Was für eine Zukunft und welche Deals?
Vor einigen Wochen empfahl ich das neuste Werk von Naomi Klein «Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann» – weil es radikale Mindestanforderungen für mögliche neue Koalitionen zeige. Danach kam mir die «Reise in die Klimazukunft» von Christoph Keller in die Hand. Das ist von der Anlage her ein schweizerisches Pendant zum Reader der kanadischen Autorin. Auch hier werden einschlägige Texte aus dem vergangenen Jahrzehnt versammelt, leicht aktualisiert und mit einer Grundsatzfragen berührenden Einleitung versehen. Mit dem Titelbild wird, für mich etwas irritierend, Leichtigkeit signalisiert: Das alte Automobil – mit Ballons bestückt. Wären nicht grundlegendere Wandlungen unserer Lebensweise nötig?
Christoph Keller: Benzin aus Luft. Eine Reise in die Klimazukunft. Reportagen und Essays. Rotpunktverlag, Zürich 2019, 256 Seiten, CHF 22.00
Rettungsversuche im Klimakontext
Die erste Seite korrigiert den Eindruck. Sie ist eine Breitseite gegen den unbeschwerten Konsumismus. Keller hält die Lage für durchaus dramatisch und er bezieht sich direkt auf Klein, welche den ungezügelten Kapitalismus als Motor der Klimakatastrophe sehe und fordere, «dass mit unmissverständlichen, drastischen Regulierungen eine Wende eingeleitet wird, weg von der verrückten Normalität, hin zu einer Normalität, in der andere Grundsätze gelten». Dann fragt er weiter, wer hierzulande die Verantwortung trage für den Fortbestand der verrückten Normalität. «Dafür, dass nach wie vor mehr Landebahnen gebaut werden für mehr Flugreisende, dafür, dass ungebrochen über den Ausbau der Autobahnen auf sechs Spuren diskutiert wird, dafür, dass Pensionskassen ungehindert in die Erdölindustrie investieren?»
Danach kommen Reportagen, Gespräche. Zuerst die «Besichtigung der Katastrophen». Gletscherschmelze, Schlammlawinen, eine geflutete Stadt. Meist sind «Kontext»-Sendungen von SRF 2 die Basis, und so bieten die «urbanen Streifzüge», welche folgen, für einmal nicht primär – aber auch – Exempel aus Zürich. Basel lag dem Autor und der Kulturradio-Redaktion näher. Beispiele aus dem Wirtschafts- und Forschungsbereich dominieren die dritte und vierte Abteilung, wo es dann etwa um das Entfernen von CO2 aus der Luft geht: «Packen wir’s ein». Methoden in Entwicklung. Aber «nein, kein Luftschloss», sagt der Professor. Auch das titelgebende Kapitel zum «Benzin aus Luft» bleibt wolkig. Zwar kommt nun Konkretes wie die Climeworks-Anlage in Hinwil ins Spiel; sie wurde Anfang März auch von Greta Thunberg besichtigt und ein neues «Red Bull»-PR-Magazin, der «Innovator», setzt einen der dort wirkenden «CO2-Zauberer» als Weltretter aufs Cover. Noch zeigt Keller eine gewisse Skepsis. Aber wer will, kann zunehmend Sätze finden, die ihn als Kronzeugen für bequemes Zuwarten zitierbar machen: «Die wirtschaftlich tragbaren, neuen und nachhaltigen Technologien sind vorhanden – das ist es, was die in diesem Buch versammelten Reportagen zeigen wollen.» Studien, die belegen, dass «fossilfreie Energieversorgung industrialisierter (und anderer) Länder möglich ist, füllen Regalmeter. Sogar im Flug- und Schiffsverkehr bahnen sich Lösungen an.» … Was also soll das Notstands-Gelärme, warum Flugscham, warum den Lebensstil, das System ändern? Bald schon erblüht die grüne Ökonomie und alles wird gut!
So ist das nicht gemeint. Gewiss. Lässt sich aber so interpretieren. Streckenweise ist der Berichterstatter spürbar dem Sog der Euphorie verfallen, die von den porträtierten Pionieren – es sind wesentlich weniger Frauen – ausgeht. Und ist denn heute im Hagelschlag alarmierender Informationen nicht jede Hoffnung willkommen?
Ein öko-sozialistischer Zwischenruf
Wer sich argumentativ gegen diese Versuchung rüsten will, kann ein anderes Rotpunkt-Buch beiziehen: «Das Märchen vom grünen Wachstum». Bruno Kern erzählt dieses nicht nach, er widerspricht ihm. Vehement. Speziell unter dem Schlagwort Green New Deal werde derzeit «die Ideologie verbreitet, das kapitalistische Wachstum könne mit anderen technischen Mitteln weitergeführt werden wie bisher». Doch eine nachhaltige Zukunft, ja überhaupt lebenswerte Weltperspektiven gebe es nur bei grundlegender Veränderung der herrschenden Verhältnisse.
Bruno Kern: Das Märchen vom grünen Wachstum. Plädoyer für eine solidarische und nachhaltige Gesellschaft. Rotpunkt 2019, 240 Seiten, CHF 17.00
Eigentlich ist der Debattenbeitrag dieses Autors, der mit einer Studie zur «Marxismusrezeption in der Theologie der Befreiung» promovierte, eine Programmschrift der in Deutschland, Österreich und der Schweiz relativ kleinen öko-sozialistischen Bewegung – und ihrerseits nicht ideologiefrei. Inhaltlich überzeugen mich deren Publikationen in der Regel durchaus, doch ihr Ton wirkt oft sehr parolig. Dass das durchaus reizvoll sein kann, zeigt die hübsche Kapitelüberschrift zum Kampf gegen Konsumismus: «Alle Räder stehen still, wenn den Ramsch keiner mehr will.» Interesse am Thema scheint vorhanden; es liegt schon die 2. Auflage vor.
Suffizienzpolitik, aber mit Vergnügen
Abschliessend noch ein Sammelband, der kürzlich eintraf und bestens passt. Thema: Suffizienzpolitik. Das klingt weniger süffig als «Green New Deal»; gestrige Tugenden wie Genügsamkeit schwingen mit, die leidigen Grenzen des Wachstums. Tatsächlich sind die Inhalte unbequemer. Auch, ja gerade für Grüne: «Bevölkerungssegmente, in denen positive Umwelteinstellungen weiter verbreitet sind als im Bevölkerungsmittel», liegen beim Ressourcenverbrauch über dem der weniger Umweltorientierten. Für die eher mit primär technologischen Nachhaltigkeitsstrategien zu verknüpfenden Effizienz- und Konsistenz-Elemente lassen sich inzwischen leichter Koalitionen finden. Bei der Suffizienz jedoch, die Laura Spengler ausdrücklich mit Gerechtigkeit und darum mit Unter- wie Obergrenzen verknüpft, hört die Konsequenz in unseren Breiten rasch auf.
Damit gutes Leben mit der Natur einfacher wird. Suffizienzpolitik für Naturbewahrung. Hrsg. von Leonie Bossert u.a. Metropolis-Verlag für Ökonomie, Gesellschaft und Politik, Marburg 2020, 280 Seiten, CHF 34.00
Wie diese Kluft zwischen Wissen und Handeln auch hier zu überwinden wäre, ist die zentrale Frage, der die überarbeiteten Beiträge einer Tagungsreihe der Akademie des deutschen Bundesamtes für Naturschutz nachgehen. Unter anderem hatten dort Rahel Gessler und Toni W. Püntener erklärt, was «Suffizienz als handlungsleitendes Prinzip» in Politik und Verwaltung der Stadt Zürich nach einem 2008 mit immerhin 76,2 Prozent Ja-Stimmen gefällten Entscheid für die 2000-Watt-Gesellschaft zu bewirken vermochte. Bei aller Zuversicht: noch klar zu wenig.
Wie bei andern Texten scheint die Hoffnung von der neuen Bewegung beflügelt, ohne abzuheben. Dazu passt auch das – verglichen mit dem luftigen Motiv bei Keller recht erdnahe – Cover. In der einleitenden Betrachtung wird jedoch «für mehr Fahrvergnügen auf dem Weg zur Suffizienz» plädiert. Inspiriert ist das Postulat von der Autowerbung. Die führe immer wieder vor, wie sehr bei den Mobilitätsentscheiden, die für den Lebensstil Einzelner und die Lebensqualität aller wichtig sind, Gefühle mitspielen. Geht es um das Eindämmen der Verkehrsbelastung in Städten, kann beim Widerstand die individuelle Freiheit beschworen werden. «Wenn sich Politik überhaupt einmischen müsse, so die Kritiker, solle sie effiziente technische Alternativen fördern, anstatt Verbote auszusprechen.» Was dann relativ rasch zu oberflächlichen Deals mit wenig Grün in viel Grau führt. Die anzustrebenden Freiheitsräume für alle würden bunter.
Dieser Text erschien auch in der P.S.-Frühjahrs-Buchbeilage.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Ja, Kluft zwischen Wissen und Handeln, in Kürze: «Wir wissen genau was wir tun sollten, aber wir tun es nicht» (Dürrenmatt).