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Ikea Frankreich soll Polizisten bestochen und ein illegales Bespitzelungssystem unterhalten haben © pixabay

Ikea Frankreich wegen Bespitzelung vor Gericht

Tobias Tscherrig /  Der Möbelgigant Ikea soll in Frankreich illegal Informationen über seine Kunden, Mitarbeiter und Bewerber gesammelt haben.

Nach Ermittlungen während acht Jahren, muss sich Ikea Frankreich nun vor einem Strafgericht verantworten. Der Vorwurf: Die Einführung einer Management-Politik, die auf einem System der illegalen Sammlung von Daten basiert, das «über die gesamte Marke» entwickelt wurde.

Konkret soll Ikea Frankreich nicht nur ein Bespitzelungssystem eingeführt, sondern auch Polizisten bestochen und mit Privatapotheken zusammengearbeitet haben, um an Daten von gewerkschaftlich engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Angestellten, Arbeitssuchenden und streitbaren Kunden zu gelangen. Das Bespitzelungssystem sei Anfang der 2000er Jahre eingerichtet und als notwendig für die Bekämpfung von Diebstahl und Unterschlagung bezeichnet worden.

Um Informationen über mögliche Vorstrafen und über Bankkonten zu erhalten, habe das Unternehmen auch einen «Vertrag» mit Polizeibeamten abgeschlossen, die gegen Geld vertrauliche Daten aus Polizeidateien an den Möbelkonzern übermittelt hätten. Einige Geschäftsstellen hätten zudem ihr eigenes lokales Nachrichtensystem aufgebaut.

Wie die Staatsanwaltschaft Versailles mitteilte, müssen sich nun nicht nur der Konzern, sondern auch insgesamt 15 Einzelpersonen vor Gericht verantworten. Darunter mehrere Polizisten sowie die beiden ehemaligen CEO’s von Ikea Frankreich. Bis zu einem Urteil gilt die Unschuldsvermutung.

Daten aus Opfer- und Täterdatenbank der Polizei
Ikea Frankreich wird der Verschleierung mehrerer Straftaten beschuldigt, insbesondere der «Verletzung des Berufsgeheimnisses», und der «Sammlung persönlicher Daten durch betrügerische, unfaire oder ungesetzliche Mittel». Ikea Frankreich sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, sich Informationen aus dem «Système de traitement des infractions constatées» (STIC) – einer Polizeiakte, in der Daten von Tätern und Opfern geführt werden – beschafft zu haben. Die involvierten Polizeibeamten seien diskret für ihre Dienste bezahlt worden. Einer Polizeistation seien Möbel angeboten worden, Polizeibeamte seien auch mit Gutscheinen zur Pflege der guten Beziehungen geködert worden. Obwohl weitere Delikte aufgedeckt worden sind, werden infolge Verjährung nur die zwischen 2009 und 2012 begangenen Delikte strafrechtlich verfolgt.

Wie Untersuchungsrichterin Laurence Joulin schrieb, ging es Ikea Frankreich darum, «eine Managerpolitik auf der Grundlage eines Spionagesystems zu schaffen», dass sich insbesondere gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie gegen Personen richtete, die Ikea anwerben wollte. Diese «illegale Praxis» sei in der «Grössenordnung des gesamten Unternehmens» entwickelt worden. So habe der Möbelkonzern zum Beispiel eine Untersuchung gegen einen Gewerkschaftsvertreter eingeleitet, der in der Ikea-Filiale in Thiais angestellt war. Dabei sei Ikea sogar so weit gegangen, über seine Anwälte die Unternehmen Facebook und Google in den USA zu kontaktieren um an Daten des Personalvertreters zu gelangen.

Gewerkschafter deckt Bespitzelung auf
Das illegale Bespitzelungssystem flog Anfang 2012 auf, als ein Gewerkschafter, der bei Ikea angestellt war, einen landesweiten Streik bei Ikea Frankreich organisierte, um Lohnerhöhungen durchzusetzen. Daraufhin wurde er als schwarzes Schaf gebrandmarkt, der «moralischen Belästigung» seiner Vorgesetzten für schuldig befunden und dann entlassen.

Über einen anderen gewerkschaftlich organisierten Ikea-Mitarbeiter verschaffte sich der Entlassene Zugang zu einer Datei des Möbelkonzerns, der die umfangreiche Bespitzelung in den Ikea-Läden aufdeckte. Demnach sammelte Ikea Daten über den Lebensstil einiger Mitarbeiter, sowie Daten über Vorstrafen und Daten aus dem Bereich der Gesundheit. Die Gewerkschaft «Force ouvrière» (FO) reichte eine Beschwerde ein, die Satire-Zeitung «Le Canard enchaîné» und das Online-Magazin «mediapart» brachten den Skandal an die Öffentlichkeit. Es folgten Durchsuchungen und Verhaftungen. Dokumente verschwanden und alle Beteiligten waschen ihre Hände in Unschuld.

Die Staatsanwaltschaft Versailles leitete im März 2012 eine Untersuchung gegen Ikea Frankreich ein, am 30. April beantragte die Untersuchungsrichterin die Überweisung des Falls an ein Strafgericht.

Von umfangreicher Rechtsabteilung profitiert
Der Überweisungsantrag an das Strafgericht spricht eine klare Sprache: Zahlreiche Zeugenaussagen von Mitarbeitern von Ikea Frankreich würden belegen, dass das Unternehmen persönliche Daten in seinem Besitz hatte, die verarbeitet und genutzt wurden, um kein Arbeitsverhältnis einzugehen oder Arbeitsverhältnisse zu beenden. Die betroffenen Personen seien über die Verwendung ihrer persönlichen Daten nicht informiert worden, heisst es weiter.

«Ikea Frankreich war sich also der Rechtswidrigkeit solcher Sammlungen, die im Laufe der Jahre illegal beschafft wurden, durchaus bewusst.» Diese Bespitzelungstätigkeiten seien institutionalisiert gewesen. «SAS Meubles Ikea France hat von der Veruntreuung personenbezogener Daten profitiert (…) um eine Managerpolitik umzusetzen, die auf einem System organisierter Spionage gegen Bewerber, Mitarbeiter und Kunden basiert. Sie war sich des illegalen Charakters der Manöver zur Erlangung solcher Informationen bewusst und profitierte dabei insbesondere von einer umfangreichen Rechtsabteilung.»

Aus dieser unrechtmässigen Offenlegung von persönlichen Daten habe Ikea Frankreich einen direkten Nutzen gezogen, indem man die illegalen Daten als Kriterium für neue und bestehende Arbeitsverhältnisse genutzt habe.

«Anweisungen von internationaler Leitung»
Neben der französischen Tochtergesellschaft des schwedischen Möbelkonzerns werden sich auch 15 natürliche Personen vor Gericht verantworten müssen. Darunter zwei ehemalige Chefs der französischen Ladenkette: Jean-Louis Baillot – der diese Position von 1996 bis Ende 2009 innehatte – und sein Nachfolger Stefan Vanoverbeke. Baillot habe die systematischen Kontrollen eingeführt, um sicherzustellen, dass die Angestellten von Ikea sowie die Bewerberinnen und Bewerber nicht mit dem Gesetz in Konflikt standen oder stehen.

Vanoverbeke wird seinerseits strafrechtlich verfolgt, weil er wissentlich die Fortsetzung dieser Aktionen zugelassen habe. Fünf Polizeibeamte oder ehemalige Polizeibeamte, die polizeiliche Datenbanken konsultiert und Daten geliefert haben sollen, sowie ein mit ihnen in Verbindung stehender Dienstleister und mehrere Führungskräfte des Möbelhändlers, befinden sich ebenfalls im Visier der Justiz.

Gemäss Jean-François Paris, dem ehemaligen Sicherheitschef von Ikea Frankreich, wurden diese Kontrollen zunächst von Fall zu Fall durchgeführt, bevor sie ab Mitte der 2000er Jahre auf Antrag von Baillot regelmässig durchgeführt wurden. Baillot wehrte sich während der Untersuchung gegen diesen Vorwurf und sagte, dass die Möglichkeit bestehe, dass diese Praktiken als Ergebnis von «Anweisungen» des internationalen Managements von Ikea eingeführt worden seien. Auch Vanoverbeke bestritt alle Vorwürfe: «Ich wusste nicht, dass diese Praktiken stattfanden. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich sie aufgehalten. Es ist gegen meine Werte und meine Überzeugungen.»

Der Anwalt von Ikea sagte gegenüber «Le Monde», dass sein Mandant «die irreguläre Erhebung personenbezogener Daten vom ersten Tag der Enthüllung der Fakten an stets scharf verurteilt hat». Das Unternehmen habe sofort einen Aktionsplan eingeführt, um die Wiederholung einer solchen Praxis zu verhindern. Ikea Frankreich werde dem Gericht nachweisen, dass es kein Spionagesystem gegeben habe.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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