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Das Coronavirus brach in China aus und trifft Europa mit voller Wucht © pixabay

Corona: In der Krise beweist sich der Charakter

Tobias Tscherrig /  Die Pandemie ist ein Gradmesser, wie die verwöhnte westliche Wohlstandsgesellschaft mit Krisen umgeht: manchmal gut, oft kopflos.

Die Zahl der Menschen, die sich weltweit mit dem neuartigen SARS-CoV-2-Virus angesteckt haben, steigt weiter. Ebenso die Zahl der Todesopfer, die infolge der Lungenkrankheit Covid-19 sterben. Am 20. März 2020 waren es weltweit über 10’000. Tendenz: steigend. Unser Nachbarland Italien ist besonders betroffen, die Regierung vermeldete vor einigen Tagen 475 Todesopfer an einem Tag und verzeichnet damit mehr Todesopfer als China. Das Gesundheitssystem ist lokal teilweise überlastet, ebenso Friedhöfe und Krematorien. Armeelaster fahren die Leichen weg.

Auch in Spanien und in vielen anderen Ländern spitzt sich die Lage zu. In halb Europa steht das öffentliche Leben still. In der Schweiz sind bisher 43 Personen gestorben (Stand 20. März 2020).

Krise vor behüteten Häusern
Die Zahlen zeigen, dass Europa inzwischen die Region mit den meisten tödlichen Erkrankungen ist. Damit erwischt das Virus einen Kontinent, der seit der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg von wirklichen Krisen verschont wurde. Zwar gab es 2015 die sogenannte Flüchtlingskrise, aber die Corona-Pandemie ist anders: Jede und jeder ist direkt davon betroffen. Vom Virus, der Gefahr einer Ansteckung. Von der Gefahr, das Virus weiterzuverbreiten und damit Menschenleben zu gefährden. Von den Massnahmen und Schutzvorschriften (die nun wirklich alle kennen sollten), von den Eingriffen ins öffentliche Leben.

Zum ersten Mal nach langer Zeit spielt sich eine Krise direkt vor unseren behüteten Häusern ab – in der Schweiz, die sich vor allem durch Wohlstand und Sicherheit auszeichnet. Corona grassiert nicht «nur» in Ländern der Dritten Welt oder in anderen weit entfernten Staaten. Das Virus trifft uns mit voller Wucht. Das Wechseln des TV-Senders und das allabendliche Feierabendbier reichen nicht mehr, um eine unliebsame Realität auszublenden. Damit ist die Corona-Pandemie auch ein Gradmesser, der zeigt, wie die verwöhnte Wohlstandsgesellschaft reagiert, wenn sie selber von Ungemach betroffen ist.

Egoismus verschlimmert die Pandemie
Das Positive vorweg: Teile der Gesellschaft haben reagiert. Vielleicht zu langsam und zu schwerfällig – aber sie beginnen, den Ernst der Lage zu verstehen und sich anzupassen. Menschen halten sich an die getroffenen Hygiene-Massnahmen, halten Sicherheitsabstand, bleiben zuhause. Sie organisieren solidarische Nachbarschaftshilfen, sprechen einander Mut zu, brechen nicht in Panik aus. Der Respekt vor Menschen, die wichtige Dienstleistungen an der Gesellschaft mit ihrer Arbeit am Laufen halten – obwohl sie sich dabei Gefahren aussetzen – ist gestiegen.

Aber es gibt auch die andere Seite, die egoistische. Trotz zahlreich verfügbaren Informationen, regelmässigen Medienkonferenzen des Bundesrats und bisher über 30’000 Medienberichten, reagiert ein Teil der Bevölkerung mit Ignoranz und Egoismus. Sie pfeifen auf die Anordnungen der Regierung, vergnügen sich fröhlich inmitten von Menschenansammlungen und vermeiden kaum soziale Kontakte. Menschen flanieren im Sonnenschein, was an sich nicht verboten ist. Es gilt dabei allerdings, die Sicherheitsregeln zu beachten: Nicht mehr als fünf Personen, Sicherheitsabstand von zwei Metern. Trotzdem wird allen empfohlen, zuhause zu bleiben. Anders liegt der Fall, wenn Ausgangssperren ausgesprochen wurden. So wie zum Beispiel im Kanton Uri, wo für Personen ab 65 Jahren Einschränkungen gelten.

Menschen rennen in Supermärkte, wo bereits andere potenzielle Virenschleudern Schlange stehen. Dort kaufen sie Regale leer, beleidigen Personal, fördern Engpässe, Panik und Ansteckungsgefahr – nur um zuhause Vorräte zu bunkern, die irgendwann dann wahrscheinlich doch im Müll landen. Dabei gibt es keine Versorgungsengpässe – und davon ist in der Schweiz auch nicht auszugehen. Das Sicherheitsempfinden der Menschen treibt seltsame Blüten. Fünf bis 14 Tage nach dem Hamsterkauf schlägt dann die Stunde der Wahrheit. So lange dauert die durchschnittliche Inkubationszeit des Virus. Dabei ist die Botschaft einfach: Befolgen Sie die Hygiene-Massnahmen, vermeiden Sie soziale Kontakte, bleiben Sie wenn möglich zuhause: Retten Sie Menschenleben.

Andere stehlen oder horten Desinfektionsmittel und Gesundheitsartikel, die anderswo weit besser eingesetzt wären. Oder sie trauern vor allem über den Ab- oder Unterbruch von Meisterschaften in diversen Sportarten, über die Absagen kultureller Angebote und über den Tod des Nachtlebens. First-World-Problems. Nur nicht für all jene, die sich dadurch in ihrer finanziellen Existenz bedroht sehen.

Auch diese Krise wird instrumentalisiert
Im Internet kursieren Fake-News und Mutmassungen, Verschwörungstheorien machen die Runde. Immer wieder gibt es Fälle von Betrügerinnen und Betrügern, die mit der Angst vor SARS-CoV-2 Kasse machen wollen. Selbsternannte Gesundheitsexpertinnen und Experten üben Kritik und schüren Zweifel an den getroffenen Massnahmen der Regierung. Einige Vertreterinnen und Vertreter diverser Glaubensrichtungen wollten Gottesdienste und andere Feiern aufrechterhalten und sprachen davon, die Pandemie mit Gebeten zu besiegen.

Nach anfänglichem Kantönligeist und einigem Zögern haben sich in der Zwischenzeit auch die meisten Politikerinnen und Politiker der Schweiz zusammengerauft. Sie wählen ihre Worte mit Bedacht, verweisen auf die offiziellen Informationen von Bund und Kantonen, erklären die getroffenen Massnahmen und werden nicht müde, die Bevölkerung zur Besonnenheit und Disziplin aufzurufen. Andere schweigen lieber. Sie überlassen das Reden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Menschen vom Fach.

Aber gibt es sie noch immer: Die immer gleichen Schweizer Politikerinnen und Politiker, die auch diese Krise instrumentalisieren. Im Internet frönen sie ungeniert ihrer Geltungssucht, üben unüberlegt und massiv Kritik an der Regierung und torpedieren damit die getroffenen Massnahmen. Aus Prinzip dagegen. Happige Kritik an der EU, an offenen Grenzen und anderen Staaten. Bunkermentalität, Abschottung, Ausbau der Armee, Fake-News: das sture Verfolgen der eigenen politischen Agenda. «In der Krise beweist sich der Charakter», sagte der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt einst. Vielleicht werden manche der Scharfmacher daran zerbrechen.

Wie im Kleinen, so im Grossen
Die Tendenzen, die im Kleinen in der Schweiz zu hören und zu sehen sind, sind international im grossen Stil zu beobachten. So sprechen zum Beispiel Parteimitglieder der Alternative für Deutschland (AfD) inzwischen statt von «Messer-Migranten» von «Corona-Migranten». Die Partei rief die Bevölkerung dazu auf, sich bei Fragen und Kritik direkt an Bundeskanzlerin Angela Merkel zu wenden (inklusive Kontaktdaten). Und einmal mehr wurde der sofortige Rücktritt von Merkel gefordert. Auf der anderen Seite bekundet die deutsche Bevölkerung Mühe, die Massnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus einzuhalten. Zahlreiche Anzeigen mussten bereits ausgesprochen werden. Ein Mittel, das nun auch der Bundesrat in der Schweiz angeordnet hat.

Es gibt zahlreiche derartige Beispiele; am besten zeigen sich Nationalismus, Egoismus und Populismus aber in den USA, wo die Bevölkerung ihr Sicherheitsempfinden mit vermehrten Waffenkäufen befriedigt und die Jugend nicht auf ihre Spring-Break-Partys verzichten will. US-Präsident Donald Trump reagierte wirr auf den Ausbruch des Virus: Vor dem Hintergrund der US-Wahlen redete er die Krise klein, verbreitete Fake-News, erhöhte seine eigene Person und wollte zum Beispiel einen Impfstoff explizit für US-Amerikaner herstellen lassen. Dann machte er eine Kehrtwende. Und inzwischen hat sich der schwelende Handelskrieg zwischen den USA und China in eine regelrechte Propaganda-Schlacht mit gegenseitigen Schuldzuweisungen und Provokationen ausgeweitet. Ein neuer kalter Krieg, auf dem Rücken einer weltweiten Pandemie ausgetragen.

Was also lernen wir daraus?
Zum einen sind Menschen auch – und erst recht – in Zeiten der Krise egoistisch und anfällig für das Schwarz-Weiss-Denken und für die scheinbar einfachen Lösungen von durchschaubaren Wahrheitsverdrehern. Im Kleinen zeigt die Bevölkerung der Schweiz und anderer Länder, dass Solidarität zwar vorhanden ist, diese aber nicht immer als oberstes Gebot gilt. Vor allem dann nicht, wenn die eigene Lebensweise und die eigenen Gewohnheiten in Gefahr sind und Verzicht gefordert wird. Statt Vernunft und Besonnenheit übernimmt Ignoranz oder Panik. Beides führt zu dummen Reaktionen.

Weiter schafft es die Weltgemeinschaft (bisher) einmal mehr nicht, für eine globale Krise auch globale Lösungen zu finden. Statt gemeinsame Lösungen anzustreben, werden in erster Linie die eigenen Pfründe verteidigt. An sich ist das nichts Neues, die Klima-, manche Finanz- und auch die Flüchtlingskrise lassen grüssen.

«In der Krise beweist sich der Charakter»: Dieser Satz ist ein guter Gradmesser für jede Einzelne und jeden Einzelnen, das eigene Handeln zu hinterfragen. Vielleicht werden die privilegierten Menschen der Industriestaaten etwas aus der Corona-Krise lernen. Wahrscheinlich ist es nicht. Wir werden SARS-CoV-2 überleben – und weitermachen, wie bisher.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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11 Meinungen

  • am 21.03.2020 um 12:41 Uhr
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    denn ich habe eine Wut im Bauch; über die jahrzehntelange Liberalisierung des Service publique in der Schweiz, im Gesundheitswesen, in der Bildung und Kultur, in der Forschung, mit Medikamenten usw. Die Pharma kann die Staaten erpressen, mit geringerer Medikamentenerstellung und mit Preisen. Die Care-Arbeit wird schlecht bezahlt, zu wenig Pflegefachleute, zu wenig Medikamente, zuwenig Beatmungsgeräte und zu wenig Kapazität in den Spitäler usw……
    Die Steuergeschenke an Konzerne und Multis und ihre Privilegierung – die Gewinne sind jahrzehntelang nur an Einzelne geflossen – haben den Staat zum sparen und Abbau von Stellen in allen Bereichen gezwungen. Schon lange zeigen sich die Folgen der Liberalisierung auf der Welt.Wir brauchen dringend eine Wirtschaft, die sozial und umweltverträglich ist und für das Gemeinwohl produziert. Eine Wirtschaft, wo die bisher schlecht oder gar nicht bezahlte Care-Arbeit ideell und finanziell Bestandteil ist.Und keine Wirtschaft und Hochfinanz, die Klimaverantwortung nicht wahrnimmt und verantwortlich ist für viel Klimaschädigung, Armut, Elend und Flüchtlinge in der Welt.
    Wir brauchen Steuergerechtigkeit und ein garantiertes Grundeinkommen.

  • am 21.03.2020 um 16:29 Uhr
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    Das Nichtbefolgen von Weisungen der Obrigkeit ist die natürliche Folge der Gottlosigkeit unserer Gesellschaft. Wir haben Gott und seinen Willen aus unserem Alltag verbannt. So bleibt nur noch der Egoismus und unser eigener Wille und darunter werden wir weiter leiden bis zur Wiederkunft von unserem Erlöser Jesus Christus.

  • am 21.03.2020 um 17:14 Uhr
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    Sie erwähnten die sogenannte Flüchtlingskrise 2015. Warum wird die Grippewelle 2015 nicht erwähnt?
    Damals gab es in der Schweiz 2’500 und in Italien 20’000 Grippetote, jährlich sterben weltweit 200’000 bis 650’000 Leute an der Grippe. Dies nur als Relation zu den weltweit 10’000 Corona-Grippetoten.

    Grippen sind gefährlich für Leute über 60 Jahren – war schon immer so.

  • am 21.03.2020 um 18:14 Uhr
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    Die Menschheit hat sich noch nie an Vernunftregeln gehalten und wurde regelmäßig dezimiert. Warum sollte das heute anders sein? Schon die Weltanschauung ist eine egoistische, der jeder Allgemeinsinn fehlt und das Allgemeinwohl erst an letzter Stell stehen hat. Wünschenswert wäre, dass die Egoisten dieser Pandemie-Selektion unterliegen, dazumal dieser Charakter als Zielgruppe prädestiniert ist. Darauf trinke ich jetzt ein Pilsner.

    Curae est sua cuique voluptas.

  • am 21.03.2020 um 18:34 Uhr
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    Es sind schon noch Verbesserungen möglich:
    Für die Bauern und Gärtner ist jetzt Zeit, um Setzlinge zu pflanzen. Es können bzw. dürfen jedoch keine gekauft werden, weil sie nicht zum Grundbedarf gehören.

    Nur, ohne Setzlinge gibt es dann im Sommer weniger Gemüse zu kaufen.

  • am 21.03.2020 um 23:20 Uhr
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    Das beste am Artikel von Herrn Tscherrig ist die Meinung von Eliane Studer!

  • am 22.03.2020 um 01:24 Uhr
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    Bin ähnlicher Meinung wie Eliane Studer. Der Artikel von Herrn Tscherrig zeugt aber nicht von breit abgestützten Informationen oder einer offenen Weltsicht. Moralin soll weiterhin Angst erzeugen und Angst erzeugt Immunschwäche, also hilft er dem Covid 19. Ich bin vielmehr neugierig, wie die Regierung die Schwächung der Wirtschaft auffängt, die sie jetzt gerade erzeugt. 42 Milliarden Franken sollen verteilt werden – an wen, werden wir ja bald erfahren. Besser wäre es, wenn BGE oder Vollgeld eingeführt würde, sodass nicht immer wieder das meiste Geld nach oben oder zurück in die Banken fliesst, welche es ja aus der Luft hergestellt haben. Daraus entstünde eine Gesundung der Wirtschaft der Schweiz und also der Bevölkerung.

  • am 22.03.2020 um 10:01 Uhr
    Permalink

    @Blomeyer:
    Klar dürfen Setzlinge gekauft werden. Nur def Laden mmuss schliessen, aber geliefert dürfen sie durch das Geschäft werden.

  • am 22.03.2020 um 10:23 Uhr
    Permalink

    Eliane Studer hat recht. Der Privatisierungswahn für systemrelevante Institutionen steckt leider noch in vielen Politikerköpfen.
    Etwas anderes ist die fehlende Krisen-Resilienz der Politiker, es fehlt am gesunden Menschenverstand. Bei Problemen laufen sie dem lautesten Marktschreier nach. In diesem Fall ist es logischerweise die Pharamindustrie. Niemand hinterfragt die Informationsquellen des BAG.

  • am 22.03.2020 um 14:26 Uhr
    Permalink

    @H. P. Häring:
    "Es rettet uns kein höh’res Wesen,
    kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun.
    Uns aus dem Elend zu erlösen
    MÜSSEN WIR SCHON SELBER TUN !"

  • am 22.03.2020 um 18:16 Uhr
    Permalink

    Nun ja, wir modernen Spießbürger, die wir uns selbstgefällig und frei von Zweifeln dem Bestehenden überantworten – wir wehren uns nicht. Wir wehren uns nicht gegen mörderische Folgen unseres verzinsten Geld- und Wirtschaftssystems, welches explosive Pulverfässer hervorbringt. Weltweit. Wir wehren uns nicht, wenn ganze acht (sic!) Menschen so viel besitzen, wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung (Oxfam). Wir wehren uns nicht gegen einen Zins-Satz, der zum sozialen Spreng-Satz wird und achtzig Prozent der Menschen zu Verlierern unseres Geldsystems macht. Nein, wir lassen uns – willig weil gierig – durch irreführende Profitversprechen («lassen Sie ihr Geld für sich arbeiten») zu genarrten Trittbrettfahrern des brutalen und menschenfeindlichen «Geschäftsmodells» Fiat-Money (Geldschöpfung aus dem Nichts) machen oder aber – mal schadenfreudig mal neidisch – zu duldsamen passiven Zaungästen, derweil der Zins- und Wachstumswahn die Umverteilung von Fleissig nach Reich explodieren lässt.

    Wir wehren uns nicht. Verstehen es nicht. Trauen uns nicht.
    http://www.wachsdum.ch

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