Schweiz exportiert gefährliche Pestizide
Im Jahr 2018 wurden 37 Tonnen des Insektizids Profenofos aus der Schweiz nach Brasilien exportiert. Das berichtet «Public Eye» unter Berufung auf Dokumente des Bundes, die der Organisation vorliegen. Das Problem: Profenofos, das vom Schweizer Agrarkonzern Syngenta produziert wird, gilt als höchst problematische Substanz. Die Verwendung ist in der Schweiz seit 2005 wegen negativen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt verboten.
Trotzdem darf die Substanz exportiert werden – weil sich der Bundesrat sträubt, Exporte von in der Schweiz verbotenen Pestiziden zu untersagen. So gehört Profenofos zum Beispiel in Brasilien zu den Pestiziden, die am häufigsten im Trinkwasser nachgewiesen werden. Gemäss «Public Eye» sind die ermittelten Profenofos-Werte in jeder zehnten Probe so hoch, dass das Wasser in der Schweiz als für den menschlichen Konsum ungeeignet eingestuft würde. Betroffen sind mit São Paulo und Minas Gerais die zwei bevölkerungsreichsten Bundesstaaten des Landes.
Doppelmoral der Schweiz
Profenofos ist ein potentes Insektizid, das vor allem im Anbau von Baumwolle, Mais, Rüben, Soja, Kartoffeln und Gemüse zum Einsatz kommt. Für Wasserorganismen, Vögel und Bienen ist Profenofos hochgiftig. Weiter verändert es die Physiologie und Motorik der Honigbiene, was zur Lähmung und schliesslich zum Tod führt.
Das Insektizid ist auch für Menschen giftig. «Public Eye» verweist auf einen Bericht der US-Umweltbehörde EPA: Demnach kann die Substanz die Aktivität des Nervensystems überstimulieren und bei sehr hoher Exposition Atemlähmung und Tod zur Folge haben. Vom Risiko einer akuten Vergiftung sind zum Beispiel Landarbeiterinnen und Landarbeiter betroffen, die das Pestizid ausbringen – vor allem in Drittweltländern geschieht das oft ohne die entsprechende Schutzausrüstung. Und genau dahin erlaubt die Schweiz die Exporte des Nervengifts, das sie innerhalb der eigenen Landesgrenzen bereits vor Jahren wegen seiner Gefährlichkeit verboten hat.
Die Schweizer Behörden wissen genau, dass Profenofos im Ausland zu Todesfällen führt. So haben sich zum Beispiel im Jahr 2017 Bäuerinnen und Bauern in Indien schwere, teils tödlich endende Vergftungen zugezogen, «nachdem sie eine Mischung aus Profenofos und Cypermethrin verwendeten», schreibt das Bundesamt für Umwelt (BAFU) in einem Bericht. Im Übrigen hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, den Zugang zu sauberem Wasser als Menschenrecht nachzuleben und ihn im Rahmen der UN-Nachhaltigkeitsziele zu fördern.
Häufiger Nachweis auch in Schweizer Lebensmitteln
In Sri Lanka und Indien seien zudem Suizidversuche mit Profenofos bekannt, schreibt «Public Eye». Profenofos sei heute in Sri Lanka ein grosses Problem. «Mehr als jede zehnte Person, die die Substanz einnimmt, stirbt daran», sagt Jeevan Dhanarisi von der Medizinischen Fakultät der Universität von Peradeniya in Sri Lanka gegenüber «Public Eye».
Weiter kann Profenofos bei wiederholter Exposition auch in niedrigen Dosen zu irreversiblen Schäden führen. Besonders hoch sind die Risiken für ungeborene Kinder, da der Stoff die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigt. Wie etwa in Brasilien gelangt das Insektizid durch die Ausbringung auf den Feldern oft auch ins Trinkwasser – und damit in die Nahrungsmittel.
Davon ist auch die Schweiz betroffen. Denn Lebensmittel, die unter Einsatz von Profenofos im Ausland produziert werden, dürfen in die Schweiz importiert werden. So verweist «Public Eye» auf eine Analyse des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) über Pestizidrückstände im Jahr 2017. Profenofos wurde in 41 Lebensmitteln nachgewiesen, vor allem in Gemüse sowie verschiedenen Früchten und Gewürzen aus Asien. Damit ist Profenofos das am häufigsten nachgewiesene verbotene Pestizid in Schweizer Nahrungsmitteln.
Produktion im Wallis
Als «Public Eye» die Dokumente des BAFU analysierte, stelle die Organisation fest, dass die Namen der Exportfirma auf den Dokumenten geschwärzt waren. Wie «Public Eye» schreibt, gebe es trotzdem keinen Zweifel, dass es sich bei der Exportfirma um Syngenta handle. Der Basler Konzern ist die Nummer eins auf dem globalen Pestizidmarkt – und die einzige Firma, die auf dem brasilianischen Markt Produkte verkaufen darf, die Profenofos enthalten. Syngenta gibt auf seiner brasilianischen Internetseite an, dass der Wirkstoff in Monthey im Wallis produziert wird.
Mit Agrarchemie erzielte Syngenta 2018 einen Umsatz von über zehn Milliarden US-Dollar. Der globale Profenofos-Markt wird auf etwa 100 Millionen US-Dollar pro Jahr geschätzt – Syngentas Verkäufe würden rund einen Viertel davon ausmachen, schreibt «Public Eye».
Wirtschaftsfreiheit als Totschlagargument
Profenofos ist bei Weitem nicht das einzige in der Schweiz verbotene Pestizid, dass in andere Länder exportiert wird. 2018 wurden knapp vier Tonnen Diafenthiuron nach Südafrika und rund 20 Liter Atrazin in den Sudan ausgeführt. 2017 berichtete der Bundesrat, dass seit 2011 pro Jahr durchschnittlich 145 Tonnen Produkte exportiert wurden, die in der Schweiz verboten sind. Wie «Public Eye» schreibt, stehen bis auf eine einzige Substanz alle exportierten Pestizide auf der PAN-Liste der hochgefährlichen Pestizide.
Die Folge war zum Beispiel eine Vergiftungswelle im indischen Yavatmal, wo 2017 in wenigen Wochen Hunderte Baumwollbauern vergiftet wurden – mehr als 20 starben. Die Vergiftungen stammten von hochgiftigen Pestizid-Cocktails. Darunter auch das Syngenta-Pestizid Polo, das in der Schweiz längst verboten ist.
Möglich ist dies, weil sich der Bundesrat sträubt, den Export von gefährlichen und in der Schweiz verbotenen Pestiziden zu untersagen. Eine entsprechende Motion der damaligen Genfer Nationalrätin Lisa Mazzone wurde kürzlich abgeschrieben, weil die zweijährige Behandlungsfrist abgelaufen war. 2018 räumte der Bundesrat dann ein, dass die Verwendung verbotener Pestizide vor allem in Entwicklungsländern ernsthafte Gesundheits- oder Umweltprobleme verursachen kann. Ein Ausfuhrverbot sei aber «nicht verhältnismässig». Stattdessen bevorzuge er Massnahmen, die die «Wirtschaftsfreiheit weniger stark einschränken».
Arbeitsplätze auf Kosten von Menschenleben?
Statt den Export von in der Schweiz verbotenen Pestiziden endlich zu verbieten, legte der Bundesrat einen Entwurf für eine Verordnungsänderung vor, der Anfang 2019 in die Vernehmlassung geschickt wurde. Demnach dürften in der Schweiz verbotene Pestizide nur noch exportiert werden, wenn das Bestimmungsland der Einfuhr der Produkte im Voraus zugestimmt hat.
Dagegen regt sich Widerstand. Neben Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen sprechen sich auch die Kantone Waadt, Bern und Luzern für einen Ausfuhrstopp von in der Schweiz verbotenen Produkten aus. Ihre Argumentation: Der Bundesrat müsse den Schutz von Gesundheit und Umwelt höher gewichten als die Wirtschaftsfreiheit.
Ganz anders sieht das Syngenta. Der Konzern schreibt in einer Stellungnahme zuhanden des BAFU, die Verordnungsänderung würde zu einer unwirksamen und unnötigen Regulierung führen, welche die Attraktivität der Schweiz als Produktionsstandort gefährden. Es ist die alte Leier: Konzerne drohen mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen – selbst dann, wenn ihnen nur minimale Einschränkungen drohen.
Die Praxis in der Schweiz ist zu lasch
Während in der Schweiz noch über eine minimale Verschärfung der Ausführungsbestimmung diskutiert wird, scheint sich der Wind anderswo langsam zu drehen. Frankreich hat 2018 ein Exportverbot beschlossen, das 2025 in Kraft treten wird. Auch das Europäische Parlament diskutiert Exportverbote. Das gemeinsame Gremium der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Handhabung von Pestiziden empfiehlt Ländern, die ein Pestizid wegen seiner Gefährlichkeit verboten haben, auch die Produktion und den Export des entsprechenden Stoffes zu unterbinden.
Baskut Tuncak, UN-Sonderberichterstatter für toxische Substanzen und Menschenrechte, fordert die Schweizer Behörden auf, ein entsprechendes Exportverbot zu verhängen. In einem offenen Brief schrieb er, dass es «schwer vorstellbar» sei, dass gefährliche Pestizide, die in der Schweiz verboten sind, «in Zielländern mit schwächeren staatlichen Strukturen absolut sicher angewandt werden können». Weiter erinnerte er daran, dass Staaten verpflichtet sind, «grenzüberschreitend» zu verhindern, dass Arbeitnehmende gefährlichen Stoffen, einschliesslich Pestiziden, ausgesetzt werden.
Für die Schweiz, die sich immer wieder ihrer humanitären Tradition rühmt, sollte das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
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Dossier: Konzerne
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Und damit das ungehindert weitergehen kann, muss die KonzernerantwortungsIinitiative abgelehnt werden mit 8 Millionen Einsatz von EconomySuisse. Was für Syngenta & Co. «Attraktivität der Schweiz» heisst, wissen wir. Bitte keine Auflagen gegen unser Handeln, Augen zu und durch!