Joseph_Stiglitz

Auch die USA werden die Klima-Kurve kriegen: Joseph Stiglitz © Wiki

«Globale Energiewende ist finanzierbar»

Richard Aschinger /  Es gibt sie noch, die Klima-Optimisten. Zu ihnen gehört auch der Nobelpreisträger und Finanzexperte Joseph Stiglitz.

Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz erklärt sich in einem Vortrag an der Universität Zürich «optimistisch», dass in Sachen Klimawandel ein Umdenken in Sicht komme. Im Detail relativiert er aber, das Normalziel von Investoren, kurzfristig maximale Profite zu realisieren, verzögere dringende Massnahmen und lasse eine «ungeordnete Schockperiode» erwarten.

Als Eröffnungsfeuerwerk für das neue «Kompetenzzentrum für nachhaltige Finanzwirtschaft» der Zürcher Wirtschaftsfakultät lief am Donnerstag und Freitag eine Serie von Vorlesungen zum Thema «Klimawandel und Finanzrisiko». Erklärtes Hauptziel: Klima- und Wirtschaftsforschung zusammenzubringen und das neue Institut im Wettbewerb um «universitäre Excellence» auf Weltniveau als erstklassigen Spieler zu profilieren.

Der zweistündige Auftritt des berühmten 73-jährigen Professors der New Yorker Columbia University war gesetzt als krönendes Bouquet: Die Aula der Universität war vollbesetzt, in Zusatzhörsälen wurde der Vortrag übertragen.

Wer viel Neues erwartet hatte und nicht über wirtschaftsmathematische Bildung verfügt, wurde enttäuscht. Die Referate der Fachreferenten drehten sich immer wieder um die enormen Probleme bei der verzweifelt angestrebten Quantifizierung wirtschaftlicher Risiken unter höchst ungewissen Verläufen der klimatischen, politischen und wirtschaftlichen Zukunft. Ein von einem Referenten erwähnter Zeithorizont von 300 oder 500 Jahren für die Berücksichtigung der Interessen künftiger Generationen musste Laien am realen Wert der Modellrechnungen zweifeln lassen. Als wahrscheinliches Wendeszenarium wurde immer wieder eine «disorderly transition» (ungeordneter Übergang) aus dem fossilen Energiejahrhundert genannt.

Auch Joseph Stiglitz bot keinen ordnenden Durchblick zur Situation des Klimawandels und der wirtschaftlichen Zukunft der Welt. Für ihn, wie für alle Vorredner ist aber heute klar, dass der Klimawandel massgeblich vom jahrzehntelang exponentiell gesteigerten Verbrauch von Kohle, Gas und Öl verursacht wird. Dass aus der Klimaerwärmung weltweit existentielle Schäden und Gefahren und auch apokalyptische Ereignisse drohen. Dass im Interesse der Lebensqualität und Freiheit der Weltbevölkerung die gemäss Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarte radikale Abkehr von fossiler Energie mit einer maximalen Erwärmung von deutlich unter 2 Grad gegenüber dem Beginn der Industrialisierung unausweichlich und dringlich realisiert werden muss.

Zeitungen schaffen Klarheit

Wer nach dem «Kaminfeuergespräch» in der Zürcher Aula genauer wissen will, was der Starökonom denkt, für den lohnt sich ein Blick in zwei umfangreiche Interviews, die Stiglitz nach dem Vortrag der «Neuen Zürcher Zeitung» und der Freiburger «Liberté» gewährt hat (publiziert in den Samstagsausgaben). Die Interviews bieten auch ein Lehrstück zum Wert von professionellen JournalistInnen, die in komplexen Sachverhalten informierte Fragen stellen, Experten dazu bringen, präzise Antworten zu geben, oder sichtbar machen, wo jemand ausweicht.
Aus dem Vortrag und den beiden Interviews ergeben sich folgende Schwerpunkte der Position von Joseph Stiglitz:

Er gibt Gegensteuer zu Klima-Katastrophen-Depressionen: «Ich bin optimistisch.» Er ist überzeugt, dass sich in der Politik etwas bewegt. Er lobt die Europäische Union (EU) für ihren «Green Deal», der bis 2050 CO2-Neutralität erreichen will. Europa könne im Kampf gegen die Klimaerwärmung eine Vorreiterrolle spielen. In den USA habe der Kampf um ökologische Verantwortung mit Präsident Trump und der Republikanischen Partei einen schweren Rückschlag erlitten. In den USA gehe es aber nicht allein um den Klimawandel: Die Mehrheit der US-Bevölkerung sei für strengere Waffengesetze und für eine umfassende Krankenversicherung. Die Auseinandersetzung um Massnahmen gegen den Klimawandel sei in den USA zentral auch ein Kampf um das Überleben der Demokratie. Aber auch in den USA, sagt Stiglitz, bewege sich heute schon viel auf der Ebene von Bundesstaaten und Städten. In New York gebe es z.B. eine «Green Development Bank». Die Weltbank rücke den Klimawandel in den Fokus ihrer Entscheide.

Der Meinungswandel werde befördert durch heute sichtbare Gefahren für die Gesundheit und das Überleben von Mensch und Natur, z.B. in den Buschbränden in Australien. Es könnte sein, sagt Stiglitz, dass Menschen einmal aus Sidney auswandern. Als positive Nachricht wertet Stiglitz heiter, dass die US-Banker, zuunterst in Manhattan am Atlantik, jetzt realisierten, dass ihre Wallstreet von steigenden Meeresspiegeln bedroht sei.

Die Forderung nach radikalen Massnahmen werde nicht abflauen, weil die Schäden und Gefahren der Klimaerwärmung mit der Zeit immer erkennbarer sichtbar würden. «Wenn Regierungen und Bürgerschaft am gleichen Strick ziehen», sagt Stiglitz, «ist ein Wandel möglich.»

Stiglitz sieht auch erste Silberstreifen am Horizont der für die Wende entscheidenden Privatwirtschaft. Investoren, die für die Verteilung der wirtschaftlichen Aktivitäten auf der Welt verantwortlich seien, orientierten sich in erster Stelle an kurzfristigen Profitaussichten. Ökologische und soziale Verantwortung habe da kaum je eine entscheidende Rolle gespielt. Das gelte auch heute noch: So fliesse immer noch massiv Kapital in fossile Energieprojekte. Aber neue Forschungsergebnisse zeigten immer mehr auch Risiken dieser Investitionsstrategie. Neue Technologien versprächen eine Reduktion von Emissionen und Kosten. Erneuerbare Energie erlaube eine ganz neuartige, dezentrale Organisation der Produktion und Kommunikation. Es werde möglich, auch ländliche Regionen abseits der globalen Zentren wirtschaftlich zu entwickeln. Als Beispiel nannte Stiglitz die drahtlose Telefonie, die in Afrika im ganzen Kontinent ein Kommunikationssystem ohne teure Netzwerke habe entstehen lassen.

Ein Green Deal ist verkraftbar

Stiglitz ist überzeugt, dass es sich die Welt leisten kann, die in den vergangenen Jahrzehnten der grenzenlosen Ausbeutung fossiler Energie in Gang gesetzte Klimaerwärmung unter Kontrolle zu bringen. Nach der Weltwirtschaftskrise von 1933 bis zum Zweiten Weltkrieg habe der New Deal von Präsident Franklin Roosevelt in den USA geholfen, einen sozialen Notstand in den Griff zu bekommen. Der Aufwand von rund 2 Prozent des Bruttoinlandproduktes sei verkraftbar gewesen. Jetzt fordert Stiglitz einen globalen «Green Deal». Es werde unausweichlich auch Verlierer des Wandels geben. Vor allem in Ländern und Regionen mit einer starken fossilen Wirtschaft. Mit wenigen Prozenten des BIP sei aber eine rasche und umfassende Lösung möglich. Während Investoren und Banken Milliarden in die Automatisierung und Roboterisierung der Wirtschaft leiteten, was die Probleme einer gerechten Verteilung von Arbeit und Verdienst verschärfen werde, sei die Finanzierung der Rettung des Planeten noch nicht in Sicht.

Ein wichtiges Hindernis im Kampf gegen den Klimawandel sehen Stiglitz und andere Experten in der Tatsache, dass Regierungen und Bevölkerung sich nicht bereit zeigten, für die Vermeidung erst mittelfristig erwarteter Schäden Geld auszugeben. In den USA gebe die Trump-Regierung der Zukunft kommender Generationen praktisch keinen Wert.

Ein höherer CO2-Preis genügt nicht

Als Mittel im Kampf gegen die Klimaerwärmung sieht Stiglitz notwendigerweise ein Bündel von Massnahmen: Eine Erhöhung der Preise für CO2-Emissionen von heute nahe null auf 80 bis 100 $ pro Tonne CO2 sei für die Wirtschaft tragbar. Offen sei die Frage, ob man das gestaffelt oder in einem grossen Schub machen soll. Stiglitz sieht Vorteile einer raschen, steilen Erhöhung, weil so die Wirtschaft besser animiert werde, ihre Investitionsstrategien rasch zu ändern. Jede Verzögerung vergrössere die zu erwartenden Schäden und die Unsicherheitskosten der Transformation.

Aber Stiglitz sieht höhere CO2-Preise nicht als genügend. Es brauche in gewissen Sektoren der Wirtschaft strenge Regulierungen und hohe staatliche Investitionen.

Nötig ist unabhängige Forschung

Zum Schluss seines Vortrags sagte Stiglitz, nötig im Kampf gegen die Klimaerwärmung seien massive Forschungsanstrengungen. Das hörten die Professoren des gastgebenden «Kompetenzzentrums für nachhaltige Finanzwirtschaft» sicher gern. Wichtig sei, sagte der Amerikaner auch aus seiner Erfahrung in den USA, dass diese Forschung unabhängig sei: «Keine Forschung von Kohle-Lobbyisten». Honi soit qui mal y pense: Niemand im Saal schien da einen Wink an die Schweiz zu sehen, wo das Wirtschaftsdepartement der Universität Zürich 2012 ein Geschenk von über hundert Millionen Franken erhielt. Von der UBS, die in der Lenkung von globalen Investitionsströmen eine wichtige Rolle spielt und die sich 2008 von der Eidgenossenschaft mit Milliardengarantien hatte retten lassen müssen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

3719017725_8c14405266

Die Klimapolitik kritisch hinterfragt

Die Menschen beschleunigen die Erwärmung der Erde. Doch kurzfristige Interessen verhindern griffige Massnahmen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

4 Meinungen

  • am 19.01.2020 um 13:06 Uhr
    Permalink

    Es langweilt zunehmend, auch in diesem Artikel schon wieder Angstschürerei vor dem «steigenden Meeresspiegel» zu lesen, hier mal bezogen auf die New Yorker Börse, die beim, wie seit der letzten Grossen Eiszeit, um etwa 25cm/je 100 Jahre ansteigenden Meeresspiegel, auch in 1000 Jahren noch nicht überflutet werden kann.

    All die «Annahmen und Simulationen» mit Jonglierungen im Millimeterbreich, sind allessamt witzlos. Auch Satellitendaten, die viel ungenauer sind als man es den Leuten weissmacht und einer «Nicht-Erdkugel» sondern «Erd-Schrumpelkartoffel» bei der es «Höhenzüge und Senken» auf dem Planeten gibt und vom nur mathematisch berechenbaren «Erdmittelpunkt» zu den einzelnen NN-Pegelständen der Meeresoberfläche, enorme Unterschiede gibt. So etwas zwischen den NN-Pegeln Reykjavik/Island und Mumbai/Indien, von sage und schreibe 169 Metern (einhundertneunundsechzig Meter) zwischen NN hier und NN da! Allein schon Magmaflüsse im Erdinnern und Schwerkraftabweichungen verändern auch Pegelstände. Dazu sinken kontinentale Platten ab (u.a. am pazifischen Feuerring) und Platten heben sich an (Afrikanische Platte zur Eurasischen), was z.B. die Alpen anhebt und an der Adria SINKENDE MEERESSPIEGEL ergibt.

    Kein einziger der offiziellen und seit über 140 Jahren ununterbrochen gemessenen NN-Meerespegel in den Häfen weltweit, hat auch nur eine ansatzweise Abweichung der bekannten 25cm/100 Jahre-Meeresspiegelanstieg vorzuweisen. Soviel hier zur Denkweise auch dieses «Experten»..

  • am 19.01.2020 um 23:47 Uhr
    Permalink

    Ja und in Venedig muss man nächstens umfangreiche und teure Wassertransporte hinbringen, da die Stadt im Staub zu versanden droht…!!!

  • am 20.01.2020 um 17:26 Uhr
    Permalink

    Das ist jetzt mal ein netter Gefälligkeitsartikel. Stieglitz, der nun wirklich schon eine sehr grosse Reichweite hat, bekommt hier im IS einen Artiel der seine Aussagen hinstellt, ohne das sie kritisch hinterfragt werden. Auch seine Vita, die geprägt ist als Gehilfe sowie Profiteur des ganz grossen Finanzkapitals, wird nirgends erwähnt.

    Das lehrt Herr Stieglitz an Hand dieses Artikels uns tatsächlich:
    Der Umbau zu einer «grünen» Wirtschaft ist beschlossene Sache. Vermarktet wird dieses voraussichtlich grösstes, globales Konjunkturpaket mit dem Triggerwort Klimawandel (keine Grundsätzliche Aussage zum Klimawandel. Es geht mir hier nur um die PR Ausschlachtung vom Klimawandel für den Konjunkturschub «grüne Wirtschaft» um das aktuelle Geldsystem am leben zu erhalten). Den Investoren wird dringend geraten, in die erneuerbaren Energien zu investieren. Auf die gegenwärtig ca 5 Billionen Dollar Subventionen pro Jahr, um die Fossilen Energien überhaupt irgendwie wirtschaftlich zu machen, kann wohl nicht mehr lange gezählt werden. Zum Schutz des Klimas oder der Umwelt hat sich Stieglitz offenbar nicht geäussert.

  • am 21.01.2020 um 15:40 Uhr
    Permalink

    So oder so ist die «radikale Abkehr von fossiler Energie» dringend nötig ob nun Klimawandel anthropogen oder nicht ist / kann irrelevant (sein).

    Es kann nicht sein dass unsere komplette moderne Gesellschaft auf einem Rohstoff aufbaut, der theoretisch irgendwann verbraucht ist. Hätten wir von einen Tag auf den anderen kein Rohöl mehr, dann sehe ich wie die Serie Walking Dead zur Realität wird nur ohne Zombies.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...