Medienclub: Zu grosse Themen für eine geschlossene Gesellschaft
Der «Medienclub» vom 16. Juni war prominent besetzt. «Tatsachen und Meinungen – Wie objektiv berichten die Medien?» hiess der Titel. Und die Themen waren gross. «Die Coronakrise» auf dem ganzen Globus und «die Unruhen in den USA» sollten zur Debatte stehen. Unruhen in den USA? Waren und sind es nicht Proteste gegen Rassismus, weil der Afroamerikaner George Floyd «zu Tode kam», wie es kühl neutralisiert hiess in einer Hauptausgabe der SRF-Tagesschau? War da nicht, genau gesagt, die Polizeigewalt, nach der nun vier Polizisten wegen Mordes angeklagt sind? Das sind die Fakten aus dem laufenden Gerichtsverfahren.
Neutralisierte Sprache
Wir wissen nicht, ob es bereits der stete politische Druck ist oder einfach der rigorose Zwang zur Unschuldsvermutung, der zu solchen bereinigten Texten führt. Der «Medienclub» zur «Objektivität» wäre mit seiner starken Besetzung der Ort gewesen, dem politischen Druck entgegenzutreten, der schon im Kernbereich des Informationsjournalismus zu Texten führt, bei denen die mörderische Wirklichkeit kaum noch zum Vorschein kommt.
Nathalie Wappler persönlich nahm teil an der Diskussionsrunde, die SRF-Direktorin, die auf dem Sender keinen Meinungsjournalismus pflegen will. Die Politikwissenschaftlerin Regula Stämpfli hingegen liegt zwar als Publizistin gerne mal mit pointierten Meinungen quer; aber auch sie hat sich zur gescheiterten ersten «Arena» zu Rassismus, die vier Tage vorher gelaufen war, im «Medienclub» nicht geäussert (die zweite zum gleichen Thema, eine Woche später, war dann immerhin ein ehrenhafter Versuch). Und genau so hielten es die anderen Diskussionsgäste. Patrik Müller, der als Chefredaktor der Zentralredaktion von CH-Media und der «Schweiz am Wochenende» sowie als stellvertretender publizistischer Leiter von CH-Media die rechte Richtung bestimmt. Alex Baur desgleichen, der «Weltwoche»-Redaktor, der auch zu seiner Zeitung manchmal eine kritische Meinung äussert. Medienprofessor Mark Eisenegger schliesslich, Leiter des Forschungsinstituts «Öffentlichkeit und Gesellschaft» an der Universität Zürich, hat auch an diesem Abend seine Funktion als wissenschaftlich fundierter Warner wahrgenommen.
Geschlossene Gesellschaft
Im «Medienclub» ist man weitgehend unter sich: Journalistinnen reden mit Journalisten über Journalismus. Man kennt einander und man tut einander nicht weh. Und gibt sich gegenseitig oder sich selber gute Noten, toleriert die gewisse «Staatsnähe» der SRG – die gesetzlich vorgeschriebene «Bekanntmachungspflicht» durch den nationalen Service public –, aber auch die einheitliche mediale Verstärkung des behördlichen Aufrufs «Bleiben Sie zuhause!» durch Ringier, Tamedia, CH-Media und SRG, die vom «Blick» ausgegangen war, und an der nur die «NZZ» nicht teilgenommen hatte. Die «alte Tante» bekam in der «Club»-Runde dafür Verständnis. Der Notendurchschnitt bei der gegenseitigen Leistungsbeurteilung landete schliesslich bei 4.9 von 6 – mit der niedrigsten Bewertung von 4 (genügend) durch Regula Stämpfli für alle und der Bestnote 6 (sehr gut) durch Alex Baur für die «Weltwoche», also für sich selber.
Man nahm es mit Humor und ging auch grosszügig darüber hinweg, dass der enorme Publikumserfolg von Presse, Radio, Fernsehen und Online-Angeboten nicht primär der Informationsleistung der Medien zur Corona-Krise geschuldet war, sondern zuerst dem gewaltigen Informationsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger.
Aus dem Kreis der Medienschaffenden und -verantwortlichen, die sich in den Fest- und Propaganda-Reden gerne als Pfeiler der Demokratie in Szene setzen, stellte niemand die Frage, warum die Medien nach der Selbst-Entmachtung des Parlaments nicht sofort sehr viel energischer ihre Rolle als «Vierte Gewalt» in Anspruch genommen haben. Die Kritik am Totalausfall des Parlaments folgte zu spät. Hier hat der demokratische Reflex der Vierten Gewalt versagt. Es wäre die redaktionelle Pflicht gewesen, den Mächtigen von Anfang an auf die Finger zu schauen. In diesem Fall dem Bundesrat und der Verwaltung.
Es war ein geschlossener «Medienclub», der sich über weite Strecken den wichtigen Grundfragen nicht stellte. Es brauchte die Intervention des Medienprofessors, um daran zu erinnern, dass der Journalismus in jeder Situation die Aufgabe hat, kritische Fragen zu stellen. Mark Eisenegger bestätigte den allgemeinen Eindruck, dass die Medien im Lockdown ihre Kritikfunktion zu wenig entwickelt hatten.
Verpasste Themen
Der «Medienclub» ist eine verdienstvolle Einrichtung. Aber als Veranstaltung der SRG ist er auch Teil des Problems. Wie die aktuelle Entwicklung um die «Arena» zeigt, müssen auch SRG-Sendungen in die radikale, kritische Diskussion einbezogen werden. Nicht aus personellen, sondern aus institutionellen Gründen stellt sich deshalb die Frage, ob die Leitung des «Medienclubs» nicht wenigstens von Fall zu Fall eine aussenstehende Person übernehmen sollte. Das müsste jemand sein mit den erforderlichen intimen Kenntnissen in Medien und Politik und der notwendigen Freiheit und Zivilcourage, um auch die Fragen zu stellen, die der alltägliche Umgang im gleichen Haus vielleicht nicht ohne Weiteres zulässt.
Mark Eisenegger hatte das «Maskentheater» und die ungenügende Vorratshaltung von Schutzmasken als einen möglichen Gegenstand kritischer Medienarbeit ins Spiel gebracht. Aber niemand mochte so recht darauf eingehen. Dabei hätte man verweisen können auf einen einschlägigen Beitrag der «Rundschau», der sich seinerseits auf eine vorangegangene Kolumne von Rudolf Strahm im «Tages-Anzeiger» zum Thema bezog. Strahm hatte darin die Verantwortlichen für die (mangelhafte) privat organisierte Masken-Vorsorge benannt und gleichzeitig die Systemfrage angerissen.
Es war eine Steilvorlage, die ein Magazin wie die «Rundschau» hätte nutzen können – ich würde sagen: nutzen müssen –, aber sie ist politisch brisant. Die Frage nach einer wirtschaftspolitischen Weichenstellung war und bleibt auf der Tagesordnung. Sie stellt sich immer dringender nach der ersten Coronakrise und mitten in der beschleunigten Klimakrise. Und damit stellt sich immer deutlicher die Frage nach der Rolle der Medien im Angesicht der grossen Herausforderungen.
Distanz zur Brisanz
Es sind grosse Themen für einen «Medienclub», und sie verlangen freies Denken und radikale Diskussionen. Innere Freiheit mit der Bereitschaft zu einem radikalen Wandel. Das zeigt auch höchst aktuell die dramatische Suche der «Arena» nach ihrer Form und ihrem Auftrag. Es ist eine Sendung aus der alten Fernsehwelt. Für die tiefgreifenden Krisen der Gegenwart, die nach Lösungen verlangen, ist sie nicht mehr tauglich: Corona, Digitalisierung, Klimawandel, Rassismus.
Der «Medienclub» hat aber schliesslich doch zu seinem Thema gefunden: Einige tausend Kilometer entfernt in den USA, nach 50 Minuten Sendezeit, beim US-Korrespondenten Peter Düggeli. Moderator Franz Fischlin schaltet ihn gegen Ende der Sendung – nach 50 Minuten – in die Gesprächsrunde.
Düggelis Engagement gilt der Wirklichkeit, sein Job ist «Einordnung» – und das ist mehr als Meinung. Einordnung heisst: Fakten sammeln, Fakten miteinander in Beziehung bringen, Fakten in ihrer Bedeutung beurteilen und daraus ein Bild der Wirklichkeit erzeugen, das diese Wirklichkeit verständlich macht.
Aus dieser methodisch schon fast wissenschaftlichen Arbeit wächst zum Beispiel die Erkenntnis, dass es «Rassismus» tatsächlich gibt – nicht nur als Gefühl von Betroffenen (was auch schon wichtig ist), sondern tatsächlich als eine abwertende, diskriminierende, entmenschlichende Art des Umgangs mit anderen Menschen: Menschen anderer Hautfarbe, anderer Kultur, anderer Religion…
Einordnung ist keine subjektive, beliebige Meinung. Es ist eine journalistische Tatsachenfeststellung, gewonnen aus Beobachtung, Verknüpfung und Gewichtung von Fakten. Allenfalls auch mit einer Vielfalt der Blickwinkel auf die gleiche Wirklichkeit. Erst danach kommt die Vielfalt der Meinungen.
Werte im Journalismus
Und noch davor macht Peter Düggeli den Schritt zur «Haltung», das heisst: zu den Grundwerten, die wir als Mitglieder der Gesellschaft der Menschen teilen und nach denen wir unser Zusammenleben ausrichten: «Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit» – die französische Revolution sprach von ‹fraternité›, Brüderlichkeit, die Linke von Solidarität. Die schwarzen Amerikaner oder die Schwarzen im englischsprachigen Afrika sprechen einander häufig an als «brother» oder «sister», Bruder oder Schwester – ich mag diese Begriffe, weil sie bei aller Gleichheit und Unterschiedlichkeit die unauflösliche Zusammengehörigkeit und Gleichwertigkeit zum Ausdruck bringen.
Das wäre der angekündigte Gegenstand des «Medienclubs» gewesen, an dem die Sendung über die längste Strecke vorbeigeplaudert hat. Ein wichtiger Gegenstand, denn an diesem journalistischen Ansatz hat sich die «Arena» vergangen. Sie hat Tatsachen und Meinungen gleichgesetzt. Sie hat nicht anerkannt, dass es nicht nur in den USA sondern auch in der Schweiz (und wohl in allen Ländern) Rassismus gibt, und dass Personen, die diesen Tatbestand nicht anerkennen, nicht in eine Sendung gehören, in der über Rassismus – möglichst klärend und für die Zukunft versöhnlich – gesprochen werden soll.
Das wird uns weiter beschäftigen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor war bis 2004 Mitarbeiter von SRG/SRF.
Ja, ein wirklich guter Beitrag, viele treffende Gedanken zu Worten u. Sprache um aus Fehlern zu lernen, aber … ‹etablierte› [?] Gesellschaft
Wortbedeutung/Definition:
transitiv: etwas ‹dauerhaft› einrichten, ins Leben rufen
reflexiv: sich insbesondere als Unternehmer niederlassen, b) sich häuslich einrichten, sich in der ‹Gesellschaft› oder in einer bestimmten Ordnung erfolgreich einfügen und ausbreiten
Begriffsursprung von französisch établir in gleicher Bedeutung, von stabilire „befestigen“.
Das Adjektiv ‹etabliert› dürfte so nur auf das Verhalten u. Sein von Menschen angewendet werden.
In den realexistierenden Gesellschaften nehmen Gemeinsamkeiten und Stabilität aber immer mehr ab, weil sich das meiste darin immer schneller ändert, es immer schneller gehen muss u. auch geht, ständig Neues, ach neue Worte, Worte zusätzliche Bedeutungen und Sinn bekommen.
‹Freiheit› ist eine feine Sache. Zu viel davon ist für gemeinsame Werte wenig förderlich, etwas ‹dauerhaft› einrichten wird fast unmöglich. LIBERTATEM hatte in der lateinischen Sprache die Bedeutung ‹Sich Zeit lassen›. Gut Ding will Weile haben.
Sprache, Texte und Meinungen werden immer mehr zur blossen autoritären Überredung gebraucht, ’sich miteinander verständigen› in derartigen sprachverwahrlosten Gesellschaften fast unmöglich.
‹Medienclub› u. ähnliche Formate, treffend als Talk-SHOW’s bezeichnet, dienen mehr dem ‹aus Fehlern lernen›, für Menschen mit viel eigenem Erkenntnisvermögen.
Ich werde mir die Sendung nicht anschauen, weil ich ein empfindlicher Sprachbenützer bin – und ich mag mich nicht eine Stunde lang ärgern. Dass die schweizer Medien kaum mehr Kritisches transportieren mögen, muss ich nicht mit Zuhören unterstützen.
@Ludwig Pirkl: Ihr Hinweis trifft, danke. Ich war davor schon selber irritiert, obwohl «etabliert» den Bezug zum Establishment, also zur «fest eingerichteten», also festgefügten (Medien-)Gesellschaft herstellen sollte. Aber es erschliesst sich offenkundig nicht unmittelbar. Also bin ich zum ursprünglichen Titel «geschlossene» Gesellschaft zurückgekehrt.
Robert Ruoff widerspricht sich. Er schreibt: «Einordnung…ist eine journalistische Tatsachenfeststellung, gewonnen aus Beobachtung, Verknüpfung und Gewichtung von Fakten. Allenfalls auch mit einer Vielfalt der Blickwinkel auf die gleiche Wirklichkeit.»
.
Dann schreibt Ruoff: ««Arena»… hat Tatsachen und Meinungen gleichgesetzt. Sie hat nicht anerkannt, dass es nicht nur in den USA sondern auch in der Schweiz (und wohl in allen Ländern) Rassismus gibt, und dass Personen, die diesen Tatbestand nicht anerkennen, nicht in eine Sendung gehören, in der über Rassismus – möglichst klärend und für die Zukunft versöhnlich – gesprochen werden soll.»
.
Also nur Personen, die den gleichen Blickwinkel haben, dürfen mitdiskutieren. Und dann erst noch «klärend» und «versöhnlich». Das wäre so eine Art Sonntagsschule unter Gleichgesinnten. Genau diese Art Journalismus hat zum Niedergang der MSM geführt. Die echten Diskussionen finden jetzt eher in den alternativen Medien statt.
.
Dass es schon bei der Tatsachenfeststellung verschiedene Blickwinkel gibt, scheint Ruoff zu ignorieren. Kleines Beispiel: «Black Lives Matter – BLM"-Demonstration am 13. Juni 2020 in Paris. Die Demonstranten werden durch die BLM-Leitung per Megaphon aufgefordert «Sales juifs» zu skandieren, was alle lautstark schreien. Begründung: die Juden unterdrücken die Palästinenser. Wer sind nun die Rassisten? Gibt es eine Rangliste von Rassisten? Wenn es keine Rassen geben soll, wieso gibt es dann Rassisten?