin unterzeichnet. Aus den Verhandlungen gehe, so der damalige Kommentar des Bundesrates, «mit aller Deutlichkeit die grosse Bedeutung des neuen Vertragswerks mit Gross-Deutschland für unser Land hervor». Diese Vereinbarungen seien «aber auch politisch im Hinblick auf unsere Beziehungen zum grossen nördlichen Nachbar von bedeutender Tragweite». Dass die Verhandlungen, so der Bundesrat, «in einer freundschaftlichen Atmosphäre haben zu Ende geführt werden können», sei «gerade im Hinblick auf unsere weitgehende Abhängigkeit von Gross-Deutschland für unsere Zukunft von besonderer Wichtigkeit» (dodis.ch/47120).
Schweizer Wirtschaft und deutsche Kriegswirtschaft
Es ging in diesem Vertrag im Wesentlichen darum, die Industrie und die Finanzkraft der Schweiz an die deutsche Kriegswirtschaft anzudocken. Zentraler Punkt des Abkommens war ein von der Schweiz gewährter Kredit, den Deutschland insbesondere für den Ankauf von Kriegsmaterial einsetzte. Die Schweiz ihrerseits sah in diesem Handel ein Mittel zur Arbeitsbeschaffung und zur Sicherstellung der lebenswichtigen Importgüter, denn das Land war wirtschaftlich in keiner Weise autark und deshalb auf Importe angewiesen. Ohne dieses Abkommen hätten weder die vielgepriesene «Anbauschlacht» (Plan Wahlen) noch das «Réduit» (das militärische Verteidigungsdispositiv in den Alpen) realisiert werden können.
Um die Geschichte dieses Abkommens besser einzuordnen, sei kurz auf die internationale Lage im Sommer 1940 hingewiesen. Am 10. Mai 1940 begann der mit der Niederlage Frankreichs endende Westfeldzug der Deutschen. Holland und Belgien wurden von der deutschen Armee überrannt. Am 17. Juni kapitulierte Frankreich, am 22. Juni wurde der Waffenstillstand unterzeichnet. Nur England entzog sich der deutschen Herrschaft. Am 13. August, «Adlertag» genannt, begann Hitler den Luftkrieg gegen England. Es gelang allerdings der deutschen Luftwaffe nicht, die Royal Air Force zu bezwingen.
Intensive Verhandlungen mit Nazi-Deutschland
Die Wirtschaftsverhandlungen zwischen Deutschland und der Schweiz waren nicht erst mit dem Westfeldzug aufgenommen worden. Schon wenige Tage nach dem Angriff Deutschlands auf Polen, am 4. September 1939, traf in Bern eine deutsche Handelsdelegation unter Leitung von Hans Richard Hemmen ein. Der schweizerische Verhandlungsleiter Jean Hotz, Chef der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements, hatte schon früher mit Hemmen zu tun gehabt. Auf verschiedensten Ebenen entwickelten sich nun intensive Kontakte zwischen Deutschland und der Schweiz. Sie führten am 24. Oktober 1939 zu einem Ergänzungsabkommen zum schon bestehenden Clearingvertrag. In dieser Zeit lieferte Deutschland, nebenbei gesagt, der Schweizer Armee 89 Messerschmitt Me-109, eines der besten Jagdflugzeuge jener Zeit.
Der Bundesrat hatte die Aufrechterhaltung der Aussenwirtschaftsbeziehungen gleich nach Kriegsbeginn zu einer Hauptaufgabe erklärt. Um auch die Exporte von Kriegsmaterial zu ermöglichen, hatte er am 8. September 1939 in einem geheim gehaltenen Beschluss das Verbot für Kriegsmaterialexporte aufgehoben. Das deutsche Wirtschaftsrüstungsamt seinerseits sah vorerst in der Lieferung von Werkzeugmaschinen den wichtigsten Posten im Handel mit der Schweiz. Doch in den Monaten bis zum Frankreichfeldzug verlangte Deutschland keine ausserordentlichen Lieferungen. Berlin kritisierte hingegen die Kriegsmaterialexporte zugunsten Frankreichs und Englands. Tatsächlich beabsichtigten diese Länder, in der Schweiz grössere Waffenkäufe zu tätigen. Da jedoch Bern dafür keine Kredite gewähren wollte, kam es zu keinen grösseren Lieferungen. Noch wichtiger als Kriegsmateriallieferungen war den Alliierten, zu verhindern, dass Material und Waren aus ihrem Bereich über die Schweiz nach Deutschland exportiert wurden. Dies sollte mit dem am 25. April 1940 geschlossenen Blockadeabkommen geregelt werden.
Gegen ein solches Blockadeabkommen mit den Alliierten sprachen sich sowohl der Bundesrat wie der «Vorort» (Handels- und Industrieverein, heute «Economiesuisse») aus. Dieses würde, schrieb der «Vorort» am 8. Januar 1940 dem Bundesrat, «die Kontinuität unserer wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland aufs höchste in Frage stellen und damit sowohl die Versorgung der Schweiz mit wichtigen Rohstoffen, wie auch die Beschäftigung ganzer Industrien und schliesslich das Gleichgewicht der schweizerischen Devisenbilanz gefährden». Es müsse alles Mögliche getan werden, «dass uns die Ausfuhr nach Deutschland in einem Umfang erhalten bleibt, der sowohl die Aufrechterhaltung unserer wirtschaftlichen Tätigkeit wie auch die geordnete Weiterführung unserer wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland erlaubt» (dodis.ch/46981).
Die «ständige Verhandlungsdelegation»
Für die Wirtschaftsverhandlungen mit Deutschland hatte der Bundesrat eine vom Chef der Handelsabteilung Jean Hotz geleitete «Ständige Verhandlungsdelegation» ernannt. Mitglieder waren Heinrich Homberger, Direktor des «Vororts», Robert Kohli vom Politischen Departement, Ernst Laur, Direktor des Bauernverbandes, und Peter Vieli, Vertreter der Banken. Diese hochkarätige Delegation entwickelte sich zu einem der wichtigsten, den Bundesrat in gewisser Weise in den Schatten stellendes Organ. Hotz, Homberger, Kohli und Laur gehörten auch der Finanz- und Wirtschaftsdelegation an, in der die Bundesräte Stampfli, Pilet-Golaz und Wetter Einsitz hatten. Die beiden genannten Delegationen bildeten das eigentliche Machtzentrum des Bundes. In diesem spielten Bundesrat Stampfli sowie das Triumvirat Hotz, Homberger und Kohli die entscheidende Rolle.
Am 27. Mai 1940, ein Tag vor der Kapitulation Belgiens, wurden in Berlin die Wirtschaftsverhandlungen mit Deutschland weitergeführt. Beflügelt vom Erfolg ihrer Armeen trugen die Deutschen ihre Forderungen grossspurig vor. Neben Werkzeugmaschinen waren nun auch Waffen gefragt. Zwecks Organisation solcher Waffenlieferungen traf am 9. Juni eine von Robert Fierz, dem Chef der Kriegstechnischen Abteilung geleitete Delegation in Berlin ein. Am 13. Juni, bei seiner Rückkehr in die Schweiz, forderte Fierz Emil Bührle, den Besitzer der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon, auf, unverzüglich und so umfangreich wie möglich die Ausfuhr von Waffen nach Deutschland an die Hand zu nehmen.
Hotz und seine Delegation waren am 2. Juni in die Schweiz zurückgekehrt und führten die Verhandlungen mit Hemmen in Bern weiter. Schon am 18. Juni konnte der deutsche Gesandte Köcher nach Berlin melden: «Bundesrat bereit, uns Kriegsmaterial unbeschränkt so viel zu liefern, als die Schweiz dazu in der Lage ist.» Dieser Entscheid kam am 21. Juni in einer gemeinsamen Sitzung von Bundesrat, der Finanz- und Wirtschaftsdelegation und der Ständigen Verhandlungsdelegation zur Sprache (dodis.ch/47071). Hotz betonte, von Seite der Schweiz würden «alle Hebel in Bewegung gesetzt, eine Förderung des Exportes nach Deutschland auf der ganzen Linie herbeizuführen». Der Bundesrat verfügte zudem, alle Waffenlieferungen an die Feinde Deutschlands einzustellen. Um den Export nach Deutschland optimal zu gestalten, sollten auch die Kriegswirtschafts-Ämter die Inlandversorgung zurückstellen. Bundespräsident Pilet-Golaz fügte bei, es gehe zunächst einmal darum, den geforderten Kredit zu gewähren. «Dabei wäre es unangebracht», fuhr Pilet fort, «über eine Million mehr oder weniger zu streiten».
Grosse Zufriedenheit mit dem schweizerisch-deutschen Handelsabkommen
Damit war der entscheidende Schritt getan. Deutschland brauchte dringend Devisen und eine gesicherte und exklusive Zusammenarbeit mit der schweizerischen Industrie, sowie freien Zugang zu den Alpentransversalen. Die Schweiz sollte auch den Handel mit den gegen Deutschland im Krieg stehenden Ländern abbrechen. Berlin verzichtete jedoch auf eine de jure-Verpflichtung, da Bern bereit war, de facto entsprechende Ausfuhren zu verhindern.
Eine grosse Mehrheit der Repräsentanten von Wirtschaft und Politik befürworteten diese an Deutschland orientierten Handelsbeziehungen. Es war gewissermassen das einzige politische Projekt, das in dieser schwierigen Zeit eine breite Zustimmung fand. In einem Zirkular des «Vororts» wurde betont, dass die Verhandlungen «in freundschaftlichem Geiste und mit dem gegenseitigen Willen zur Verständigung geführt» und zu einem «erfreulichen Abschluss» gebracht worden seien. Ernst Laur, der Direktor des Bauernverbandes, sah in diesem Abkommen gar «ein deutliches Zeichen freundschaftlicher Gesinnung unseres grossen Nachbars», das «zu einem Eckstein für unsere politische Zukunft» werden könne.
Tatsächlich hat die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland und den von ihm abhängigen Ländern nicht nur die Existenz der Schweiz, sondern auch die wirtschaftliche Kraft des Landes gesichert. Damit konnte die Schweiz dann erfolgreich in die Nachkriegszeit einsteigen. Den Alliierten waren diese Wirtschaftsbeziehungen verständlicherweise ein Dorn im Auge. Gegen Kriegsende zwangen sie den Bundesrat, den Warenverkehr einzuschränken. Bern bestand jedoch darauf, die wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland aufrecht zu erhalten. Dahinter stand der Gedanke, dass Deutschland, trotz der vernichtenden Niederlage, in der Nachkriegszeit sich erneut zu einem wichtigen Wirtschaftsraum aufschwingen und damit weiterhin ein bedeutender Handelspartner der Schweiz bleiben werde.
In den öffentlichen, das Jahr 1940 betreffenden Debatten – und auch in vielen historischen Arbeiten – kam das Wirtschaftsabkommen mit Deutschland kaum vor. Zwei andere Ereignisse beherrschten die Szene: die Radioansprache von Bundesrat Pilet-Golaz vom 25. Juni 1940 und General Guisans Rütlirapport vom 25. Juli 1940. Im Hinblick auf die existentiell entscheidende Entwicklung hatten diese beiden Manifestationen jedoch keine grosse Bedeutung. In Pilets zwiespältiger, vom Gesamtbundesrat gutgeheissener Rede – in der NZZ (22.06.2015) als «berüchtigste Rede der Schweizer Geschichte» apostrophiert – ist vom «Zeitpunkt der inneren Wiedergeburt» die Rede, wobei der Bundesrat Beschlüsse «auf Grund eigener Machtbefugnisse» fassen werde. Und General Guisans Rede am Rütlirapport, deren Inhalt in der Öffentlichkeit nur gerüchtweise Verbreitung fand, war in Bezug auf die Zukunftsgestaltung ebenso sibyllinisch wie jene des Bundesrats.
Es wäre an der Zeit, bei historischen Rückblicken auf den Zweiten Weltkrieg realpolitischen Fakten wie dem Wirtschaftsabkommen vom 9. August 1940 vermehrt Beachtung zu schenken, selbst wenn dabei die bei der Legendenbildung dominierenden Momente ins Hintertreffen kämen. Dass die Schweiz den Zweiten Weltkrieg erfolgreich überlebte, beruhte weder auf dem politischen Widerstand der Behörden noch dem militärischen Rückzug ins Réduit – entscheidend war vielmehr die mit dem Vertrag vom 9. August 1940 eingeleitete wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Nazi-Deutschland.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Hans-Ulrich Jost ist emeritierter Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte an der Universität Lausanne.
Mit autoritär Herrschenden ist am meisten Geld zu machen oder sind Machtmittel zu beschaffen. Die meisten haben für wenig Geld hingeschuftet u. die wenigen haben grosse Mengen an Produktionsmitteln geschaffen. Das Geld u. Gold von führenden dt. u. it. Nationalisten fand in der Schweiz einen sicheren Hafen.
Die Vermehrung der Kapitalvermögen der feinen CH-Privat-Bankiers basiert auch auf diesen ‹Hafengebühren›.
Erst kommt das Fressen u. dann die Schein-Moral des Finanzadels.
Sicherlich war es gut, dass die Masse des Volkes nicht zu leiden hatte, aber die Ungleichverteilung an Kapital u. Macht bei oben genannten ‹Deal› ist bemerkenswert, eine Sauerei so geschickt zu ‹instrumentalisieren u. zu bewirtschaften›.
Danke… es ist gut, alle Aspekte der Vergangenheit zu kennen. Könnte man sagen, die Schweiz war damals in Geiselhaft? Entweder kooperieren oder wir wären blutig übernommen worden. Unsere Frauen wären vergewaltigt worden, die Arbeitskräfte wären deportiert worden, die in der Schweiz versteckten Juden wären getötet worden. Die Reichen und Mächtigen im Reduit, das Fussvolk als Kanonenfutter. Die einzige heroische Lösung angesichts der Uebermacht, von den Usa und England im Stich gelassen, wäre die Selbstvernichtung gewesen, vernichten der eigenen Industrie und Widerstand bis in den Tod, Suizid vor einer möglichen Gefangennahme. Dann gäbe es heute keine Schweiz mehr, niemand hätte uns geholfen, aber hinterher über die damalige Politik der Schweiz zu richten, dazu erdreistete sich sogar Churchil. Wie die Schweiz unter den Nazis gelitten hatte, erzählte mir noch mein Grossvater, dessen Bauernhof wegen seiner Abwesenheit im Aktivdienst fast den Bach runter ging und seine Frau dabei den Verstand verlor, in eine Psychose abglitt, und täglich ihre Kinder verprügelte in ihrer Angst. Nebenbei haben sie noch Verfolgte versteckt, Polen und Juden. Der Schaden an Seele und Wirtschaft ist heute noch spürbar, wenn man genau hinsieht.
Danke Herr Jost, das nenne ich Geschichtsschreibung! Einige der heutigen Politiker werden sich über den Bericht nicht freuen. Vielleicht erläutern Sie gelegentlich auch noch, in welchem Verriss Bundesrat und General Guisan damals standen. Warum unterstand der Handelsvertrag von 1940 keinem Referendum? Vielleicht lassen sich ja Lehren ziehen für das Rahmenabkommen mit der EU von heute? Gilt Demokratie, welche?
Für die verwöhnte Wohlstands-Gesellschaft der Nachkriegs-Zeit ist es bequem, gegen die vorherige Generation mit Dreck zu werfen, der es damals, umzingelt vom faschistischen Reich, gelungen war, mit einer wirksamen, legitimen Mischung von Anpassung und Widerstand den Krieg vom Land fern halten.
Mit ihrer bequemen einseitigen Allüre, die vorherige Generation zu verurteilen, haben sich später Protagonisten aus dem «liberalen» Milieu als Helden einer edlen Gesinnung aufgespielt, sich nebenbei in der Öffentlichkeit profiliert und sich lukrative Pfründen gesichert, bei Medien, an Hochschulen und als Ankläger und Scharfrichter gegen die Generation des Krieges.
Schade, dass in der Schweiz diesem Thema so wenig Beachtung zuteil wird. So ist es eben: Jeder Deutsche wird im Ausland auch heute noch –
das habe ich selbst leider so oft erfahren müssen – als «Nazi» betitelt.
Da hat ein gut bekannter Mensch einmal gesagt: «Ich kenne kein Volk auf der Welt, das so gründlich vor seiner eigenen Tür gekehrt hat und noch immer kehrt. Und die ganze Welt kehrt bei den Deutschen eifrig mit.» Wir Deutschen sind eben der Sündenbock und sollten eigentlich bis ans Ende der Welt in Sack und Asche gehen. Leider tun das viele meiner Landsleute auch. Das ist eines der Ergebnisse der von Teilen der Alliierten angeordneten Umerziehung des deutschen Volkes, die leider sehr erfolgreich war und ist. Uns fehlt komplett der natürliche Nationalstolz, wie es scheint. Das kann sich meiner Meinung erst dann ändern, wenn wir die wahre Geschichte und deren Hintergründe dieser schrecklichen 2 Weltkriege erfahren. Die wird uns jedoch durch unsere eigene Politik und Presse vorenthalten. Wie lange noch?
@Werner Furrer: Dem Historiker Hans-Ulrich Jost geht es nicht darum, die vorherige Generation pauschal zu verurteilen. Er ist Wissenschafter und hat nur ein Ziel: die Vergangenheit möglichst genau und ehrlich darzustellen. Gerade in einer Zeit, in der etliche Staaten – Polen oder die Ukraine als Beispiele – versuchen, ihre Vergangenheit in Sachen Nazi-Sympathien und Mitwirkung zu beschönigen, ist es sehr zu begrüssen, dass wir in der Schweiz noch Wissenschafter haben, die auch die negativen Punkte unserer eigenen Vergangenheit darzustellen wagen. Ich selber habe ebenfalls Allgemeine und Schweizer Geschichte studiert und darin promoviert, und ich bin sehr dankbar, dass es Hans-Ulrich Jost immer noch gibt und dass er den Mut aufbringt, auch solche unschönen Wahrheiten zu erforschen und in der Öffentlichkeit daran zu erinnern. «Infosperber sieht, was andere übersehen». Hans-Ulrich Josts Beitrag ist genau das. Mit freundlichem Gruss, Christian Müller, Mitglied der Redaktion Infosperber.ch
Ja und?
List ist die einzig effiziente Waffe des Kleinen. Wer dem Feigheit sagen möchte darf das, muss aber dann die aktuelle Situation der EU gegenüber der Schweiz und unsere behördliche Willfährigkeit dieser gegenüber in Rahmen- und Freizügigkeitsabkommen mit einbeziehen.
Damals ging es ums Überleben unseres Staates, heute um ein paar Erbsen, welche sich sowieso wieder bei den reichen Oberen anhäufen. Feigheit da, Feigheit hier, man lese dann wieder in 75 Jahren.
Kooperation mit den Nazis ist ein Thema, das die Geschichtsschreibung geflissentlich umgeht, dabei hat das bis heute seine gefährliche Wirkung.
Der spätere Chef der CIA, US-Topspion, Allen Dulles, leitete von der „Herrengasse“ in Bern aus das „Büro für Strategische Dienste“ (OSS). Er führte für den Geheimdienst „Sicherheitstechniken“ wie Entführung, Folter, politischen Mord oder Massenüberwachung aller Bürger ein. Von dort bereitete er schon während des 2. Weltkriegs den Kalten Krieg vor. Unterstüt-zung seiner paranoiden Russophobie fand er vor allem mit der Gefangennahme des NS-Ostspions und Kriegsverbrechers Reinhard Gehlen, der ab 1946 die Organisation Gehlen, den späteren deutschen Geheimdienst BND, leitete. Dieser leistet heute noch hilfreiche Dienste bei der globalen Überwachung der NSA. Über Schweizer Mittelsmänner nahm der SS-General Karl Wolff Kontakt mit Dulles für die „Operation Sunrise“ auf, um in Koopera-tion der USA mit Nationalsozialisten den „Kommunismus einzudämmen“. Über seine Affä-re mit Mary Bancroft kam Dulles auch mit C.G. Jung zusammen, der ihm seine Einschät-zung zur Psychologie hoher Nazis und der psychischen Situation der Deutschen unter ihnen lieferte. 1956 bot BND-Chef Gehlen seinem Förderer Dulles einen Staatsstreich von rechts an, falls die Sozialdemokraten die Wahl gewännen, wie es später in Griechenland oder in Ländern Afrikas, Lateinamerikas oder Indonesien gemacht wurde oder bis heute als „Farbrevolutionen“ oder verdeckte Kriege.
Gut nachvollziehbare Erklärung der Zusammenarbeit zweier ungleicher Partner. Auf die Zusammenarbeit mit den Alliierten konnte die Schweiz zu ihrem Überleben nicht abstellen. Aber Allen Dulles, der spätere Chef der CIA, hielt seinerseits von Bern aus die geheimen Kontakte zur deutschen Regierung aufrecht. Die Ford- und General Motors Werke in Deutschland blieben verschont. Alle Beteiligten zogen ihren Nutzen! Die grössten Opfer erbrachte die Sowjetunion. Leider war die Bergier-Kommission eher eine akademische Übung. Deren Berichte – wer liest sie schon? Hans-Ulrich Jost erklärt auch nicht alles, aber er gewichtet die Fakten und schafft einen gewissen Ausgleich.
Es gab vor ca. 30 Jahren eine Serie im Deutschen Fernsehen über «die Schweiz im 2. Weltkrieg» die genau dieses Thema dokumentierte. Es wurden Handelsbilnzen zu den Alleierten und zu Natzi Deutschland dokumentiert. Leider konnte ich im Netz diese Doku Serie nicht mehr auffinden. Aber damals öffnete mir diese Doku die Sicht auf die Schweizer «Demokratie» im 2. Weltkrieg.
Abgesehen davon hatte ich immer die Ansicht das die Basler Chemiefabriken und die Tatsache, dass Wasser immer nach unten fliesst mehr Einfluss auf Hitler hatten, als es jemals öffentlich wurde.
Man kann auch Halbwahrheiten verfestigen, indem man die andere Hälfte der Wahrheit weglässt. Nur weil man Professor ist wird diese Masche nicht besser. Tatsache ist, dass Deutschland die Verhandlungen 1940 und 1941 nur unter massiven Drohungen mit der Schweiz geführt hatte, nämlich u.a. mit der Sperrung der lebenswichtigen Kohlelieferungen und anderen wichtigen Einfuhren für die Schweiz. Wie naiv muss man sein zu glauben, die eingekesselte Schweiz hätte nach der Niederlage von Frankreich bei Waffen- und Maschinenlieferungen an D standhaft bleiben können. Umso mehr, als noch im März 1940 die Waffenlieferungen in überwiegendem Masse von F und GB und nicht D geordert wurden (F für 142 Mio, GB 121 Mio, D 149 Tausend FR.).
Dem geneigten Leser von Infosperber sei dazu geraten, «Die Wirtschaftsverhandlungen zwischen der Schweiz und Deutschland 1940 und 1941», von Robert U. Vogler, Helbing und Lichtenhahn, Basel, 1997 zur Hand zu nehmen, damit er ein umfassendes und nicht derartig einseitiges Bild erhält.
Wenn man dann noch anfügt, dass die Zusammenarbeit mit Nazideutschland gut war für die Schweiz, weil sie Krieg verhindert und insbesondere schweizer Juden das Leben rettete, dann könnte ich mit dieser neuen Interpretation leben. Nur frage ich mich ob das im aktuellen internationalen politischen Klima sagbar ist.
Herr Jost hat, wie die meisten Schweizer ennet dem Jura, einen für uns Nordwestschweizer sehr lustigen Blick auf die Schweizer Beziehungen zu Nazi Deutschland. Im ganzen ellenlangen Text findet sich nicht ein einziges Mal das Wort «Rhein» oder «Rheinhafen».
Es gibt am Rheinknie auch heute noch Zeitzeugen, welchen Herrn Jost das Treiben in den Basler Rheinhäfen während der NS Zeit einmal beschreiben könnten. Unvorstellbar wären die Konsequenzen für die Schweiz gewesen, hätten die Nazis die Rheinschifffahrt nach Basel blockiert; was ab dem 25. Mai 1940 problemlos möglich gewesen wäre.
2. Teil ( habe ausversehen auf «Meinung senden getippt)
… was ab dem 25. Juni problemlos möglich gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund erstaunt es wohl kaum, dass von Seiten der Schweiz weitreichende Zugeständnisse gemacht wurden, um den Handelsvertrag schon im August 1940 zu unterzeichnen.
Wer der Schweiz für ihr Handeln im 2. Weltkrieg gutwillige Kooperation unterstellt, der hat sicher zu dieser Zeit keine Familie in Basel gehabt.
Wenn aber ein Professor für Schweizer Geschichte die Schweizer Beziehungen zu Nazi Deutschland analysiert, ohne die Rheinschifffahrt zu berücksichtigen, dann handelt er böswillig vorsätzlich.
@Marc Fischer: Auch wir studierte Historiker können bei der Beschreibung von historischen Ereignissen nicht immer bei Adam und Eva beginnen. Prof. Jost hat in seinem Artikel über den Vertrag vom 9. August 1940 geschrieben und uns aufgefordert, diesen nicht einfach zu «vergessen», weil er für die Schweiz nicht besonders ehrenvoll ist. Natürlich gab es auch die von Ihnen erwähnte Realität der Lebensmittel-Zufuhr auf dem Rhein. Umgekehrt gab es auch das «Entgegenkommen» der Schweiz, Grosstransporte mit der Eisenbahn von Basel nach Chiasso und umgekehrt durchzuführen, um die Materiallieferungen zwischen dem faschistischen Italien und Nazi-Deutschland sicherzustellen. Man kann in einem kurzen Artikel nicht alle Aspekte der Beziehungen zwischen der Schweiz und Hitler-Deutschland exakt beschreiben und würdigen. Ich als studierter Historiker bin sehr froh, dass Hans-Ulrich Jost als Professor für Schweizer Geschichte auf diese für die Schweiz nicht besonders ehrenvollen Aspekte in Zeiten des Zweiten Weltkriegs aufmerksam macht. Nur dann können wir auch von anderen Ländern verlangen, ihre Geschichte im WKII sauber aufzuarbeiten. Christian Müller, Redaktion Infosperber.ch