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Plakat zur Ausstellung «Frühes Mittelalter: Dunkle Zeiten?» © -

Mittelalter-Ausstellung im Wallis: Kein Licht ins Dunkel

Kurt Marti /  Eine Ausstellung in Sitten will das Bild des dunklen Mittelalters korrigieren und blendet die düstere Rolle des Christentums aus.

Der Titel der Ausstellung, die im alten Gefängnis von Sitten stattfindet, macht neugierig: «Frühes Mittelalter: Dunkle Zeiten?», ebenso die Einleitung einer Medienmitteilung: «Das Frühmittelalter wird vorschnell mit dunklen Zeiten in Verbindung gebracht, mit den Barbareneinfällen, die die römische Zivilisation zerstört hätten, mit dem triumphalen Einzug einer neuen Religion, dem Christentum und mit dem berühmten rauschbärtigen Kaiser Karl dem Grossen, der die Schule erfunden haben soll…»

Archäologische und historische Forschungen der letzten Jahrzehnte würden solche «Klischees» über die Zeit zwischen 350 und 1000 nach Christus entkräften, heisst es in der Mediendokumentation weiter. Denn: «Das Frühmittelalter entsteht aus mannigfaltigen sozialen und kulturellen Veränderungen, die in einem strukturierten und stabilen System münden: dem Feudalsystem des Mittelalters.»


Krummstab und Theoderich-Schrein: Argument gegen die «Klischees» des dunklen Mittelalters?

Um die angeblichen «Klischees» des dunklen Mittelalters zu entkräften, werden diverse historische Kirchenschätze aus dieser frühen Zeit der alpinen Christianisierung ausgestellt, beispielsweise der Theoderich-Schrein aus dem Kloster St. Maurice und der Krummstab des heiligen Germanus.


«Schöne Buchmalereien»: Argument gegen die «Klischees» des dunklen Mittelalters?

Zentral für die Beweisführung der Ausstellung ist die Rolle des Christentums, insbesondere die Rolle der Klöster und Mönche, die als Bewahrer und Überlieferer des Wissens dargestellt werden. Zu diesem Zweck werden in der Ausstellung handschriftliche Kirchentexte und «schöne Buchmalereien» aus dem 9. Jahrhundert als Beweisstücke zur Widerlegung des «Klischees» des dunklen Frühmittelalters gezeigt.


Mönche als Bewahrer und Überlieferer des Wissens?

«Frost mitten im Hochsommer spätantiker Bildung»

Eine ganz andere Sicht des christlichen Frühmittelalters präsentiert der deutsche Althistoriker Rolf Bergmeier in seinem Buch «Schatten über Europa». Darin zeigt Bergmeier eindrücklich auf, wie es zeitgleich mit der Gründung von Klöstern ab dem fünften Jahrhundert in Europa zu einem folgenschweren Kulturbruch kam. Mitten «im Hochsommer spätantiker Bildung» sei «der Frost» eingebrochen: «Die Schulen schliessen, Bibliotheken veröden, Tempel werden zu Steinbrüchen, Theater zu Lagerräumen und die Bürger verlernen das Schreiben.»

Nach tausend Jahren geistiger Hochblüte sei der Analphabetismus wieder zur Normalität geworden und das breit ausgebaute römische Schulsystem zerstört worden. Das immense, wissenschaftliche und philosophische Angebot der Bibliotheken sei grösstenteils vernichtet und durch eine kümmerliche Anzahl von Büchern der christlichen Dogmatik ersetzt worden. Bergmeier spricht von einer «Bildungstragödie», die in den folgenden Jahrhunderten zu «einem Desaster und Wirtschaftsfiasko» auswuchs.

In einem Interview (siehe Infosperber: Die Totengräber der antiken Kultur) hielt Bergmeier fest, dass nur «etwa ein Promille» der antiken Bücher von der frühmittelalterlichen Kirche übermittelt wurde. Alles wissenschaftliche und kulturelle Schaffen sei «auf rein kirchliche Themen kanalisiert» worden. Das Studium der Wissenschaft und Mathematik sei «entbehrlich» geworden, weil laut der Meinung des damaligen Klerus schon alles in der Bibel gestanden habe.

Der heilige Augustinus entwarf laut Bergmeier «die bis heute weithin gültige, hochspekulative Sünden-, Sitten- und Verdammnislehre, die das Diesseits als Durchgangsstation für eine andere Welt abwertet. Verworfen sei der Mensch, meint Augustinus, böse die Sexualität. Am besten ziehe man sich in die Wüste zurück, um für seine Sünden zu büssen.»

«Christen als die wahren Barbaren»

Hart ins Gericht mit dem frühchristlichen Mittelalter geht auch die britische Historikerin und Journalistin Catherine Nixey in ihrem Buch «Heiliger Zorn. Wie die frühen Christen die Antike zerstörten». Darin zeichnet Nixey «ein gänzlich neues und zutiefst erschütterndes Bild der frühen Christen als die wahren Barbaren» und enthüllt «die Gräueltaten, die hinter dem Triumph des Christentums stecken und mit zum Untergang der Antike führten», wie es in ihrem Buch heisst.

Im Römischen Reich sei «das religiöse Leben vielfältig» gewesen, «bis unter den ersten christlichen Kaisern alles anders wurde». Mit aller Macht hätten die frühen Christen versucht, «Andersgläubige zu bekehren und erwiesen sich dabei nicht nur als extrem intolerant, sondern auch als äusserst gewalttätig». Im ganzen Imperium hätten sie Tempel und Kultgegenstände zerstört, Bücher verbrannt, Philosophen aus den Städten gejagt und diejenigen verfolgt, die weiter den alten Göttern opferten.

Vergleich mit der griechisch-römischen Antike fehlt

Die kritische Sicht auf das frühchristliche Mittelalter, wie sie Bergmeier und Nixey präsentieren, fehlt in der Ausstellung in Sitten. Es wird nicht begründet, wieso ausgerechnet Klöster und Mönche, Krummstäbe und Reliquien-Schreine sowie Kirchentexte und «schöne Buchmalereien» das dunkle Mittelalter aufhellen sollen.

Dazu hätten die AusstellungsmacherInnen zwangsläufig den Vergleich mit der griechisch-römischen Antike und deren Hochkultur ziehen müssen und dieser wäre miserabel ausgefallen. Man denke nur an den Vergleich der «schönen Buchmalereien» mit der antiken Mosaik- und Bildhauer-Kunst oder an den Vergleich der Kirchentexte mit den Werken der griechischen und römischen Denker.

Die Botschaft, welche die Ausstellung vermittelt, ist klar: Das dunkle Mittelalter war nicht dunkel und folglich erscheint auch das Christentum heller und damit die Wurzeln des Abendlandes, die laut Ausstellungstext «tief jüdisch-christlich» sind (siehe dazu Infosperber: Das Märchen von den christlichen Werten).

Dass diese Aufhellung des dunklen Mittelalters und des Christentums im Wallis stattfindet, ist kein Zufall, wenn man bedenkt, welche weitreichenden politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen die katholische Tradition in diesem Kanton hatte und immer noch hat.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war von 2000 bis 2010 Redaktor der Oberwalliser Zeitung «Rote Anneliese» und hat darüber das Buch «Tal des Schweigens: Walliser Geschichten über Parteifilz, Kirche, Medien und Justiz» geschrieben

Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • am 20.08.2019 um 10:36 Uhr
    Permalink

    Das Mittelalter wird oft verzerrt dargestellt. Nach dem Zusammenfall des patriarchal organisierten, imperialistischen römischen Reiches war das Mittelalter gezeichnet von selbst verwaltenden Städten mit relativ loser Herrschaft und Bauern die Selbstversorgung betrieben. Die Allmenden waren eine Erfindung des Mittelalters welche in der frühen Neuzeit durch Gewalt verstaatlicht und privatisiert wurden. Erst durch diese Enteignung konnte überhaupt der modern, lohnabhängige Arbeiter geschaffen werden. Diese Enteignung war dann auch der Auslöser für den deutschen Bauernkrieg im 16. Jh. im gesamten deutschsprachigen Raum. Der Vergleich der Arbeitszeit vom Mittelalter und der Neuzeit ist Augen öffnend. Arbeitszeiten von über 12h an sechs bis sieben Tagen in der Wocheen war im 18./19. Jh. normal. Im krassen Gegensatz zur vier Tagewoche mit 6h Stunden Arbeit pro Tag im Mittelalter. Viele Gewaltakte, wie die systematische Unterwerfung der Frau (Hexenverfolgung) geschahen nicht im Mittelalter sondern in der Neuzeit.

    Das Mittelalter war, im Vergleich zur Antike und der Neuzeit, weder dunkel noch brutal. Man muss sich die Frage stellen, wieso es immer wieder so dargestellt wird. Aus Sicht der führenden Machtelite ist es in jedem Falls sinnvoll, wenn man eine relativ herrschaftslose Zeit als Dreckig, Brutal und Dumm hinstellt und die Neuzeit, welche gekennzeichnet ist durch die Einführung wieder erstarkenden Herrschaftsformen, als Vernünftig und Human. Das sollte man bedenken.

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