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In der Schweiz bieten auch ausgebildete Therapeuten die gefährliche «Konversionstherapie» an. © pixabay

«Schwulenheiler» macht weiter – und spricht von Hetzkampagne

Tobias Tscherrig /  Der «Gesundheitstipp» outet einen Therapeuten als «Schwulenheiler». Dieser spricht von einer Hetzkampagne und «therapiert» weiter.

Unter dem Titel «Besuch beim Schwulenheiler» veröffentlichte der «Gesundheitstipp» Ende Juni 2019 eine Recherche, die den Psychiater Lukas Kiener aus Küssnacht als «Schwulenheiler» outet, der Menschen mit homosexueller Orientierung mithilfe von sogenannten «Konversionstherapien» umpolen will.

Der Bundesrat verurteilt «Konversionstherapien» und sagt, dass Anbieter dieser Methoden «Berufspflichten verletzen». Im Übrigen können Behörden Therapeuten, die derartige «Behandlungen» durchführen, die Bewilligung entziehen. Der Berufsverband der Schweizer Psychotherapeuten fordert ein Verbot von «Konversionstherapien». Und Fachleute kritisieren, Kieners Methoden könnten gefährlich sein. Trotz all dem lässt sich Kiener nicht beirren. Wie er gegenüber einer Publikation von evangelischen Missionen und Freikirchen sagte, wolle er auch weiterhin homosexuelle Menschen therapieren. Er erfülle den Auftrag seiner Klienten und verbessere deren Lebensqualität.

Passend dazu veröffentlicht Kiener auf seiner Internetseite unter der Rubrik «Sexuelle Orientierung & Veränderung» Fragebögen, die von ehemaligen Klienten ausgefüllt wurden. Eine der Fragen lautet: «Ist der Therapeut, für den Sie sich entschieden haben, homophob oder heterosexistisch?». Natürlich antworteten die Klienten mit «Nein». Auch bei der Frage, ob die Therapie kurzfristig oder langfristig geschadet habe, sind nur negative Antworten zu finden.

Vermeintlicher Klient eingeschleust
Um über die Methoden von Lukas Kiener berichten zu können, schleuste der «Gesundheitstipp» einen 24-jährigen Homosexuellen beim Therapeuten ein. Der vermeintliche «Klient» wurde von einer «Gesundheitstipp»-Redaktorin begleitet. Vor dem Treffen gab sich Kiener zurückhaltend und vorsichtig: Er wollte wissen, wie der vermeintliche «Klient» auf ihn gekommen sei – das Beratungsgespräch fand erst nach monatelangem Abtasten statt.

Ende April fand dann ein Beratungsgespräch statt. Kiener bietet dem 24-Jährigen eine Gesprächstherapie an, in der Rollenbilder analysiert werden sollen. Ausserdem will er herausfinden, ob sein Klient sexuell missbraucht worden sei. Gemäss «Gesundheitstipp» lässt der «Schwulenheiler» auch durchblicken, dass er mit «Eye Movement Desensitization and Reprocessing» (EMDR) arbeite. Dabei handelt es sich um eine Methode, mit der Therapeuten eigentlich traumatisierte Menschen behandeln. Zum Beispiel Soldaten, die im Krieg waren.

Zur Therapie soll der Klient Fotos von Männern mitbringen, die ihm gefallen. Man werde zusammen analysieren, was dem 24-Jährigen bei Männern gefalle. Es seien diese Dinge, die ihm bei sich selbst fehlen würden. Gemäss «Gesundheitstipp» sagt der Therapeut: «Man muss ganz Mann sein, sich ganz im eigenen Geschlecht wohlfühlen, dann wird das andere Geschlecht interessant.»

«Heterosexualität ist ein sehr stabiler Zustand»
Die Therapie dauere rund zwei Jahre, so Kiener gemäss «Gesundheitstipp». Am Anfang sei jede Woche eine Sitzung notwendig. Die Kosten für die ersten Sitzungen übernehme die Krankenkasse, danach müsse der Klient einen Antrag stellen. Allerdings sei das kein Problem, die Kassen würden solche Anträge eigentlich immer verlängern.

Der vermeintlich therapiewillige Klient will wissen, ob er später mit einem «Rückfall» in die Homosexualität rechnen müsse. Der «Gesundheitstipp» gibt Kieners Antwort wieder: «Heterosexualität ist ein sehr stabiler Zustand.» Sei man erst mal da, könne man davon ausgehen, dass es so bleibe.

Wie der «Gesundheitstipp» berichtet, steht Kiener religiösen Kreisen nahe. In einem Interview mit der Zeitschrift «Campus für Christus» erklärt er, wie er vor den jeweiligen Beratungsterminen betet. Wenn Gott Menschen heile und wiederherstelle, würden Beziehungen aufblühen.

Der Bezug zum Glauben ist kein Zufall. Anhänger von «Konversionstherapien» engagieren sich oft in religiös-fundamentalistischen Organisationen. Homosexualität sehen sie als Sünde. Unter anderem glauben sie, dass Homosexualität durch eine gestörte Beziehung zu den Eltern entsteht – zum Beispiel durch die Abwesenheit von väterlicher Zuneigung, die dann mit Gefühlen für andere Männer kompensiert werde.

Fachleute zeigen sich entsetzt
Im «Gesundheitstipp»-Artikel kommen verschiedene Fachleute zu Wort. Alle zeigen sich entsetzt und verurteilen die Methoden von Lukas Kiener. So zum Beispiel «Gesundheitstipp»-Psychologe Henri Guttmann, der sagt, dass derartige «Behandlungen» ethisch in keiner Weise vertretbar seien und Kiener «seelische Misshandlung» der Klienten vorwirft.

In der Tat beurteilen Behörden und Ärzte «Konversionstherapien» als gefährlich und schädlich. Vor allem, weil dadurch Verzweiflung und Probleme mit dem Selbstwertgefühl entstehen können, die sich in Depressionen, Angststörungen oder anderen psychischen Krankheiten – bis hin zu Selbstverletzungen und Suizid – äussern können.

Konversionstherapien müssen verboten werden
Gegenüber dem «Gesundheitstipp» wollte sich Kiener nicht zu den Kritiken äussern. Dafür sprach er im Oktober mit «Idea Spektrum», einer Zeitschrift von evangelischen Missionen und Freikirchen. Er verteidigte seine Methoden und erklärte, er erfülle den Auftrag seiner Klienten. So würden Schwule bei ihm die schlechte Bindung zu ihrem Vater aufarbeiten und lernen, sich gegen eine dominante, überfürsorgliche Mutter abzugrenzen. Dadurch bessere sich dann ihre Lebensqualität deutlich, die Homosexualität schwäche sich wesentlich ab.

Kiener ist uneinsichtig, von seinen Methoden nimmt er keinen Abstand. Stattdessen sieht er sich als Opfer und spricht von einer «Hetzkampagne», die gegen ihn laufe und «gläubige Menschen» diskreditiere. Dann greift er den Berufsverband der Psychotherapeuten an und erklärt, dieser «entmündigt Klienten» und nehme sie nicht ernst.

In einigen Ländern sind die Therapien bereits verboten, andere Staaten diskutieren über ein mögliches Verbot. Zum Beispiel in Deutschland, wo sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für ein Verbot ausspricht. Und auch in der Schweiz laufen immer wieder Bestrebungen, dem gefährlichen Treiben einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben. Der Verband «Pink Cross» startete eine entsprechende Petition. Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt übernahm die Vorreiterrolle und antwortete auf einen entsprechenden Vorstoss von SP-Grossrätin Michela Seggiani, er «setze sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für ein entsprechendes Verbot auf nationaler Ebene ein.»

Und BDP-Nationalrätin Rosmarie Quadranti sowie SP-Nationalrat Angelo Barrile beauftragten den Bundesrat, Konversionstherapien zur Veränderung der sexuellen Orientierung zumindest bei Kindern und Jugendlichen zu verbieten und unter Strafe zu stellen.

Bundesrat sieht keinen Handlungsbedarf
In seiner Stellungnahme sieht der Bundesrat allerdings keinen Handlungsbedarf. «Ein Verbot sogenannter ‹Therapien› ist nicht möglich», schrieb die Bundesregierung. Es bestünden auf Bundesebene keine bereichsspezifischen Gesetzgebungen, auf die sich ein entsprechendes Verbot abstützen könnte.

Weiter sei das Netz von öffentlichen und privaten Instanzen und Einrichtungen des Jugendschutzes auf Bundesebene, in Kantonen und Gemeinden gut ausgebaut. Ob die Durchführung entsprechender Therapien einen Straftatbestand darstelle, könne im Einzelfall nur von einem Gericht beurteilt werden. Im Übrigen gelte bereits heute das Psychologieberufegesetz, für dessen Einhaltung die Aufsichtsbehörden der Kantone zuständig seien. Für die Durchsetzung der Berufsethik in der kirchlichen Seelsorge seien die Kirchen verantwortlich – ausserdem könne jede Person, die von der Gefährdung eines Kindes Kenntnis habe, bei der zuständigen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) Meldung erstatten.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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4 Meinungen

  • am 18.11.2019 um 12:21 Uhr
    Permalink

    Schon erstaunlich, dass der Bundesrat seine Gleichgültigkeit hinter dem Scheinargument, dass keine gesetzlichen Grundlagen bestünden, kaschiert. Wozu haben wir ein Parlament, jährlich werden hunderte Gesetze neu geschöpft. Es ist eine Frage des Wollens, nicht des Könnens. Sogar Glühlampen konnte man verbieten, Ölheizungen droht dasselbe Schicksal. Aber gegen fundamentalistische Kurpfuscher und Überzeugungstäter soll kein Kraut gewachsen sein? Lächerlich – oder eher zum Weinen. Es ist dasselbe Trauerspiel, wie mit der Öffnung der Ehe für alle: Hauptsache wir sind Weltmeister im Recyclen von Joghurtdeckeln, bei der Suizidrate sind wir ja auch ganz vorn mit dabei. Wozu auch in Belangen der Bekämpfung von Diskriminierung politische Anstrengungen unternehmen? Es ist doch viel wichtiger, die internationale Reputation unserer Alpenrepublik hochzuhalten, als etwas für die Bevölkerung zu tun. Eine Ehe zweiter Klasse für Bürger zweiter Klasse genügt doch. Vergessen wir nicht, dass bis weit in die 1980-er Jahre Konkubinate in der Schweiz verboten waren. Ich bin wirklich stolz, Büger dieses rückständigen Landes zu sein!

  • am 21.11.2019 um 06:34 Uhr
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    Rechts wollen sie Schwule heilen und links wollen sie alles verbieten.
    Rechts beten sie vor einer Behandlung und links will als Allererstes immer das Krankenkassenkärtli sehen.

  • am 22.11.2019 um 18:54 Uhr
    Permalink

    Interessant, man fragt viele sogenannte Fachleute diverser Richtungen, Gruppierungen jeglicher Couleurs und schleust sogar jemanden ein. Aber diejenigen, die behandelt wurden, fragt man nicht. Man nimmt sich nicht einmal die Mühe, die Umfrage zu analysieren. Lieber jahrelanger Aufwand, jemanden einzuschleusen.
    Also, was meinen jetzt diejenigen, die behandelt wurden? Wo ist diese Statistik? Das wäre sicher viel aussagekräftiger als alles andere zusammen. Schade liest man nichts davon.

  • Pingback: «Schwulenheilung»: Verkehrte Welt bei konservativen Christen - infosperber,

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