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Raucher sterben früher. Das ist tragisch, aber entlastet die Altersvorsorge © pixabay/cc

Wer gesund lebt, verursacht höhere Kosten, als wer raucht

Fabian Schäfer /  Rauchern wird vielfach vorgerechnet, welch hohe volkswirtschaftliche Kosten sie verursachen. Richtig ist das Gegenteil.

Red. Fabian Schäfer ist Leiter der NZZ-Bundeshausredaktion und Nichtraucher. Der nachfolgende Artikel ist zuerst in der NZZ erschienen. Infosperber übernimmt ihn hier mit Erlaubnis des Autors. Wir tun das aus aktuellem Anlass, weil der Ständerat zurzeit einen Gesetzesentwurf zur Einschränkung der Tabakwerbung debattiert, sowie als Ergänzung zu mehreren raucherkritischen Artikeln, die auf Infosperber erschienen sind.*

Raucherinnen und Raucher haben es schwer. Viele möchten aufhören, schaffen es aber nicht. Manche fühlen sich geächtet. Und obendrein müssen sie sich anhören, welche enormen Kosten sie verursachen. Derzeit sind Politiker, Beamte, Ärzte, Krebs- und Lungenligen wieder eifrig unterwegs. Kürzlich wurde eine neue Studie zur «Krankheitslast» des Tabakkonsums veröffentlicht.

Das Timing ist kein Zufall. Die Präventionslobby erhöht den Druck, weil der Ständerat in der laufenden Session über das Tabakgesetz entscheidet. Umstritten sind vor allem die Werbeverbote.

Die Kostenrhetorik wird von höchster Stelle forciert. Der sozialdemokratische Gesundheitsminister Alain Berset sagte im Parlament: «Ich möchte an die extrem hohen Kosten für die Gesellschaft erinnern, die das Rauchen verursacht.» Das Bundesamt für Gesundheit doppelt nach: «Der Tabakkonsum belastet die Volkswirtschaft mit Kosten von rund 5,6 Milliarden Franken pro Jahr.» Und das Komitee, dessen Volksinitiative strikte Werbeverbote verlangt, hält fest: «Die Kosten für die Allgemeinheit sind enorm.»

Volkswirtschaftlich betrachtet sind Raucher Nettozahler

Diese Darstellung ist falsch oder zumindest einseitig. Dies zeigt die letzte umfassende Studie, auf die sich ironischerweise auch Bundesrat Berset und seine Präventionsbeamten stützen. Die Arbeit datiert von 1998. Leider liegen keine neueren Studien vor, die ein Gesamtbild zeigen. Auch die kürzlich präsentierte Untersuchung fokussiert ganz auf die Kosten des Rauchens.

Ausgewogener ist die Studie von 1998, welche Ökonomen der Universität Neuenburg im Auftrag des Bundes erstellt haben. Thema: Die sozialen Kosten des Tabakkonsums. Fazit: Raucherinnen und Raucher sind volkswirtschaftlich betrachtet Nettozahler. Sie kommen nicht nur voll für die Schäden auf, die sie anrichten, sondern leisten sogar einen Beitrag darüber hinaus. Die rauchende Minderheit subventioniert also den Rest der Bevölkerung.

Die Rechnung im Detail

Im Detail sieht die Rechnung so aus: Die rauchenden Personen in der Schweiz verursachten der Gesellschaft externe Kosten von 1,7 Milliarden Franken im Jahr. Davon entfiel der grössere Teil auf Produktionsausfälle durch tabakbedingte Erkrankungen und Todesfälle. Beim Rest handelt es sich um jenen Teil der Gesundheitskosten, den die Raucher nicht selber deckten.

Auf der Gegenseite führt der Tabak aber zu einer erheblichen Entlastung der Altersvorsorge, weil Raucher und Raucherinnen früher sterben. Nach amtlichen Angaben reduziert sich die Lebenserwartung von Personen, die täglich rauchen, im Durchschnitt um 14 Jahre. Das hilft der AHV und den Pensionskassen, weil sie die Renten weniger lange auszahlen müssen. Die Neuenburger Forscher eruierten hier eine Entlastung von 1,3 Milliarden Franken im Jahr.

Man mag diese Betrachtungsweise als zynisch empfinden. Aber wer den Rauchenden Krankheitskosten anlastet, muss ihnen fairerweise auch die Entlastung der Vorsorgekassen gutschreiben. Im Englischen hat sich für diese Ersparnisse infolge vorzeitigen Ablebens ein eigener Begriff etabliert: «death benefit». Hierzulande spricht man im Jargon vom «Langlebigkeitsrisiko», das den Pensionskassen und der AHV zusetzt.

2,1 Milliarden Franken Tabaksteuern

Zurück zur Neuenburger Raucher-Bilanz: Nach Abzug der gesparten Renten müssen sich die rauchenden Personen nur noch externe Kosten von 400 Millionen Franken vorwerfen lassen. Auch diese lösen sich in Rauch auf, wenn man die Tabaksteuer berücksichtigt. Über diese Abgabe, die exklusiv Raucherinnen und Raucher trifft, nahm der Bund schon damals 1,3 Milliarden Franken ein. Heute, nach mehrmaliger Steuererhöhung, sind es 2,1 Milliarden.

In dieser Zeit ist der gängige Preis für ein Päcklein Zigaretten von 3 Franken 70 auf 8 Franken 60 gestiegen. Davon entfallen 4 Franken 50 auf die Tabaksteuer, die voll der AHV zugutekommt. Zusätzlich gehen pro Päcklein 66 Rappen an die Mehrwertsteuer, zu den Schweizer Tabakbauern und in einen Präventionsfonds.
Wie stark die Altersvorsorge heute vom früheren Ableben der Raucher profitiert, ist nicht bekannt. Doch auch die Ökonomen vom Büro Bass, die das Departement Berset als Experten beigezogen hat, gehen davon aus, dass die Raucher nach den Steuererhöhungen der Vergangenheit erst recht Nettozahler sind. In der Regulierungsfolgen-Abschätzung zum Tabakgesetz schrieben sie, mit den externen Kosten liessen sich zum Beispiel die Werbeverbote nicht begründen.

Ohne Rauchen stirbt man auch, nur später

In dieser Frage geht es nicht nur um die Einsparungen bei den Renten. Darauf deutet eine Studie von Ökonomen des Karlsruher Instituts für Technologie von 2015 hin, die für Deutschland ähnliche Ergebnisse zeigte. Darin wird eine weitverbreitete Fehlüberlegung korrigiert: Die tabakbedingten Gesundheitskosten sind bei einer Gesamtbetrachtung über das ganze Leben zu relativieren. Wenn ein Raucher nicht rauchen würde, würde er trotzdem erkranken, einfach erst später und aus anderen Gründen.
Anders gesagt: Sterben müssen alle. Während ein Raucher womöglich mit 60 an Lungenkrebs erkrankt und stirbt, erleidet sein nikotinfreier Freund vielleicht mit 75 Jahren einen Schlaganfall.

Für den Einzelnen ist der Unterschied enorm – für die Volkswirtschaft nicht unbedingt. Eine Studie niederländischer Gesundheitsökonomen von 2008 kam zu frappierenden Resultaten. Sie verglich Fettleibige, Raucher sowie schlanke Nichtraucher. Bis zum Alter von 56 Jahren fielen die höchsten Krankheitskosten bei den Übergewichtigen an, danach bei den Rauchern. Aber: Bei einer «lebenslänglichen» Betrachtung verursachten die fitten Nichtraucher noch höhere Kosten. Dabei wirkt sich vor allem die längere Lebenserwartung aus, aber auch der Umstand, dass frühe Erkrankungen teilweise «billiger» sind als späte.

Niemand will Rauchen und Fettleibigkeit fördern

Gewiss, all dies sind rein finanzielle Vergleiche. Diesen Einwand bringen auch die Autoren der Studien an. Niemand argumentiert, dass der Staat deswegen das Rauchen oder die Fettleibigkeit fördern soll. Niemand bezweifelt, dass Krankheit und Tod bei den Betroffenen und ihren Familien grosses menschliches Leid auslösen, das sich nicht in Franken ausdrücken lässt. Gleichwohl legen die Studien zwei Schlussfolgerungen nahe: Der Vorwurf an die Raucherinnen, sie würden die Allgemeinheit schädigen, ist fehl am Platz. Und: Prävention mag dem Einzelnen helfen, aber mit Blick auf die gesamten Gesundheitskosten sollte man sich keine allzu grossen Hoffnungen machen.
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NACHTRAG
Zu diesem zuerst in der NZZ erschienenen Artikel hat der Verein Nichtraucherschutz eine Replik veröffentlicht. Sie ist hier abrufbar.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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5 Meinungen

  • am 18.09.2019 um 11:58 Uhr
    Permalink

    Raucher finanzieren das Gesundheitswesen. So titelte vor ca. 15 Jahren mal die Deutsche Ärztezeitungen. Das ist ein alter Hut.

    Prävention chronischer Krankheiten senkt die alters- und geschlechtsspezifischen Erkrankungsrisiken, was deren Erfolg ausmacht. Dadurch verlängert sich aber die Lebenserwartung und um etwas mehr, als es die Präventionswirkung auf die einzelne Krankheit erlaubt. Das liegt daran, dass es nur unspezifische Prävention gibt, keine, die nur auf bestimmte Krankheiten wirkt. Der Summenerfolg in gewonnenen Lebensjahren ist grösser als der mittlere Einzelerfolg.

    Aus dem Grund gibt es nach erfolgreicher Prävention mehr chronisch Kranke als davor. Prävention chronischer Krankheiten und damit auch das Esoterische, was Laien mit der unwissenschaftlichen Kategorie ‹gesunde Lebensweise›, meinen, erhöhen die Prävalenz an diesen chronischen Krankheiten und damit auch die Zahl und die Kosten der notwenigen medizinischen Interventionen.

    Wer Kosten senken will, darf nicht präventieren, sondern das ‹ungesunde Leben› belohnen. Wenn man mehr Menschen z.B. zum Rauchen und Exzesstrinken ermutigt, entlastet das die Medizin in Kosten und in Leistungsdruck. Das habe ich aber alles schon vor 40 Jahren im Studium gelernt, das steht in jedem Lehrbuch der Sozial- und Präventivmedizin.

  • am 18.09.2019 um 12:03 Uhr
    Permalink

    Das bestätigt dass nur ein toter Mensch ein guter Mensch ist! Dies sowohl in wirtschaftlicher Sicht als auch in ökologischer Sicht.

  • am 18.09.2019 um 12:03 Uhr
    Permalink

    Wenn Raucher ihre Lebenserwartung kürzen wollen, so sollen sie das ruhig tun, aber bitte ohne Nichtraucher in Mitleidenschaft zu ziehen indem sie diese dem Qualm aussetzen

  • am 18.09.2019 um 12:56 Uhr
    Permalink

    Diese Überlegungen habe ich mir längst gemacht. Während ich mich lange an den auf mein Grundstück geworfenen Zigarettenstummeln aufregte, kann ich mich beim Wischen seit langem freuen, finanzieren diese Konsumenten doch meine Altersvorsorge und dank ihrer kürzeren Lebenserwartung habe ich reale Chancen auf einen Pflegeheimplatz, wenn ich dann einen brauchen werde. Was mir fehlt, sind Studien, die ebenso nüchtern und unvoreingenommen die externen Kosten des MIV und die Steuerleistungen der Autofahrenden und den wirtschaftlichen Gesamtnutzen vergleichen. In der Velostadt Bern wurde vor rund 20 Jahren die Lorrainebrücke für einen zweistelligen Millionenbetrag verbreitert, jetzt wird den Velofahrenden mehr Raum zugewiesen, als dem Autoverkehr. Die Velofahrer aber haben so gut wie keinen Beitrag an die Strassenkosten geleistet, faktisch wird hier Volksvermögen zweckentfremdet. Gleiches gilt für Fahrverbote auf öffentlichen Strassen, der Winterdienst und Strassenunterhalt müsste hier voll auf die Anstösser abgewälzt werden, wozu sollen Autofahrende Strassen finanzieren, die sie nicht nutzen dürfen? Und analoge Überlegungen müssten auch für den öffentlichen Verkehr angestellt werden, der massivst quersubventioniert wird und immer noch völlig überteuert ist, weil nur gerade bezüglich der Personalkosten in den tieferen Hierarchiestufen betriebswirtschaftlich und sparsam gehaushaltet wird.

  • am 18.09.2019 um 21:36 Uhr
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    Da wir schon bei der Lebenserwartung und beim Sterben sind empfehle ich auf folgendem Link mal ein paar Seiten zu blättern und die Traueranzeigen anzusehen.
    Dann sind man wie die angeblich stetig steigende Lebenserwartung tatsächlich aussieht.
    Um die 13% (gemäss BFS) versterben schon heute vor Erreichen des gesetzlichen Rentenalters. Das ist rund jeder siebte. Bei Erhöhung werden es noch mehr sein, damit wird wohl spekuliert:

    https://www.todesanzeigenonline.ch/todesanzeigen-schweiz

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