Financier des Völkermordes in Ruanda floh mit Hilfe der Schweiz
«Sie toben im Radio und lassen ihren ganzen Hass gegen die Tutsi raus. Sie lassen nicht nach mit der Aufforderung, die „Schlangen“ zu erschlagen, nennen Namen von Tutsi, die man exekutieren soll. Sie verbreiten Gesänge, die wir schon kennen: Töten wir sie, Tubatsembatsembe. Das schlimmste ist, dass die Melodie mitreissend ist. Manchmal herrschen die Moderatoren die Mörder an: „Es scheint, dass ihr (…) faul seid, dass ihr nicht genügend gearbeitet habt.“ Arbeiten, das ist der Ausdruck, der seit 1973 verwendet wird, und der bedeutet, dass Tutsi getötet werden.»
(SurVivantes, Esther Mujawayo, Souâd Belhaddad, Edition de l’Aube 2004)
Das oben zitierte Radio, das diese Hassparolen verbreitete, hiess «Radio des Mille Collines». Der Chef der Station war Félicien Kabuga. Dieser Félicien Kabuga, der vor rund einer Woche nach über 25 Jahren Flucht festgenommen wurde und dem nun ein Prozess wegen Völkermord bevorsteht. Die Massaker in Ruanda begannen am 7. April 1994 und dauerten bis zum 17. Juli 1994 – 100 Tage, in denen über 800’000 Menschen der Tutsi von den Menschen der Hutus getötet wurden. Es war ein Genozid – unter den Augen der Weltöffentlichkeit. Die Friedenstruppe der Uno, die seit 1993 im Land stationiert war, wurde verkleinert, als die Massaker starteten. Niemand griff ein, alle schauten zu. Das Gemetzel war grauenvoll, die Hauptwaffen waren Hassparolen und Macheten.
Er kaufte Macheten und war Chef des Radios
50’000 dieser Macheten wurden von Félicien Kabuga kurz vor Beginn des Blutbades im Ausland gekauft und nach Ruanda importiert. Kabuga war einer der reichsten Männer im Land. Aus einfachen Verhältnissen kommend, hatte er ein Vermögen gemacht und wurde dafür bewundert. Seine Tochter heiratete den Sohn des Präsidenten, eine andere Tochter war mit dem Planungsminister verheiratet (er sollte später des Völkermordes angeklagt und verurteilt werden.) In den kleinen Dörfern im Land der tausend Hügel wurde ein Bauer, der es zu bescheidenem Einkommen gebracht hatte, ein «Kabuga» genannt. Das war, bevor Félicien Kabuga zum Financier des Völkermordes wurde. Sein Geld war es auch, dass ihm half, sich während 26 Jahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda zu verstecken. Geld, das teilweise auf der damaligen UBS lag. Und die Flucht startete er mit Hilfe der Schweiz, die ihn erst einreisen liess und ihm dann die Kosten für die Ausreise nach Kinshasa in der Höhe von 21’302 Franken bezahlte.
Kontrolliert wurde nur die Vermögenslage
Der Journalist Alain Maillard und der Jurist Christophe Tafelmacher haben in ihrem Buch «Faux réfugiés», die Schweizer Flüchtlingspolitik der Abschreckung 1979 bis 1999» berichtet, wie die Schweiz damals versagt hat:
Vor Abflug auf der UBS-Filiale am Flughafen Genf
Erst fünf Jahre später stellt sich heraus: Kabuga hatte, vor dem Einsteigen ins Flugzeug, am Flughafen Genf die UBS-Filiale besucht. Es sei juristisch nicht möglich gewesen, herauszufinden, in welchen Angelegenheiten dieser Besuch stattfgefunden habe, schreibt der Bundesrat 1999 auf eine Anfrage des damaligen Nationalrats Jean-Nils de Dardel.
Aus der Antwort geht auch hervor, dass die Schweiz die Kosten für die Tickets der Familie in Höhe von 21’302 Franken übernommen hat. Der Grund: Herr Kabuga habe sich geweigert, für die Kosten der Ausreise aufzukommen. Hätte man versucht, ihn zu überzeugen, wäre seine «vorsorgliche Ausreise» in einen Drittstaat gefährdet gewesen. «Es lag also im öffentlichen Interesse, die Ausreise sofort zu vollziehen», so der Bundesrat. Zudem habe es keine formellen Beweise für eine Beteiligung an Kriegsverbrechen gegeben und die ruandischen Behörden hätten kein Auslieferungsgesuch gestellt.
Strafgerichtshof gab nie auf
Während sich Ruanda nach den furchtbaren Massakern wieder aufbauen musste und der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda 92 Personen wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen anklagte und 62 Personen verurteilte, reiste Kabuga mit falscher Identität durch Afrika und Europa und liess sich schliesslich in Frankreich nieder. Auf die Spur gekommen war ihm Serge Brammertz, Chefankläger des Tribunals, das 1997 einen Haftbefehl gegen Kabuga erliess. Brammertz hatte letzten Sommer einen Tipp bekommen; eine Taskforce aus Ermittlern aus Grossbritannien, Belgien und Frankreich konnte schliesslich die Falle zuschnappen lassen. Reisen seiner Kinder hatten die Ermittler zur Wohnung in Asnière geführt. Und, wie der L’Express schreibt, habe das Corona-Ausgangsverbot in Frankreich den Beamten in die Hände gespielt.
Nach dem Haftbefehl würde Kabuga in Arusha (Tanzania) vor Gericht gestellt – dort tagt das Ruanda-Tribunal. «Und dort soll er beurteilt werden», so Brammertz. Er geht davon aus, dass Kabuga trotz seiner 85 Jahre prozessfähig sei. Brammertz ist auch entschlossen, sechs weitere wegen Völkermordes Angeklagte endlich vor Gericht zu bringen. Auch sie sind untergetaucht und haben sich dem Gericht bis heute entzogen.
«Die Menschen schaffen es nicht zuzuhören, weil es so unglaublich ist – so furchtbar, dass du dich manchmal selber fragst, ob es wirklich so passiert ist. Es ist so entsetzlich. Uns töten – aber warum so schrecklich? Wenn sie vom Töten müde waren, haben die Mörder des Genozids die Achillessehnen der Opfer durchgeschnitten, damit sie über Nacht nicht fliehen und die Mörder am nächsten Tag ihr Werk beenden konnten. Es ist dieses Gefühl des beispiellosen Grauens, mit dem es schwierig ist zu leben.»
(SurVivantes, Esther Mujawayo, Souâd Belhaddad, Edition de l’Aube 2004)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Dieser Artikel gehört zumindest in die NZZ und den Tagi.