Politisches Fernsehen: Soft-Power-Soaps im Ramadan
Der Bedarf an Unterhaltung ist in diesem Jahr noch grösser als in normalen Jahren, in denen Millionen Muslime und Musliminnen die Abende des Fastenmonats Ramadan gesellig – mit Verwandten und Freunden – zu verbringen pflegen. Nicht dass der Ramadan nicht auch schon in den vergangenen Jahren die Hochsaison für TV-Serien gewesen wäre – aber in Zeiten der Ausgangsbeschränkungen ist das Fernsehen ein besonders sicherer Hafen.
Diverse staatliche Ausnahmegenehmigungen haben dazu geführt, dass die meisten Produktionsfirmen ihre extra für den Ramadan produzierten Soap-Operas trotz Corona-Krise doch noch rechtzeitig im Kasten hatten. In der arabischen Welt sind die Ägypter traditionell die Grössten in der Filmindustrie, aber andere Staaten – auch solche, von denen man es vielleicht nicht erwarten würde, wie Syrien – ziehen nach.
Politische Erziehung
Die Golfstaaten sind auf der Aufholspur. Zwei von drei Shows, die es dieses Jahr sogar in die internationalen Schlagzeilen schaffen, werden von MBC ausgestrahlt, dem grössten arabischen Broadcaster. Er steht seit 2018 – nachdem MBC-Chef Walid al-Ibrahim in die Mühlen des Antikorruptionskampfes des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman geraten war – unter saudischer Kontrolle.
Inhalte, die dem saudischen Patron nicht passen, gibt es da natürlich nicht. Im Gegenteil, die «Soft Power» des Ramadan-Fernsehens wird nicht einmal sehr subtil, sondern recht offen edukativ-politisch eingesetzt. Und worum es geht, formulieren Kritiker so: Das Publikum soll mittels einer Soap-Kampagne auf eine Normalisierung mit Israel eingestimmt werden.
Hintergründige Satire
In Makhraj 7 («Exit 7») werden die Folgen der jüngsten Modernisierungswelle im saudischen Königreich satirisch verpackt – mit durchaus hintergründigen Dialogen. In einer Episode entdeckt ein Vater, dass sein Sohn mit einem jungen Israeli online Computergames spielt, und das führt zu diversen Abwägungen.
An die Frage, ob man mit den Israelis vielleicht sogar Geschäfte machen könnte, schliesst sich eine Diskussion über die Palästinenser an, für die man so viele Opfer gebracht habe – vom Ölkrieg bis zur Finanzierung ihrer Verwaltung. Obwohl man doch das Geld selbst gebraucht hätte! «Und dann greifen sie Saudi-Arabien an» – unausgesprochener Nachsatz: das undankbare Pack. Dass sich die Palästinenser, als Saddam Hussein 1990 Kuwait überfiel, auf die Seite des irakischen Diktators stellten, ist unvergessen.
Zwar wird Israel als schuldig dafür ausgemacht, dass es überhaupt zu Problemen zwischen Palästinensern und den anderen Arabern gekommen ist. Aber es gebe eben auch Palästinenser, die ihr Land an die Juden verkauft hätten, heisst es: Sie sind nicht nur Opfer. Mittlerweile haben sich in sozialen Medien Kampagnen «Palästina ist meine Causa» formiert – aber eben auch «Palästina ist nicht meine Causa».
Um «die Juden» geht es noch viel mehr in einer für MBC in den Vereinigten Arabischen Emiraten produzierten Serie: Umm Haroun, («Die Mutter Aarons»). Die in Kuwait spielende Story ist von einem Brüderpaar aus Bahrain, Mohammed und Ali Shams, geschrieben, der Regisseur ist Ägypter.
Die Figur der Umm Haroun ist laut den Autoren an eine in den 1930er-Jahren in Bahrain tätige und aus dem Irak stammende jüdische Hebamme namens Umm Jan angelehnt. Im Fall der aktuellen Serie ist die Hebamme türkischstämmig und wird nach Israel auswandern. Gleich zu Beginn gibt es einen Monolog auf Hebräisch, in dem auf die frühere Existenz jüdischer Gemeinden am Golf verwiesen wird.
Die Botschaft ist einfach – und rührt eine Saite bei manchen Arabern der alten Generation an, die sich an diese Zeit ja erinnern können: Muslime, Juden und Christen lebten einmal ziemlich gut zusammen und waren verbunden durchs allgemein Menschliche.
Überkonfessionelle Liebe
Das schaut in Umm Haroun etwa so aus: Christin liebt muslimischen Kaufmann, der unglücklich mit einer Muslimin verheiratet ist, die eigentlich einen anderen Muslim will, welcher aber von der Tochter des Rabbiners träumt.
Die Protagonistin wird von der berühmten kuwaitischen Schauspielerin Hayat al-Fahad gespielt, die zuletzt jedoch mit einer anderen als der diesmal erwünschten humanitären Message aufgefallen ist: Zu Beginn der Corona-Krise hatte sie gemeint, alle Nicht-Kuwaiter sollten aus dem Land geworfen werden, um das Gesundheitssystem zu entlasten (das ohne Ausländer jedoch schnell kollabieren würde).
Wir sind nicht so!
Zwar ist es in Umm Haroun die Gründung Israels, die alles durcheinanderbringt, aber vielleicht ist ja die Rückkehr in eine bessere Zeit der friedlichen Koexistenz möglich? Wir, die Araber, waren und sind nicht so – und die anderen vielleicht auch nicht!?
Die in Kairo angesiedelte Union der Arabischen TV-Produzenten sieht das anders und fordert, vor allem wegen der Inhalte von Makhraj 7, einen Boykott von MBC. Aus Ägypten kommt denn auch der Kontrapunkt, ein seltsames dystopisches Drama namens El-Nihaya («Das Ende»), in dem sich im Jahr 2120 ein Computeringenieur mit Cyborg-Klonen herumschlagen muss.
Aus einer Schulstunde erfährt man, dass Israel vor langer Zeit zerstört wurde – noch vor seinem 100. Geburtstag 2048. Und die Juden seien dorthin zurückgekehrt, woher sie gekommen waren: nach Europa. Was aus den aus dem Nahen Osten und Nordafrika stammenden Juden geworden ist, erfährt man nicht. Dafür stellt sich heraus, dass diese Schulstunde eigentlich nicht hätte stattfinden dürfen, die Klasse wird attackiert.
So weit, so verwirrend. Hergestellt wurde die Serie von Synergy Production, gezeigt wird sie vom TV-Sender ON – und beide stehen ganz klar dem Regime von Ägyptens starkem Mann Abdelfattah al-Sisi nahe, der 2018 in einem Interview bestätigt hatte, dass die ägyptisch-israelische Zusammenarbeit noch nie so eng war.
Das israelische Aussenministerium protestierte – dabei ist es derartigen Kummer aus Ägypten gewöhnt: Einen Tiefpunkt stellte im Ramadan 2002 die Serie «Reiter ohne Pferd» dar, die auf den gefälschten Protokollen der Weisen von Zion basiert. Sie wurde 2012 noch einmal gezeigt, übrigens bevor der Muslimbruder Mohammed Morsi zum Präsidenten gewählt wurde.
Dass sie auch anders können, zeigten die Ägypter hingegen 2015 mit der Serie «Das Jüdische Viertel», die einen ähnlichen Tenor anschlägt wie heute Umm Haroun: Früher konnten Juden und Muslime friedlich zusammenleben. Dem Herstellungsjahr 2015 ist geschuldet, dass vor allem die Muslimbrüder die Bösewichte sind.
Iranischer Strassenfeger
Eine der grössten TV-Überraschungen in dieser Beziehung kam jedoch nicht aus der arabischen Welt, sondern ausgerechnet 2007 – Präsident war der Holocaust-Leugner Mahmud Ahmadinejad – aus dem Iran.
In der überaus erfolgreichen 30-teiligen Serie «Breitengrad null» rettet ein iranischer Diplomat, für den es ein reales historisches Vorbild gibt, in Paris während des Zweiten Weltkriegs Juden. Muslimisch-jüdische Lovestory inklusive.
Dieser Beitrag erschien zuerst im «Standard».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Gudrun Harrer ist leitende Redakteurin des österreichischen «Standard» und unterrichtet Moderne Geschichte und Politik des Nahen und Mittleren Ostens an der Universität Wien.