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Synes Ernst: Spiel-Experte © cc

Der Spieler: Annäherung an einen Preisträger

Synes Ernst. Der Spieler /  Die Jury «Spiel des Jahres» bestimmte ihre Preisträger. «Pictures» und «Die Crew» sind eine überraschende und eine erwartete Wahl.

Selbst wenn 2020 alles anders ist, auch im Bereich der Spiele, das «Spiel des Jahres» gibt es trotzdem. Man habe sich entschieden, diese Preisverleihung nicht ausfallen zu lassen, «weil wir es dem Kulturgut Spiel schuldig sind», wie Harald Schrapers, Vorsitzender der Fachjury, dieser Tage anlässlich der Präsentation der neuen Preisträger sagte. Der Entscheid ist nachvollziehbar. Denn in den vergangenen Monaten ist die Nachfrage nach Brett- und Gesellschaftsspielen enorm gestiegen und damit auch das Bedürfnis von Konsumentinnen und Konsumenten nach Orientierung. «Welches Spiel ist für unsere Familie geeignet?» Die Jury sieht es auch als ihre Aufgabe an, Antworten auf diese Frage zu liefern.

Einfluss von Corona

Corona hatte wohl einen Einfluss auf die Form der Preisverleihung – sie fand in stark reduziertem Rahmen statt – , nicht aber auf den Entscheid über die Preisträger und die Titel auf den Nominierungs- und Empfehlungslisten. Die äusseren Umstände mit ihren Distanzvorschriften und den sozialen Einschränkungen haben aber dazu geführt, dass ich im folgenden über das «Spiel des Jahres» schreibe, ohne dass ich es gespielt habe. Ich bin zwar seit einiger Zeit in dessen Besitz. Da es aber ein Mehrpersonenspiel ist, das nur funktioniert, wenn man mindestens zu dritt, besser aber zu viert oder zu fünft am Tisch sitzt, habe ich noch keine Erfahrung. Meine Corona-Runde besteht zurzeit nur aus zwei Personen, meiner Frau und mir.

Ich nähere mich dem Preisträger 2020 nur aufgrund der Lektüre von Spielanleitung und einigen Rezensionen an, deren Verfasser ich kenne und deren Urteil ich einschätzen kann, sowie von Medienunterlagen der Jury und des Verlages. Was fehlt, ist das, was den Kern einer «richtigen» Spielbesprechung ausmacht, die Beschreibung des Spielerlebnisses und die Beantwortung der Frage, was das betreffende Spiel bei mir auslöst, welche Emotionen, welche Herausforderungen. Das lässt sich nur vermitteln, wenn man ein Spiel gespielt hat, und das nicht nur einmal, sondern mehrmals, in verschiedenen Gruppen, mit unterschiedlichen Typen von Spielern.

Fotos als Vorlage

Das eben gewählte «Spiel des Jahres» ist «Pictures», entwickelt von Daniela und Christian Stöhr, einem in Baden-Württemberg lebenden Ehepaar. Wo es zu positionieren ist, erkennt man schon bei der ersten Lektüre der kurzen, nur eine Seite umfassenden Spielanleitung. Der Verlag umschreibt es in einem Satz: «Baut mit eurem Spielmaterial, entweder Bauklötze, farbige Würfelchen, Schnürsenkel, Steine und Stöcke oder Spielkarten, eines (von 16) Fotos möglichst treffend nach und rätselt, was eure Mitspieler so gebaut haben.» «Pictures» dreht sich, wie der Titel schon besagt, um Bilder, und zwar um zwei Arten von Bildern: zum einen um Fotos, die jeweils in einem Tableau von 4 mal 4 auf dem Tisch ausgelegt werden, zum andern aus den Nachbildungen dieser Fotos, die wir mit unterschiedlichen Materialien gestalten.

Bereits aus dieser Kurzbeschreibung wird klar, dass in «Pictures» Kreativität, Phantasie gefragt sind, ebenso Abstratktionsvermögen. Das ist die Fähigkeit, die Strukturen der Foto zu erkennen, die mir dann als Vorlage für meine Nachbildung dient. Was macht das Wesentliche einer Sonnenblume aus, einer Verkehrsampel oder eines farbigen Schirmes auf einem Schneefeld? Hat es bei mir Klick gemacht, geht es an das Nachbauen. Ob das schwierig ist, kann ich aufgrund der fehlenden Spielerfahrung nicht sagen, meine aber, dass das mitunter sehr schwierig sein muss. Den farbigen Schirm auf dem Schneefeld mit Hilfe von zwei Schuhbändeln nachzubilden? Wohl eine echte Herausforderung! Mit den farbigen Würfelchen aus Holz schiene es mir einfacher, da die Farbstrukturen auf der Foto eindeutig sind und entsprechend leichter übertragen werden können.

Clevere Lösung

Das ist doch ungerecht, unausgewogen und unfair, denkt man sich bei der Lektüre der Spielanleitung, wenn ein Spieler mit einem vermutlich «einfacheren» Material, wie etwa den Holzwürfelchen, arbeiten darf, während seine Nachbarin sich mit den «schwierigen» Schuhbändeln herumschlagen muss? Um dieses Problem zu umgehen, wartet «Pictures» mit einer cleveren Lösung auf: Man reicht nach jeder Runde sein Material an den nächsten Spieler weiter, der dann damit den nächsten Durchgang bestreitet. Haben alle mit jedem Material-Set einmal eine Aufgabe gelöst, ist das Spiel zu Ende. Gewonnen hat die Spielerin oder der Spieler mit den meisten Punkten.

Mit den meisten Punkten? Ja, denn bei «Pictures» handelt es sich um ein kompetitives Spiel. Das ist gut so. Denn der Wettbewerb zwingt Spielerinnen und Spieler, ihre Nachbildungen nicht als Phantasiegebilde zu gestalten, sondern so, dass möglichst viele der Mitspielenden erraten, welche Foto und welches Kunstwerk zusammen gehören. Für jeden richtigen Tipp, den ich abgebe oder den ich bekomme, gibt es für mich einen Punkt. Die Art und Weise dieser Wertung passt zum einfachen, leicht eingängigen Ablauf des gesamten Spiels.

«Grosse Kreativität mit einfachsten Mitteln!» schreibt die Jury in der Begründung ihres Entscheides zugunsten von «Pictures», das nun mit der Auszeichnung «Spiel des Jahres» als Botschafter ein möglichst breites Publikum vom Wert und der Schönheit des Spielens in der Gesellschaft überzeugen soll. Ob es dazu auch fähig ist? Die Grundvoraussetzungen sind jedenfalls vorhanden. Mehr sagte ich erst, wenn ich ein paar Runden «Pictures» hinter mir habe.

Echte Innovation

Die Wahl von «Pictures» zum «Spiel des Jahres» war für viele in der Szene eine Überraschung, dies im Gegensatz beim Entscheid zugunsten von «Die Crew» zum «Kennerspiel des Jahres». Das kleine Kartenspiel galt allgemein als erster Anwärter auf die höchste Auszeichnung in dieser Kategorie. «Die Crew» wartet als kooperatives Stichspiel mit einer echten Innovation auf. Da ich mit diesem Spiel schon während Stunden auf Missionen im Weltall unterwegs gewesen bin, ist mein Urteil eindeutig, wie ich in dieser Rubrik schon geschrieben habe: «Selten hat mich ein Spiel von Anfang an so gepackt wie dieses. Es macht richtig Lust, sich an den Tisch zu setzen und ‹Die Crew› zu spielen. Denn es passt hier alles perfekt zusammen von den Grundregeln des Stichspiels mit seinen taktischen Finessen über die Notwendigkeit der Kooperation bis hin zur eingeschränkten Kommunikation – eine Kombination, die nicht nur durch ihre geniale Einfachheit besticht, sondern auch durch die Tatsache, dass sie mal für mal für tolle Spielerlebnisse sorgt. Ehrlich: Ich beneide Thomas Sing um diese einmalige Idee.»

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Pictures: Kreativ- und Kommunikationsspiel von Daniela und Christian Stöhr für 3 bis 5 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. PD Verlag, ca. Fr. 50.-

Die Crew: Kooperatives Kartenspiel von Thomas Sing für 3 bis 5 Spielerinnen und Spieler ab 10 Jahren (am besten zu viert und fünft). Kosmos Verlag (Vertrieb Schweiz: Lemaco SA, Ecublens), Fr. 19.-

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

Zum Infosperber-Dossier:

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