Der Spieler: Abenteuerliche Suche nach dem mysteriösen Planeten
Stichspiele gibt es zuhauf, kooperative Spiele ebenso. Das gilt auch für Kartenspiele mit kooperativen Elementen. Nun kommt der 58-jährige in Konstanz lebende Ökonom Thomas Sing und bildet aus den Kernkomponenten der beiden beiden Gattungen eine völlig neue Kombination: «Die Crew» ist der Renner dieses Spieleherbsts 2019. Wer auch nur ein kleines Faible für Kartenspiele besitzt und das Spiel kennenlernt, ist gleich fasziniert, total.
Die beiden Kernkomponenten, das sind auf der einen Seite das Stechen, auf der anderen die Kooperation bzw. die Kommunikation. Wie Sing sie zusammenbringt, ist schlichtweg genial. Mehr Einfachheit ist fast nicht möglich. Für mich steckt in dieser Reduktion auf ein absolutes Minimum einer der wesentlichen Gründe für den durchschlagenden Erfolg der «Crew». Es gibt noch ein paar andere, doch davon später.
50 Missionen bis zum neunten Planeten
Auch wenn die Anleitung nach langem Regelstudium aussieht, ist «Die Crew» schnell erklärt. Gespielt wird nämlich nach den für Stichspiele gängigen Regeln. Das Blatt umfasst insgesamt 40 Karten, vier Trümpfe (Raketen) von 1 bis 4 und je neun von 1 bis 9 nummerierten Karten in vier Farben. Die ausgespielte Farbe muss bedient werden. Den Stich macht die höchste Karte der ausgespielten Farbe. Wer nicht bedienen kann, darf eine beliebige Karte spielen oder aber mit einer Trumpfkarte stechen.
So weit die Grundlage. Das Innovative an «Die Crew» ist nun, dass nicht ein Einzelner oder ein Paar (wie etwa beim Schieber) das Spiel gewinnt. Stattdessen haben wir gemäss Regelheft in der Rolle von Astronautinnen und Astronauten gemeinsam 50 Missionen zu bestehen, um am Ende den «mysteriösen Planeten» zu entdecken, «der sich am Rand unseres Sonnensystems befinden soll». Erst wenn das Rätsel gelöst ist, das die Astronomen umtreibt, seit Pluto im Jahr 2006 der Status des neunten Planeten in unserem Sonnensystem offiziell aberkannt worden ist, haben wir als Team gewonnen.
Traut man sich das zu?
In jeder Mission sind Aufträge zu erfüllen. Im Verlauf des Spiels, das heisst, je tiefer wir ins All vordringen, steigt ihr Schwierigkeitsgrad. Die Aufträge werden durch entsprechende Karten angezeigt, die jeweils nach dem Verteilen der Handkarten offen ausgelegt werden. Der Kommandant – die Spielerin oder der Spieler, der Trumpf 4 in der Hand hat – wählt als Erster einen Auftrag, anschliessend treffen die übrigen Mitglieder der Crew nach einer bestimmten Reihenfolge ihre Wahl. Ein einfacher Auftrag kann darin bestehen, dass ich die gelbe Eins in meinen Stichen haben muss. Ist das der Fall, ist die betreffende Mission für alle erfüllt. Wenn es aber bei einer Mission heisst, niemand dürfe mit einer Neunerkarte einen Stich tätigen, ist die Herausforderung schon um einiges grösser. Andere Missionen gelten erst als efüllt, wenn die entsprechenden Aufgaben unter bestimmten Bedingungen, zum Beispiel in einer vorgegebenen Reihenfolge, erledigt worden sind. Und schliesslich gibt es Missionen, bei denen der Kommandant bestimmt, wer aus der Crew den jeweiligen Auftrag ausführen muss. So etwa bei der Mission, bei der jemand aus dem Team die Triebwerke bei der Landung koordinieren muss. Der Auftrag besteht nun darin, dass die vom Kommandant ausgewählte Person nur den ersten und den letzten Stich gewinnt, wobei sie keine Trumpfkarten verwenden darf. Man muss sich also sehr genau überlegen, ob man aufgrund seiner Handkarten bereit wäre, diesen Auftrag anzunehmen. Denn bevor der Kommandant seine Wahl trifft, fragt er bei jedem einzeln nach, ob er oder sie sich das zutrauen würden. Eine äusserst spannende Angelegenheit!
Wie man miteinander kommuniziert, ist strikt geregelt. Verboten ist es, den andern Crewmitgliedern zu sagen, welche Karten man besitzt. Einmal pro Mission darf man jedoch den anderen einen knappen Hinweis geben. Dazu legt man eine Karte aus seiner Hand auf den Tisch und platziert darauf ein so genanntes Funkplättchen. Je nach Position bedeutet es, dass es sich um die höchste Karte, die niedrigste oder die einzige Karte dieser Farbe handelt. Die Erfahrung zeigt, dass dieser Vorgang ganz wesentlich über Erfolg oder Misserfolg der jeweiligen Mission entscheidet. Je nach der Zusammensetzung der eigenen Hand und der bereits erfolgten Stiche gibt man diese knappe Information zu einem frühen oder späteren Zeitpunkt bekannt. Je besser man das Potenzial seiner Hand einschätzen kann, desto wirkungsvoller lässt sich diese Kommunikationsmöglichkeit auch nutzen (sehr gut vergleichbar mit der Herausforderung, die sich beim Jassen in einem Differenzler stellt). Allerdings nützt auch die beste Information nichts, wenn die Mitspielenden sie nicht lesen können.
Gestörte Kommunikation
Für solche Kommunikationsstörungen ist die Crew selber verantwortlich. Es liegt im Interesse der Gruppe, sie zu minimieren. Trainingsgelegenheiten gibt es dazu nach jeder Mission. Bei uns ist es jedenfalls so, dass wir das eben Erlebte rauf und runter diskutieren. Warum hast du diese Karte nicht später gespielt? Du hättest die Information doch geben müssen, bevor die erste Karte überhaupt ausgespielt war! Dieser Austausch gehört für mich zum Spiel wie das Amen in die Kirche.
«Die Crew» kennt allerdings noch andere Formen von Kommunikationsstörungen, die als Schikanen bei der Erfüllung von bestimmten Missionen ins Spiel integriert sind. Ein Beispiel: Der Kommandant bestimmt ein Crewmitglied, das beim Kreuzen eines Meteoritenfelds für die Navigation des Raumschiffs verantwortlich ist. Dies nimmt es so in Anspruch, dass es nicht kommunizieren kann, bis die Mission abgeschlossen ist. Das heisst, die betreffende Spielerin darf in dieser Zeit den anderen keinen Hinweis zur Zusammensetzung der eigenen Hand geben, was die Erledigung der Aufträge sofort um einiges erschwert. In einer anderen Mission beginnen die Instrumente wie wild auszuschlagen – Störung! Und das heisst, drei Stiche lang Blindflug, erst ab dann dürfen die Crewmitglieder wieder miteinander kommunizieren. Es ist zum Verzweifeln!
Wenn ich «Die Crew» erkläre, halte ich mich kurz. Weil die meisten Leute wissen, wie Stichspiele funktionieren, kann man eigentlich gleich nach dem Verteilen der Karten los legen. Alle neuen und «Crew-»spezifischen Elemente lernt man laufend hinzu, am besten zu Beginn der Mission, bei dem sie zum ersten Mal hinzukommen. Es ist ja nicht so, dass man wie in einem material- und regelreichen Strategiespiel die Siegbedingungen von Anfang kennen muss, obwohl sie zwar erst in vielleicht 90 Minuten wirksam werden, aber mein Spielverhalten während dieser 90 Minuten beeinflussen. Eine «Crew-»Mission dauert in der Regel nur ein paar Minuten. Trotzdem dürfte man die gesamte Reise ins All bis zum geheimnisvollen Planeten und zurück zur Erde nicht an einem Abend bestreiten, da man viele der Missionen nicht schon im ersten Versuch meistert, sondern erst im zweiten, dritten oder xten Versuch.
Erfolgserlebnisse mit Sogwirkung
Das klingt, als biete «Die Crew»in erster Linie Frustrationen. Das Gegenteil ist der Fall: Das Spiel ist hervorragend portioniert, das heisst, die einzelnen Herausforderungen, mit denen meine Mitspielenden und ich konfrontiert werden, sind in sich abgeschlossen, überschaubar und kurz. Ich stehe somit nicht vor einem strategisch-taktischen Berg, sondern absolviere eine Mission nach der anderen. Was aber auch bedeutet, dass man kurz hintereinander immer wieder kleinere Erfolge verbuchen kann, Erlebnisse, welche die Gruppe zu einem echten Team zusammenschweissen. Mehr noch: In jeder Runde, mit der ich «Die Crew» gespielt habe, ist ein richtiger Sog entstanden, der sich darin manifestierte, dass wir nach einer erfolgreichen Mission ohne Unterbruch gleich die nächste in Angriff nehmen oder aber nach einem Scheitern einen neuen Versuch wagen wollten, dies unter dem Motto: «Irgendwie muss diese Aufgabe doch zu knacken sein!»
Selten hat mich ein Spiel von Anfang so gepackt wie dieses. Es macht richtig Lust, sich an den Tisch zu setzen und «Die Crew» zu spielen. Denn es passt hier alles perfekt zusammen, von den Grundregeln des Stichspiels mit seinen taktischen Finessen über die Notwendigkeit der Kooperation bis hin zur eingeschränkten Kommunikation – eine Kombination, die nicht nur durch ihre geniale Einfachheit besticht, sondern auch durch die Tatsache, dass sie mal für mal für tolle Spielerlebnisse sorgt. Ehrlich: Ich beneide Thomas Sing um diese einmalige Idee.
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Die Crew: Kooperatives Kartenspiel von Thomas Sing für 3 bis 5 Spielerinnen und Spieler ab 10 Jahren (am besten zu viert und fünft). Kosmos Verlag (Vertrieb Schweiz: Lemaco SA, Ecublens), Fr. 19.-
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.
‹Rolle von Astronautinnen und Astronauten›
Muss das wirklich sein? Was ist an der Rolle Astronautin anders als an der Rolle Astronaut? Es geht ja um die Rolle, nicht den Rolleninhaber.