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Brust-Operation: Wenn das ganze Team Übung hat, sind die Erfolgschancen am grössten. © IMC

Diese 66 Spitäler gefährden Patientinnen

Urs P. Gasche /  Über 2000 Frauen liessen sich im Jahr 2018 eine Brust in einem Spital operieren, das zu wenig Routine hat.

Wenn eingespielte Spitalteams und Chirurgen eine bestimmte Operation häufig durchführen, kommt es seltener zu Komplikationen und auch Todesfällen. Übung macht den Meister. Doch viele mittlere und kleinere Spitäler möchten in ihrer Region Werbung machen mit einem möglichst breiten Angebot an Operationen. Deshalb wehren sie sich dagegen, wenn Kantone Mindestfallzahlen vorschreiben wollen.

Mindestens 100 Brustoperationen pro Jahr

Am Beispiel der Erstoperationen bei Brustkrebs – sowohl brusterhaltende als auch brustentfernende – hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWiG im Auftrag der deutschen Ärzte und Krankenkassen erneut untersucht, ob und wie stark die Routine die Behandlungsergebnisse beeinflusst. Das Resultat von zehn ausgewerteten Studien ist eindeutig:

    «In Krankenhäusern mit höheren Fallzahlen und bei Ärzteteams, die viele Brustkrebs-Operationen durchführen, sind die Überlebenschancen für die operierten Brustkrebs-Patientinnen insgesamt höher. Zudem kommt es seltener vor, dass an der operierten Brust weitere Eingriffe notwendig werden

Bereits frühere Studien veranlassten die Deutsche Krebsgesellschaft DKG dazu, nur solche Brustkrebszentren mit einem DKG-Zertifikat auszuzeichnen, welche mindestens 100 Erstoperationen bei Brustkrebs pro Jahr durchführen, und deren Chirurgen mindestens je deren 50.

Nur 19 von 102 Brustkrebszentren haben ein Krebsliga-Zertifikat

In der Schweiz zertifizieren die Krebsliga und die Schweizerische Gesellschaft für Senologie, die für Brustbehandlungen zuständig ist, Brustzentren von Spitälern – nach eigenen Angaben bereits seit 2010 – ebenfalls nur unter der Bedingung, dass diese wie in Deutschland ebenfalls mindestens 100 Brusterstoperationen durchführen. Drei Jahre nach der Erstzertifizierung sollen es 125 Operationen sein. Für die einzelnen Chirurgen sind wenigstens 30 Eingriffe die Voraussetzung (in Deutschland 50).

Allerdings haben sich in der Schweiz bis heute lediglich 19 von 102 Brustkrebszentren zertifizieren lassen.

Ein Viertel aller operierten Frauen betroffen

Trotz dieser schwachen Teilnahme bleibt es bei der Freiwilligkeit, denn weder die Kantone, welche die Bedingungen für die kassenpflichtigen Spitallisten festlegen, noch der Bund, der die Qualität aller Pflichtleistungen kontrollieren muss, schreiben diese Mindestfallzahlen vor. Deshalb gab es im Jahr 2018 noch immer 48 Spitäler, die nicht einmal je 50 Frauen operierten. Weitere 18 Spitäler operierten zwischen 50 und 99 Frauen an der Brust. Insgesamt wurden 2122 oder ein Viertel aller Frauen mit Erstoperationen bei Brustkrebs in Spitälern operiert, welche die Zertifizierungsbedingungen nicht erfüllten.

Spitäler mit weniger als 100 Operationen im Jahr 2018. Quellen*. Grafik: Christoph Heinen. Grössere Auflösung hier.

Diese konkreten Fallzahlen pro einzelnes Spital veröffentlicht das Bundesamt für Gesundheit nicht. Josef Hunkeler musste sie aus zwei verschiedenen Datenbanken* des BAG herausfiltern. Er war jahrelang Gesundheitsspezialist beim Preisüberwacher.

«Ein geschöntes Bild»

«Die Zahlen zeigen ein eher geschöntes Bild», sagt Hunkeler. Denn das BAG gebe die einzelnen Fallzahlen nicht pro Spitalstandort an, sondern nur pro Spitalgruppe. Das Bundesamt zähle die Fälle beispielsweise von Brig und Visp («Spitalzentrum Oberwallis») oder von Heiden und Herisau («Spitalverbund AR») zusammen. Deshalb führt das BAG in seiner Datenbank nur 102 «Spitäler» auf, obwohl es 2018 tatsächlich 126 Standorte mit Brustoperationen gab.

Viele Frauen, die ohnehin eine schwierig zu verkraftende Operation vor sich haben, werden in Spitälern mit zu wenig Routine einem vermeidbaren Risiko ausgesetzt. Patientenorganisationen und die Stiftung für Konsumentenschutz verlangen schon lange, bisher allerdings vergeblich, verbindliche Mindestfallzahlen sowohl für die einzelnen Spitalstandorte als auch für die einzelnen Chirurgen.
Die Niederlande haben das Problem auf eine einfach Art gelöst: Die dortigen Krankenkassen müssen Eingriffe in Spitälern nicht bezahlen, wenn sie auf die Operation nicht spezialisiert sind und die Routine fehlt.
Spitäler mit den meisten Brustoperationen

Spitäler mit den höchsten Fallzahlen im Jahr 2018. Quellen*. Grafik: Christoph Heinen. Grössere Auflösung hier.
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*Datenquellen: «Kennzahlen der Schweizer Spitäler» und «Qualitätsindikatoren der Schweizer Akutspitäler»
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Zum gleichen Thema:
Jekami: Spitäler gefährden fahrlässig Patienten. Etliche Spitäler führen heikle Operationen immer noch weniger als 1x pro Monat durch. Beispiel Bauchspeicheldrüse. Infosperber vom 4.9.2015.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Arztfehler_Schere

Vermeidbare Arzt- und Spitalfehler

In Schweizer Spitälern sterben jedes Jahr etwa 2500 Patientinnen und Patienten wegen vermeidbarer Fehler.

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4 Meinungen

  • am 25.07.2020 um 13:31 Uhr
    Permalink

    Guter Artikel, leider an einer Stelle etwas irreführend: «Allerdings haben sich in der Schweiz bis heute lediglich 19 von 102 Brustkrebszentren zertifizieren lassen.» Tatsache ist, dass wir in der Schweiz 32 zertifizierte Brustzentren haben. Die einen durch die Krebsliga/Gesellschaft für Senologie, die anderen durch die DKG und wiederum andere durch Eusoma. Die Zertifikate sind allesamt valide.

  • am 26.07.2020 um 10:46 Uhr
    Permalink

    Warum gibt es in der Schweiz kein Pendant zum deutschen IQWIG? Weil die Spitäler erfolgreich dagegen lobbyiert haben ("wir wollen keine Staatsmedizin»…). Die Bevölkerung tappt weiterhin im Dunkeln, wo sie sich für welche Erkrankung unter’s Messer legen soll. Lieber im Super-Spitäli um die Ecke als 100km fahren für eine wirklich gute Behandlung. Und Outcome-Daten werden ja auch nicht erfasst bzw. publiziert (man könnte ja jemandem auf den Schlips treten). Die Folge: teure Komplikationen, Fehlbehandlungen und verlorene Lebensjahre. Grosses Chapeau dem Infosperber für diesen Artikel. Bitte für weitere Erkrankungen auflisten (idealerweise mit Anzahl Operationen pro Chirurg). Damit sich jede/jeder eine eigene Meinung bilden kann, wo was wie gemacht wird. Wir setzen doch sonst auch immer überall auf «informierte Bürger mit Eigenverantwortung»…

  • am 26.07.2020 um 20:19 Uhr
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    Die Behandlunghäufigkeit in einem Departement mag wie die hier zitierte Studie aufzeigt, in gewissen Fällen ein Qualitätsindiz sein. Sie sollte aber sicherlich nicht – wie dieser Artikel es tut – salopp verkürzt als Qualitätskriterium schlechthin verabsolutiert werden. Eine überhöhte Wertschätzung der Behandlunghäufigkeit kann ja gar, umgekehrt, zu neuen Fehlanreizen führen. Konkret könnte sie (zusätzlich zu anderen, zB. karrieristischen* Faktoren) auf einen sachfremden Anreiz zum Intervenieren hinauslaufen. Manchmal (zB bei ’somatisierenden› Pat.) ist der Entscheid, NICHT zu operieren die qualitativ ‹gute› Therapie. Ich erinnere mich an einen Kollegen, welcher einst (sicherlich etwas zugespitzt) meinte: «Alles, was bei uns reinkommt und nicht bis 3 auf den Bäumen ist landet auf dem Op-Tisch».
    Kurzum: Vor dem bornierten Kurzschluss ‹Quantität =Qualität› sollten wir uns hüten.

    * Der viele Interventionen beinhaltende Anforderungskatalog auf dem Weg zum FMH-Titel muss schliesslich erfüllt werden.

  • am 27.07.2020 um 08:32 Uhr
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    @Stern. Sie haben recht, die Fallzahlen sind nur eines von mehreren messbaren Qualitätskriterien. Zum Beispiel, wie häufig kam es zu einer ungeplanten Nachoperation, oder zu Infektionen. Wichtig wäre beispielsweise auch das vergleichbare Erfassen, wie es den Patientinnen und – bei anderen Operationen – den Patienten ein Jahr und drei Jahre nach der Operation geht. Weil aber diese Daten nicht oder nicht vergleichbar erhoben und publiziert werden, muss man vorläufig die Fallzahlen als ein wichtiges Kriterium anschauen.

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