Energie- und Klimaziele mit massivem Solarausbau umsetzen
Um den Klimavertrag von Paris zu erfüllen, muss die Schweiz ihre Treibhausgase bis zum Jahr 2050 netto auf Null reduzieren. Zudem verbietet die Energiestrategie den Bau von neuen Atomkraftwerken im Inland. Als Folge davon muss der heutige Verbrauch von Erdöl, Erdgas und Atomstrom in den nächsten 30 Jahren weitgehend eingespart oder ersetzt werden.
Die Schweizerische Energie-Stiftung (SES) setzt primär auf Ersatz. Dazu soll die Schweiz die inländische Erzeugung von Strom aus Solar- und Windkraft bis 2035 auf 26 Milliarden und bis 2050 auf 45 Milliarden Kilowattstunden (Mrd. kWh) pro Jahr erhöhen; das nahezu gleiche Ausbauziel setzte schon früher auch SP-Nationalrat, Solarlobbyist und Buchautor Roger Nordmann. Mit ihrer Forderung stützt sich die SES auf eine am Dienstag veröffentlichte Studie, die der Ökonom und ehemalige SP-Nationalrat Ruedi Rechsteiner in ihrem Auftrag erstellte.
Die Annahmen, die dieser Forderung zu Grunde liegen: 23 Mrd. kWh Mehrproduktion pro Jahr brauche es allein, um den bis 2050 wegfallenden Atomstrom zu ersetzen. Und der Ersatz der fossilen Energie in den Bereichen Gebäudewärme sowie Strassenverkehr durch Elektrizität (vorab in Form von Wärmepumpen und Elektroautos) erfordere – je nach Szenario – weitere 18 bis 40 Mrd. kWh Stromproduktion aus erneuerbarer Energie.
Ausbaumenge: In 30 Jahren 20 Mal mehr
Der Löwenanteil der zusätzlichen Stromproduktion soll auf Fotovoltaik-Anlagen entfallen, denn diese habe sich in den letzten Jahrzehnten als «günstigste Technologie für die Stromproduktion entwickelt». Der Ausbau der Windkraft in der windarmen Schweiz rentiert weniger und stösst aus Gründen des Landschaftsschutzes an den meisten Orten auf politischen Widerstand.
Wie ambitioniert das Ziel von insgesamt 45 Mrd. kWh Solar- und Windstrom im Jahr 2050 ist, zeigt der Blick zurück: Die ersten Anlagen, die Strom aus Fotovoltaik erzeugten, entstanden in der Schweiz bereits ums Jahr 1990. Dazu gehörten die Solaranlage der BKW auf dem Mont Soleil oder jene der Firma TNC auf den Lärmschutzwänden der A13 bei Chur. In den folgenden Jahrzehnten stieg die Produktion auf tiefem Niveau stetig; dies vor allem dank Quersubventionierung von Solar- und Windanlagen mittels Kostendeckender Einspeisevergütung (KEV) ab 2009 sowie später durch fixe Beiträge (Einmalvergütungen) an die Investitionskosten.
Resultat: Im Jahr 2018 erzeugten die mittlerweile über 85’000 inländischen Fotovoltaik-Anlagen plus die 37 Windkraftwerke zusammen 2,1 Mrd. kWh Strom (die Fotovoltaik allein 1,95 Mrd. kWH). Um das von der SES gesetzte Ziel von 45 Mrd. kWh im Jahr 2050 zu erreichen, muss die inländische Produktionsmenge in den kommenden 30 Jahren also um mehr als das Zwanzigfache erhöht werden. Gegenüber den letzten 30 Jahren erfordert das einen steilen Anstieg der zu installierenden Kapazität (die Grössenordnung illustriert die folgende Grafik).
Realität gemäss Energiestatistik (Stand 2018) und SES-Ziel im Vergleich: In 30 Jahren von Null auf 2,5 Mrd. kWh. In weiteren 30 Jahren von 2,5 auf 45 Mrd. kWh. Grafik: hpg
Politischer Kurswechsel erforderlich
Mit dem heutigen System an Fördermitteln lässt sich der avisierte Ausbau nicht verwirklichen. «Wir sind nicht auf Kurs», stellte SES-Projektleiter Felix Nipkow an einem Mediengespräch fest. Doch dieser schlechten führte Nipkow sogleich die gute Nachricht an: «Für alle Bereiche gibt es technische Lösungen», und für diese Lösungen brauche es eben mehr Stromproduktion insbesondere aus Solarkraft.
Theoretisch ist das Ausbau-Potenzial für Solaranlagen auf bestehenden Bauten in der Schweiz riesengross. Damit es erschlossen wird, empfiehlt Rudolf Rechsteiner in seiner Studie unter anderem folgende neue oder veränderte Förderpolitik:
o Ausbauziele erhöhen Der Bund soll seine Richtwerte zum Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion (bisher 11,5 Mrd. kWh im Jahr 2035) auf die erwähnten Zielwerte der SES-Studie (2035: 26 Mrd. kWh, 2050: 45 Mrd. kWh) erhöhen.
o Marktprämie für Grossanlagen Die Förderung von grossen Solaranlagen soll – anstelle der auslaufenden KEV – neu mittels wettbewerbsorientierten Ausschreibungen und Marktprämien erfolgen. Damit erhalten Investoren einen marktorientierten Anreiz und Planungssicherheit, um neue Solar-, aber auch Wind- und Wasserkraftwerke zu bauen. Die Marktprämien dienen dazu, die Differenz zwischen den (schwankenden) Marktpreisen und den Produktionskosten auszugleichen.
o Investitionsbeiträge Die Einmalvergütungen für kleine Anlagen sollen weitergeführt und ergänzt werden.
o Bonus für Winterstrom und Batterien Fotovoltaik-Anlagen, die einen höheren Stromanteil im Winterhalbjahr erzeugen und/oder Strom zwischenspeichern, also die Überschüsse an sonnigen Tagen glätten und die Produktion besser der Nachfrage anpassen können, sollen einen Bonus erhalten.
o Nutzungsrecht auf Bauten Auf bestehenden Infrastrukturen (Häusern, Verkehrsbauten, Stauseen etc.) soll der Bund ein Nutzungsrecht für den Bau von Fotovoltaik-Panels festlegen, um das bestehende Ausbaupotenzial besser auszuschöpfen.
Preisfrage: Was kostet das alles?
Wie viel die von der SES geplante solare Anbauschlacht kosten wird, hängt von vielen Unbekannten ab, etwa von der Entwicklung der Preise von Solarpanels oder den Rationalisierungsmöglichkeiten beim Bau der Anlagen, vor allem aber von den künftigen Preisen auf dem Strommarkt. Dabei gilt die Regel: Je grösser die Differenz zwischen künftigen Produktionskosten und Marktpreisen ist, desto höher fallen die Kosten für die Marktprämie aus.
Eine Grössenordnung zeigt folgende Kalkulation: Basierend auf dem Preis- und Kostenstand im Jahr 2019 rechnet Rechsteiner für neue grosse Solaranlagen mit einer mittleren Marktprämie von nur noch 3,6 Rappen pro erzeugte kWh Strom (für die alten KEV-Anlagen beträgt die Einspeisevergütung heute im Schnitt immer noch 26 Rappen/kWh). Multipliziert man die konservativ geschätzten 3,6 Rappen Marktprämie mit der angepeilten Produktionsmenge von 45 Mrd. kWh im Jahr 2050, kommt man auf eine Fördersumme von rund 1,6 Mrd. Franken pro Jahr. Zum Vergleich: Der heutige Netzzuschlag von 2,3 Rappen pro kWh Stromverbrauch in der Schweiz spült pro Jahr rund 1,4 Mrd. Franken in die Kasse, mit dem die erneuerbare Stromproduktion aus Solar-, Wind-, Wasserkraft und Biomasse quersubventioniert wird.
Ob die Grössenordnung von 1,4 oder 1,6 Mrd. Franken teuer oder billig ist, bleibt Ermessenssache. In ihrer Medienmitteilung zur Rechsteiner-Studie urteilt die Energie-Stiftung: «Die innovativen Vorschläge sind kostengünstig, können rasch umgesetzt werden und berücksichtigen den Schutz der Landschaft.» Womit die Kontroverse über diese Meinung eröffnet ist.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Zitat: «Fotovoltaik-Anlagen, die einen höheren Stromanteil im Winterhalbjahr erzeugen und/oder Strom zwischenspeichern, also die Überschüsse an sonnigen Tagen glätten und die Produktion besser der Nachfrage anpassen können, sollen einen Bonus erhalten."
Ich wundere mich immer wieder: Dieser höhere Stromanteil im Winterhalbjahr käme am besten aus der Verstromung von Wasserstoff, gespeichert aus sommerlicher Solarenergie. Wasserstoffspeicherung, nicht Batterien, wann endlich?
In diesem Zusammenhang würde doch auch die Meinung des Artikelverfassers Hanspeter Guggenbühl interessieren. Hatte er doch vor einigen Jahren einen solch weit reichenden Ausbau als Wachstumsfetischismus (sinngemäss) verunglimpft und den «optimalen Ausbau» der Solarenergie bei höchstens 7-10 Mrd. KWh pro Jahr angesetzt.
3.6 Rp? Aufgrund welcher Quellen mit welchen unrealistischen Annahme kommt der Autor auf diesen tiefen Wert?????
Auf meinem Hausdach habe ich 120m2 Fotovoltaikpanele installiert und freue mich am Ertrag. Der fällt aber fast nur im Sommerhalbjahr an, im Winter kommt fast nichts, trotz bester Exposition. Das grosse Thema ist deshalb nicht die jährliche Energiemenge, sondern die saisonale Verteilung. Das kann aus technischen und ökonomischen Gründen nicht mit Batterien gelöst werden. Eigentlich wären Pumpspeicherkraftwerke dafür technisch und ökonomisch am besten geeignet. Aber der dafür nötige Ausbau wäre für die Natur eine Katastrophe — einfach wegen der Menge. Siehe dazu der gute Vortrag von Prof. Hans-Werner Sinn anhand der deutschen Energiewende, siehe https://www.youtube.com/watch?v=rV_0uHP3BDY.
Andere Ansätze (Wasserstoffgas, Druckspeicher, neue Batterien, usw.) sind alle — wenn man sie detailliert analysiert — bei weitem nicht überzeugend. Es ist tragisch, aber wir haben darauf noch keine taugliche Antwort.
Herr Schenk, nehmen Sie zu Kenntnis, dass die Herstellung von Wasserstoff zwei bis drei Mal mehr elektr. Energie benötigt, als die Brennstoffzelle danach je zur Verfügung stellt. D.h., ein batteriebetriebenes e-Mobil fährt mit derselben Energie drei mal soweit wie dasjenige mit Wasserstoff-Antrieb; ist physikalisch leider nicht änderbar, somit absolut untauglich. Wann wird die Wasserstoff-Lobby dies endlich so kommunizieren?
# Anton Suter
Wasserstoff wird mit überschüssiger Foto-voltaischer Sommer-Solarenergie mittels Elektrolyse erzeugt, und abgespeichert, für Heiz- oder andere Zwecke. Dies braucht gar keine zusätzliche elektrische Energie. Vergessen Sie ihr e-Mobil, diese lösen keine Probleme. Beim PSI in Würrenlingen können Sie sich erklären lassen, wie das geht und warum diese Lösungen bisher verhindert werden. Eine Wasserstoff-Lobby ist mir nicht bekannt, eine Erdöl-Lobby schon.