Schon wieder: Vorbestrafter Rassist zu Gast in der Schweiz
Der Flyer der rechtsextremen Gruppierung «Résistance Helvétique» spricht für sich: Im Hintergrund eine undeutliche Seekarte, rechts der strenge Blick von Julius Caesar. Links steht eine Engelsstatue, die ein Kreuz hält und eigentlich bei der Engelsbrücke in Rom steht. Dort, wo sich früher nicht nur eine Hinrichtungsstätte befand, sondern auch die Köpfe und Gliedmassen von Verbrechern und Gegnern des Papstes aufgestellt wurden. Zur Abschreckung.
Zwischen den beiden symbolträchtigen Statuen lächelt ein alter, weisser Mann: Der Rassist Henry de Lesquen, der sich in Frankreich wegen Aufstachlung zum Rassenhass, Leugnung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie öffentlicher und rassistisch motivierter Beleidigung vor Gericht verantworten musste. Und der in der Republik als einer der Vordenker der Neuen Rechten gilt.
Unter ihm ein Bild, das Migranten aus Nordafrika auf einem Holzboot im Mittelmeer zeigt. Sie befinden sich in einer ausweglosen Situation, warten auf ihre Rettung. In der Mitte des Flyers steht das Thema des Referats, das de Lesquen Anfang März in Aigle (VD) halten wird: «Die Rassenfrage».
«Die Schweiz ist ein Eldorado für Neonazis»
Unter dem Titel «Laxe Gesetze gegen rechte Hetze» schreibt Kurt Pelda am 4. März 2020 im Tages-Anzeiger: «Die Schweiz ist neben den USA ein Eldorado für Neonazis und rechtsextreme Propagandisten. Grund dafür sind die liberalen Gesetze: Hier kann man vieles sagen, wofür man in Deutschland oder Österreich Probleme mit der Justiz bekäme.»
Homophober Rassist mit Hang zum Nationalismus
De Lesquen versucht seit Jahren, die französische Rechte zu einheitlichen Zielen zu bewegen und ist bei vielen ultrarechten Organisationen aktiv. So begründete er etwa den für seine Nähe zur rechtsextremen Gesinnung bekannten «Club de l’Horloge» mit und steht noch heute dem Anti-Immigrations-Verein «La Voix des Français» vor.
Sein Aktivismus in Frankreich lässt keinen Raum für Spielraum: Der Mann, der für mehrere rechte bis rechtsextreme Parteien politisierte, jahrelang bei verschiedenen französischen Behörden arbeitete und zwischen 2001 und 2014 als Stadtrat von Versailles amtete, ist ein Rassist. Im Jahr 2009 schrieb er zum Beispiel in einem Artikel, dass die «Rassenfrage heute von zentraler Bedeutung ist».
Nachdem der Schwulenaktivist Sébastien Chenu im Dezember 2014 Mitglied einer von Marine Le Pen gegründeten Koalition aus rechten bis rechtsextremen (Kleinst-)Parteien wurde, bezichtigte er den damaligen «Front National» (FN) ein «Päderast» in einem altrömischen Bordell geworden zu sein. Der FN werde von einer Gruppe von Homosexuellen geführt, Marine Le Pen sei eine «ungebildete linke Frau», die «Spass daran hat, in Nachtclubs schwarze Musik zu hören».
De Lesquen vertritt die «Schlimmsten der Schlimmen»
Als de Lesquen 2015 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl 2017 bekannt gab, liess er die Hüllen endgültig fallen und tätigte immer öfter und offener rassistische und rechtsextreme Aussagen. So sprach er etwa davon, die massive und erzwungene Rückkehr von Einwanderern in ihr Land einzuführen und das Asylrecht sowie die «antirassistische Gesetzgebung» aufzuheben. Weiter befürwortete er die Einführung der Todesstrafe für Mord, Terrorismus und Drogenhandel, die Annexion von Belgien und Luxemburg, die Bestrafung von Abtreibung und die Abschaffung des Mindestlohns. 2016 rechtfertigte er die Sklaverei: «Wenn [unsere Vorfahren] die Sklaverei akzeptierten, dann deshalb, weil sie nicht anders konnten», und sagte, dass die Sklaven es vorgezogen hätten, Leibeigene zu sein, anstatt vor Hunger zu sterben.
De Lesquen kämpfte gegen «entartete Kunst» und wollte «Negermusik» wie «Jazz, Blues, Rock ’n› Roll und natürlich den dreckigen Rap» aus den öffentlichen Medien verbannen. 2016 forderte er eine Ende der Subventionen für diese Musik, da sie «dieselben Gehirnbereiche wie die Sexualität stimuliert» und daher «von Anfang bis Ende obszöne Musik» sei. Als damaliger Präsident des rechtsgerichteten Radiosenders «Courtoisie» setzte er diese Forderung gleich selber in die Tat um und verbot, derartige Musik weiterhin zu senden.
Die französische Zeitung «L’Humanité» beschreibt de Lesquen als «Rassisten ohne Reichweite und Höflichkeit», der «schamlos in Hass auf andere ausbricht», und urteilt, dass er «die Schlimmsten der Schlimmsten» der «französischen Rechten» vertritt. Die französische Kulturzeitschrift «Les Inrockuptibles» beschreibt seine Nachrichten auf Twitter als «manchmal so gewalttätig, dass sie absurd werden und den Eindruck erwecken, es handle sich um parodistische Berichte sehr schlechten Geschmacks.»
Relativierung der französischen Hilfe bei Juden-Deportationen
Derartige Aussagen brachten de Lesquen neben einem gewissen Bekanntheitsgrad vor allem Ärger mit der Justiz ein. Im Januar 2017 befand ihn das Pariser Strafgericht wegen öffentlicher Beleidigung, Aufstachelung zum Rassenhass und Anfechtung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig. Während dem Berufungsverfahren wurde de Lesquen vom Vorwurf der öffentlichen Beleidigung freigesprochen. Im Juni 2017 folgte der Freispruch betreffend der Aufwiegelung zum Rassenhass.
Im Februar 2018 wurde de Lesquen wegen rassistisch und transphobisch motivierter öffentlicher Beleidigung und wegen der Leugnung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit verurteilt. De Lesquen hatte die Razzia des Wintervelodroms als «eine kleine Episode der Deportation» bezeichnet, die selbst «nur eine kleine Episode des Zweiten Weltkriegs» gewesen sei. Bei der Razzia des Wintervelodroms trieben französische Polizisten und Gendarmen 13’152 Menschen jüdischen Glaubens zusammen und pferchten die meisten von ihnen unweit des Eiffelturms ein, wo sie dann unter widrigen Umständen auf ihre Deportation ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau warten mussten.
Die Verbindungen sind da – und sie funktionieren
Die Veranstaltung von «Résistance Helvétique» (weitere Informationen zu dieser Gruppe finden Sie in den Links am Ende des Textes) zeigen einmal mehr wie sich Neonazis, Rechtsextremisten und Geschichtsrevisionisten aus der Schweiz gezielt mit ausländischen Akteuren der Szene vernetzen. Immer wieder luden sie in der Vergangenheit hochkarätige Szene-Akteure und Musikgruppen in die Schweiz ein. Zusätzlich reisen sie an Veranstaltungen, Demonstrationen oder Schiesstrainings ins Ausland und festigen dort gezielt ihre internationalen Kontakte.
Dabei sind es nicht nur «Résistance Helvétique» oder die «Partei National Orientierter Schweizer» (PNOS), die die Schweiz diesen Akteuren als sicheren Veranstaltungsort darbieten. Immer wieder wird klar, dass auch das in Deutschland inzwischen verbotene internationale Netzwerk von «Combat 18/Blood&Honour» über beste Verbindungen in die Schweiz verfügt und das die Schweiz zunehmend zum Auffangbecken für Neonazis wird (Infosperber berichtete mehrmals). Und seit der Verein «Uniter» seinen Sitz nach Zug verlegt hat, beherbergt die Schweiz eine Organisation, die vom deutschen Verfassungsschutz wegen verfassungsfeindlichen Tendenzen überprüft wird.
Im Übrigen nutzen international tätige neonazistische Netzwerke die Schweiz auch, um Gelder für ihre Zwecke zu generieren. Das Neonazi-Konzert im Toggenburg, bei dem rund 6000 Neonazis ungestört feierten und bei dem ein Teil des Erlöses an die Prozesskosten von in Deutschland inhaftierten Terrorhelfern des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gingen – deren Mitglieder mit einer Waffe aus der Schweiz neun Menschen ermordet hatten – ist nur das prominenteste Beispiel. So flog zum Beispiel erst kürzlich auf, dass eine rechts-esoterische Zeitung aus dem Baselbiet einen der «radikalsten Neonazis in Deutschland unterstützt.» Und ein bekannter Schweizer Matratzenfabrikant finanzierte ein rechtsextremes Kampfsport-Label aus Russland, das sich aktiv für die Vernetzung der Szene einsetzt.
Keine grossen Netzwerke in der Schweiz?
Bei den guten Verbindungen (siehe Links im Anhang), die neonazistische Netzwerke in die Schweiz und aus der Schweiz heraus pflegen, erscheint es geradezu grotesk, wenn sich Samuel Althof, Leiter der privaten Fachstelle für Extremismus und Gewaltprävention Fexx gegenüber SRF zur Aussage hinreissen lässt, «dass es hier keine grossen Netzwerke von Rechtsextremen wie in Deutschland gibt.» Denn: Die Szene in der Schweiz ist Teil der grossen und international tätigen Netzwerke, sie ist darin eingebettet.
Eine vergleichbare Gruppierung müsste in der Schweiz von Grund auf aufgebaut werden, sagte Althorf weiter – und verkennt dabei, dass neonazistische Akteure aus der Schweiz international seit Jahren anerkannt und zu einem festen Bestandteil ebendieser Netzwerke geworden sind, die es gemäss Althorf in der Schweiz gar nicht gibt. Sie wollen auch keine neue Organisation gründen und brauchen nicht tausende Mitglieder. Sie tun genau das, was sie tun sollen: Aus der für sie relativ sicheren Schweiz heraus Unterstützung leisten, Logistik, Material, Musiker und Veranstaltungsorte bereitstellen, sichere Rückzugsorte bieten, Gelder akquirieren, und so weiter.
Behörden müssen endlich durchgreifen
In der Vergangenheit haben die Behörden in der Schweiz rechtsextreme Akteure in vielen Fällen einfach machen lassen: Veranstaltungen wurden nicht verboten oder aufgelöst – oder sie wurden nach einem ausgesprochenen Verbot in anderen Kantonen abgehalten. Vorbestrafte rechtsextreme Akteure reisten wiederholt ungestört in die Schweiz, obwohl viele der entsprechenden Anlässe im Vorfeld angekündigt worden waren. Prominente Neonazis, die in ihrer Heimat von der Justiz verfolgt werden, fanden in der Schweiz Zuflucht. Bekannte Neonazis aus der Schweiz reisten ungestört an internationale Treffen. Finanzierungsstrukturen blieben unbemerkt und wurden erst von Journalistinnen und Journalisten aufgedeckt. Eine rechtsextreme Band, deren Spuren auch in die Schweiz führt, bedrohte eine deutsche Politikerin mit dem Tod. Und der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) attestiert der heimischen rechtsextremen Szene, über grössere Mengen funktionstüchtiger Waffen zu verfügen und den Umgang mit Schusswaffen zu üben.
Was geschieht, wenn Behörden und Politiker rechtsextreme Netzwerke während Jahren verharmlosen, ist aktuell in Deutschland zu sehen. Dort erklärte die Bundesregierung, seit der Wiedervereinigung habe es in ganz Deutschland 63 Todesopfer rechter Gewalt gegeben. Eine viel zu tiefe Zahl, wie das Bundeskriminalamt während einer jahrelangen Untersuchung feststellte, die infolge der NSU-Mordserie in Auftrag gegeben wurde. Stattdessen sollen es jetzt 746 vollendete und versuchte Tötungsverbrechen sein, bei denen 849 Menschen starben oder lebensgefährlich verletzt wurden. Und die Untersuchung ist bei weitem nicht abgeschlossen.
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Weiterführende Infosperber-Artikel zur Thematik:
Schweiz: Sicherer Hafen für deutsche Neonazis
Schweiz: Wahlheimat von angeklagter deutscher Neonazi-Prominenz
Die Schweiz bietet Rechtsradikalen einen idealen Standort
Feinde der Demokratie: Herzlich willkommen in der Schweiz
Rechtsextreme Partei will katholischen Gottesstaat
Schweiz: Einreiseverbot für russischen Neonazi-Hooligan
Dossier: Fundamentalismus
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Ich habe den obigen Artikel nur quergelesen. Handelt es sich hier wiederum einen Asylanten, der das Asylrecht gemäss Völkerrecht missbraucht? Und alle schauen zu?
Die beschriebene rechtsextreme Szene ist ohne Zweifel sehr unappetitlich. Ich hoffe, dass die Polizei gut hinschaut. Die zusammengetragenen Fälle zeigen aber nicht wirklich klar, wie gross das Problem in der Schweiz ist. Das angesprochene Konzert im Toggenburg war 2016. Wenn seither kein vergleichbarer Fall mehr aufgetreten ist, dann haben die Behörden vermutlich aus den damaligen Fehlern gelernt.
Es ist wertvoll, wenn die rechtsextreme Szene beobachtet wird. Wirklich eingreifen kann die Polizei aber nur, wenn es um strafbare Handlungen geht. Das ist auch gut so. Es gibt auf der linken Seite des Spektrums Aktivisten, die man, wenn es nach dem Bauchgefühl von Bürgerlichen gehen würde, auch einfach einlochen könnte. Da scheint es mir doch besser, die rechtsstaatlichen Prinzipien bleiben in Kraft.