Die Wochenzeitung «DIE ZEIT» hat ein neues Ressort: «STREIT»
«Wie können wir Sie, unsere Leser, noch überraschen? Wie bleibt unsere Arbeit für Sie interessant? Und wie gehen wir als Journalistinnen und Journalisten mit dem wachsenden Misstrauen aus Teilen der Gesellschaft um?» So fragte «Ihre Chefredaktion» der deutschen Wochenzeitung «DIE ZEIT» auf der Frontseite der Ausgabe 37 ihre Leserinnen und Leser – darunter auch mich. Und «Ihre Chefredaktion» antwortete gleich selbst: «Eine Antwort soll das neue Ressort ‹Streit› geben.»
Offensichtlich muss also «Streit» her, um Leserinnen und Leser als Abonnenten und Käufer erhalten zu können. «DIE ZEIT» beruft sich dabei auf einen Spruch des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt: «Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.» Helmut Schmidt gehörte später jahrelang dem Herausgeber-Gremium der «ZEIT» an.
Muss wirklich Streit sein?
In der darauf folgenden Ausgabe waren denn auch etliche Leserbriefe zu diesem neuen Ressort abgedruckt. Darunter einer von einem Tobias Philippen: «So sehr ich Sie dazu beglückwünsche, dass Sie Ihr Blatt lebendig halten, so perplex bin über den Titel des neuen Ressorts ‹Streit›. Man kann sich geradezu bildlich vorstellen, wie viele intelligente Menschen – ganz im Sinne des neuen Ressorts – darüber gestritten haben, ob dieser Name nun besonders peppig sei oder eben eine kolossale Schnapsidee. Ich bin für Letzteres. Denn man entkommt nun mal der Tatsache nicht, dass dieses Wort ganz weitgehend negativ konnotiert ist. ‹Streit› trägt in unschöner Weise zu einer Atmosphäre bei, die ohnehin viel zu viel Konfrontation beinhaltet, wohlfeile intellektuelle Gedankenspiele hin oder her.»
Was ist «Streit» denn genau?
Im Synonymwörterbuch des «Duden» werden unter anderem folgende Synonyme zu «Streit» genannt: Clinch, Entzweiung, Fehde, Krieg, Zank, Hader, Händel, Zerwürfnis, Zwietracht, Knatsch, Krach, Zoff. Eine klare Bestätigung also für Tobias Philippens Bemerkung, dass «Streit» immer einen negativen Touch hat. Wer also ist denn begierig auf Streit?
Klar aufs deutsche Publikum ausgerichtet?
Die Schaffung des Ressorts «Streit» weckt Erinnerungen an die Schweizer Medien-Szene. 1978 stiess der erfolgreiche deutsche Blattmacher Adolf Theobald zum Medienhaus Ringier (damals noch ohne Kooperation mit dem deutschen Medienhaus Springer). Er hatte sich mit der Kreation der Zeitschriften «Capital» und «twen» einen internationalen Ruf geschaffen. Für Ringier konzipierte er dann eine Zwillingszeitschrift deutsch und französisch: «Die Woche» und «L’Hebdo». Inhaltlich sollten die beiden Wochenmagazine die politischen Auseinandersetzungen zum Thema machen. Aber nach nur einem Jahr war «Die Woche» tot («L’Hebdo» suchte sich ein anderes Konzept): Theobald hatte übersehen, dass in der Schweiz politische Themen am runden Tisch diskutiert werden, dass in der Schweiz einvernehmliche Lösungen gesucht werden, ohne einander dabei die Köpfe – und dann gar noch öffentlich – blutig zu schlagen. Als politische Kultur erfolgreich, attraktiven Stoff für die Medien allerdings lieferte diese Art von Lösungssuche eben nicht besonders viel.
Und eine andere, persönliche Erinnerung: Als meine Schwester, verheiratet mi einem Universitätsprofessor und in Deutschland im entsprechenden Umfeld lebend, nach 30 oder mehr Jahren aus Deutschland in die Schweiz zurückkehrte, meinte sie: «Die Deutschen sind wie wir Schweizer auch. Einen Unterschied in den beiden Kulturen allerdings gibt es: Bei Problemen wird in der Schweiz eine Lösung gesucht, bei der keiner der Parteien das Gesicht verliert. Anders in Deutschland: Da muss es bei Auseinandersetzungen immer und gut sichtbar einen Sieger und einen Verlierer geben.»
Ist Helmut Schmidts Satz der Weisheit letzter Schluss?
Wenn ich an Helmut Schmidt denke, kommt mir natürlich auch in den Sinn, wie er Willy Brandt parteiintern bekämpft hat (vgl. dazu das Buch von Albrecht Müller: «Brandt aktuell; Treibjagd auf einen Hoffnungsträger»). Oder wie er Erhard Epplers Entwicklungshilfe-Programm abgewürgt hat. Sein Satz, wonach eine Demokratie ohne Streit keine sei, mag zwar im Sinne von «notwendiger Diskussion» gut gemeint sein. Mit dem Wort «Streit» aber hat er sich keine besonderen Lorbeeren verdient.
Dass «DIE ZEIT» ausgerechnet in der Ausgabe 37, in der das neue Ressort «Streit» angekündigt wurde, und ausgerechnet in diesem neuen Ressort «Streit» auch einen Text von Maxim Biller platziert hat, lässt zusätzliche rote Lämpchen aufleuchten (siehe ein Beispiel für seinen Stil hier). Muss wirklich immer und auf Teufel komm raus provoziert werden? Und sind die Leserinnen und Leser, die Streit brauchen und gerne Streit sehen, wirklich die Leserinnen und Leser, die «DIE ZEIT» sich wünscht?
«Schaumermal» pflegt mein deutscher Freund Dirk zu sagen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Zum Autor. Es gibt keine Interessenkollisionen.
Kultiviert streiten, bei der Zeit – daß ich nicht lache. Das schaffen die mit dem gegenwärtigen Personal nie. Sehen Sie sich an, wie die sogenannten Moderatoren verbissen versuchen, ihre Leserschaft zu erziehen. ("Bleiben Sie sachlich, danke.") Solange dort niemand den Unterschied zwischen Moderation und Zensur kennt, bleibt jeder dort veranstaltete Streit genau das.