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Viel Zufluss und tiefe Preise auf dem Strommarkt füllten 2019 die Stauseen, hier Lac d'Emosson (VS) © Archivbild: hpg

Schweiz schwimmt zurzeit im Strom

Hanspeter Guggenbühl /  Die Schweizer Stauseen sind so voll wie seit elf Jahren nicht mehr. Grund: Hohe Stromproduktion bei momentan mässiger Nachfrage.

Wer in die Berge fährt, kann es sehen: Die Schweizer Stauseen sind schon jetzt, im August, stärker gefüllt als sonst im September. Das Bundesamt für Energie (BFE) registrierte am 19. August einen mittleren Füllungsgrad von 88,1 Prozent. Das ist der höchste Wert seit Frühherbst 2008, als die Stauseen letztmals zu mehr als 90 Prozent gefüllt waren.

Der Füllungsgrad der Schweizer Speicherseen im Jahresverlauf von 2012 bis 2019. August 2019 (rote Linie). Grafik: BFE

Regional am meisten Wasser speicherten diese Woche die Bündner Stauseen mit einem Füllungsgrad von rund 92 Prozent, gefolgt vom Kanton Tessin. Im Wallis (im Bild Lac d’Emosson) und in der übrigen Schweiz lag der Füllungsgrad leicht unter dem nationalen Durchschnitt von 88 Prozent.

Der allgemeine Jahreszyklus

Im Jahresverlauf hat es in den Stauseen Ende Sommer immer am meisten Wasser. Denn sie dienen dazu, möglichst viel im Sommerhalbjahr zufliessendes Wasser zu speichern und diesen Vorrat im Winterhalbjahr, wenn weniger Wasser fliesst und die Nachfrage höher ist, in Strom umzuwandeln. Aus Sicht der Jahres-Stromversorgung wäre es darum ideal, wenn die Stauseen im September ganz voll wären und bis Ende April ganz geleert würden, um ihr maximales saisonales Speichervolumen von 8,8 Milliarden Kilowattstunden Elektrizität hundertprozentig auszunützen.

Doch dieses Maximum ist unerreichbar. Denn einerseits gilt es, unberechenbare Wetterwechsel zu berücksichtigen: Leerte man die Speicherbecken im April vollständig, fehlte es bei einem späten Kälteeinbruch im Mai an kurzfristig nutzbarem Stromvorrat. Und füllte man sie im September hundertprozentig, fehlte es bei einem Starkregen im Oktober an Aufnahmevolumen, um Überschwemmungen abzufedern. Andererseits beeinflusst der Markt die Bewirtschaftung der Stauseen: Wenn die Preise auf dem Strommarkt im Sommer in die Höhe schnellen, reizt das die Stromfirmen, einen Teil des für den Winter speicherbaren Wassers vorzeitig zu verstromen, um den finanziellen Profit zu steigern.

Aus diesen Gründen schwankte der langjährige Füllungsgrad im April jeweils zwischen 8 und 31 Prozent, jener im September zwischen 80 und dem Höchststand von annähernd 98 Prozent (im Regenjahr 1999). Entsprechend grösser oder kleiner war damit auch der im Winterhalbjahr nutzbare Stromvorrat.

Die temporäre Stromschwemme

Im Jahr 2019 bewegte sich der Wasserstand der inländischen Stauseen meist im oberen Bereich der erwähnten Bandbreiten: Den tiefsten Füllungsgrad im laufenden Jahr registrierte das BFE am 22. April (20,6 %), den bisher höchsten wie erwähnt am 19. August mit 88,1 Prozent. Und in den kommenden Wochen könnten sich die Stauseen noch weiter füllen.

Für diesen hohen Stromvorrat gibt es drei Gründe:

1. Viel Wasser Der Zufluss zu den Stauseen war 2019 hoch, weil die Hitze im Juni und Juli viel Gletschereis schmelzen liess und im August oft Regen fiel.
2. Mässige Nachfrage Die Versuchung, die überdurchschnittliche Menge an gespeichertem Wasser vorzeitig zu verstromen, war gering. Denn die kurzfristigen Preise auf dem schweizerischen und europäischen Strommarkt sind zurzeit wieder tiefer als in den Vorjahren. So betrug der Durchschnittspreis für eine Kilowattstunde Bandstrom am europäischen Spotmarkt für die Schweiz (Swissix) im August 3,25 Euro-Cent oder umgerechnet 3,55 Rappen. Das weist darauf hin, dass die Nachfrage nach Strom zurzeit kleiner ist als das Angebot.

3. Hohe Stromproduktion Das momentane Überangebot an Strom begründen von uns befragte Schweizer Stromfirmen übereinstimmend wie folgt: Die Nachfrage nach Strom sei mässig, einerseits saisonbedingt wegen der Ferienzeit, andererseits witterungsbedingt, weil die Hitzeperiode vorbei ist und es weniger Strom zum Kühlen braucht. Andererseits produzieren Atom- und Wasserkraftwerke mehr Strom als in andern Jahren. In Frankreich und Belgien, so erklärt etwa Guido Lichtensteiger, Sprecher des Stromkonzerns Alpiq, sei die Verfügbarkeit der Kernkraftwerke «viel besser als letztes Jahr» und in Deutschland und der Schweiz «gut bis sehr gut». Und die überdurchschnittlichen Mengen an Schmelz- und Regenwasser ermöglichen zurzeit eine hohe Strom-Produktion in den Wasser-Laufkraftwerken. Zudem bringen viele Sonnenstunden den Fotovoltaik-Anlagen im In- und Ausland ebenfalls eine hohe Stromernte.

Langfristig folgt Mangel dem Überfluss

Die drei Faktoren zusammen führ(t)en zum momentan überdurchschnittlichen Füllungsgrad der Stauseen. Der hohe Stromvorrat ist beruhigend für die Landesversorgung im nächsten Winter und kann sich für die Betreiber der Wasserkraftwerke finanziell auszahlen, falls der Winter kalt wird und die Nachfrage nach Strom die Marktpreise erhöht.

Langfristig aber dürfte sich im Winterhalbjahr die Lücke in der inländischen Stromversorgung vergrössern, weil die Atomkraftwerke in der Schweiz und in Deutschland stufenweise abgestellt werden und weil Wärmepumpen und Elektroautos den Stromverbrauch vor allem im Winter fördern.

————–

Nachtrag: Der Füllungsgrad der Schweizer Stauseen stieg, wie von Infosperber prophezeit, im August weiter, laut BFE-Erhebung von 88,1 Prozent am 19. auf 90,0 Prozent am 26. August. Der Marktpreis für Strom am Spotmarkt blieb tief.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Stromleitungd

Die Politik der Stromkonzerne

Elektrizitätsgesellschaften verdienen am Verkaufen von möglichst viel Strom. Es braucht endlich andere Anreize.

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5 Meinungen

  • am 25.08.2019 um 11:19 Uhr
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    Es wäre schön, wenn der Autor des Artikels den Bedarf an Winterstrom etwas genauer analysieren würde. Leider wird dieses Thema von allen Seiten tabuisiert. Die einen missbrauchen es als Begründung für neue Atomkraftwerke oder Gaskraftwerke und die anderen Wissen sehr genau, dass das Problem mit Photovoltaik und neuen saisonalen Speichern nicht lösbar ist. Ganz Europa hat im Winter zu wenig Strom. Es führt kein Weg an einer Stromentschwendungsstrategie vorbei, die nur mit einer Energie-Lenkungsabgabe umgesetzt werden kann. Andernfalls wird uns spätestens ein Blackout zur Vernunft bringen. Gemäss Bundesamt für Bevölkerungsschutz das grösste Risiko der Schweiz. Wir müssten schon heute im Winter den Strombedarf zeitweise um 3.5 GW (entspricht der Leistung von 3.5 Atomkraftwerken Gösgen) senken können. Dies ist ohne weiteres möglich, es braucht das notwenige Bewusstsein und den nötigen politischen Willen. Alles andere hat sehr viel zu tun mit russischem Rulett.

    Anmerkung des Verfassers: Klicken Sie dazu am Schluss dieses Artikels unter "Weitere Informationen" an: "Dossier: Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke" https://www.infosperber.ch/Dossier/Atomenergie-nach-Fukushim Da finden Sie weit oben: "Die Stromlücke im Winter, und wie sie sich stopfen lässt." Hanspeter Guggenbühl

  • am 28.08.2019 um 14:08 Uhr
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    Was ist genau dran an der «mässigen Nachfrage"? Kann man das beziffern? Meine Beobachtung zeigte diesen Sommer nämlich hohe Stromexporte der Schweiz (auf swissgrid.ch), zeitweise in alle Nachbarländer gleichzeitig, insgesamt in der Spitze bis über 7.4GW. Und wenn man sich auf dem Agorameter die letzten drei Jahre ansieht so sieht man, dass Deutschland von Jahr zu Jahr im Sommer mehr Strom aus der Schweiz importiert. Der Grund: Die Preise für Kohlestrom sind gestiegen, die Kohlekraftwerke in Deutschland werden immer öfter zurückgefahren. Infolgender Grafik den Reiter «import/export» anklicken. https://www.agora-energiewende.de/service/agorameter/chart/power_import_export/28.08.2016/28.08.2019/

  • am 28.08.2019 um 14:21 Uhr
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    @Urs Anton Löpfe: Deutschland schafft den Ausgleich zwischen Sommer und Winter dadurch, dass ein grosser Anteil Windkraft installiert ist, von der es im Winter mehr gibt als im Sommer. Saisonale Speicher braucht es nicht, es reicht ein paar Tage Flaute überbrücken zu können. Dabei helfen die Stauseen in den Alpen und in Skandinavien. Neue Leitungen sind bereits im Bau, nächstes Jahr soll eine direkt von Norddeutschland nach Norwegen ans Netz gehen. Bisher ist Nowregen nur mit dem Umweg über Dänemark, die Niederlande oder Schweden verbunden.

  • am 28.08.2019 um 17:25 Uhr
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    Elektroautos brauchen zwar im Winter rund 20% mehr Energie pro Kilometer, dafür wird im Winter tendenziell weniger gefahren. Es fehlen also noch die Belege, dass am höheren Winterverbrauch die Elektroautos mitbeteiligt sind.

  • am 1.09.2019 um 10:31 Uhr
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    Es ist schon eine Weile her, daß ich mich sehr intensiv mit dem Europäischen Strommarkt beschäftigt habe. Die Schweiz schien damals eine sehr kluge Politik zu fahren, indem sie die Pumpkapazität an den großen Speichern ausbaute, um mehr Spitzenstrom verkaufen zu können. Darüber habe ich leider nichts im Artikel gelesen.

    Anmerkung des Verfassers: Infosperber publizierte viele Artikel über Pumpspeicher-Kraftwerke. Zu finden sind sie im unter diesem Artikel angegebenen Dossier "Die Politik der Stromkonzerne" Link: https://www.infosperber.ch/Dossier/Die-Politik-der-Stromkonzerne, zuletzt der Artikel "Grösste Schweizer Strombatterie produziert tiefrote Zahlen, Link: https://www.infosperber.ch/Artikel/Umwelt/Axpo-Pumspeicherwerk-bringt-80-Millionen-Jahresverlust. Pumpspeicher-Kraftwerke dienen primär als Tages- oder Wochenspeicher, nicht aber als Saisonspeicher; sie tragen also kaum etwas bei, um die Stromlücke im Winterhalbjahr zu stopfen.

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