Da geht die Nachhaltigkeit baden
Sie sind hipp, bunt und weltweit in jeder grösseren Stadt zu haben. Wer ein Vehikel braucht, nimmt eines der grellfarbigen «Shared Bikes», fährt ein Stück damit, zahlt eine kleine Gebühr und stellt es an einem festgelegten Ort ab. Um alles andere kümmert sich der Anbieter. E-Scooter oder E-Trottinetts, die es seit einiger Zeit auch in der Schweiz gibt, kann der Nutzer sogar überall stehen lassen.
Das ist vor allem Pech für Städte mit wenig Platz und vielen Wasserwegen. Fast täglich würden E-Scooter und Velos aus den Gewässern der Stadt Zürich entfernt, berichtete «Watson». Freiwillige der Organisation «Abfalltaucher Schweiz» haben bei einer Clean-Up-Aktion im Juni gleich zwölf E-Trottis aus dem Wasser beim Utoquai gezogen. Basel-Stadt hatte bis dahin «rund zehn» von etwa 400 bereitgestellten E-Scootern aus dem Rhein geborgen.
Darüber, wie viele samt Batterie auf dem Grund von Gewässern unentdeckt vor sich hinrosten, sagt das nichts. Trottis sind klein, leicht und schneller ins Wasser befördert als ein Velo. Die Hersteller machen zu den Ausfällen keine Angaben.
Mit den Leihvehikeln kam der Vandalismus
Auch andere Medien rund um die Welt zählen Sharing-Wasserleichen. Rund 100 Mietgefährte zieht der «Canal River Trust» allein in London jährlich aus dem Wasser, berichtete der «Guardian», in anderen britischen Städten ist es wenig besser: Beim Lesen können Leserinnen und Leser neben einem Streifzug durch die Sharing-Economy gleich ihre geografischen Kenntnisse auffrischen. Dokumentiert sind «YoBikes» in Avon und Frome (Bristol), «nextbikes» in der Taff (Cardiff, Wales), «Ofo-Bikes» in der Cam (Cambridge), «Mobikes» in der Tyne (Newcastle) und so weiter. Bikes und Trottis landen in der Isar (München), in den Kanälen von Venedig, im Hafenbecken von Marseille, im Lake Merritt (Kalifornien) und in Sydneys Gewässern. Littering Advanced, richtig global. So war Sharing Economy nicht angedacht.
Zur Erinnerung: Die ersten Versuche mit Leihrädern gingen fürchterlich schief. Sie fanden sich in Haufen neben Landstrassen, auf Parkplätzen, in Bäumen und in Flüssen. Die rollende «Sharing Economy» erwies sich als «Vandalism Economy». Einige Anbieter gaben auf, am Ende arrangierten sich Städte und Anbieter mit der Situation.
Instagram-Nutzer feiern die Trotti-Zerstörung ab
Auf der Instagram-Seite «Bird Graveyard» werden Videos und Fotos von Scootern «geteilt», die von Gebäuden geworfen, in Windschutzscheiben gerammt oder anderweitig zerstört werden. «Roller zu zerstören ist einfach nur lustig», schrieben die Administratoren der Seite auf Nachfrage von «Vice». «Wenn du nicht über einen Scooter lachen kannst, der auf einer Party angezündet wird, hast du ein Problem». Weniger aggressive Nutzer schlagen vor, die QR-Codes am Fahrzeug mit Farbstift unlesbar zu machen.
Screenshot aus einem Video auf «Bird Graveyard»
So manchen nerven die Trottis anscheinend gewaltig. Aber warum? Ok, sie stehen an den unmöglichsten Orten herum und dabei meistens im Weg. Aber es gibt noch andere Gründe: «Diese Dinger werden nicht von den richtigen Leuten aus dem richtigen Grund genutzt», sagt ein Nutzer der Instagram-Steite. Vandalismus sei auch eine Antwort auf die sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen, die Big Tech angestossen habe, findet «Vice». Statt Google oder Facebook anzuzünden, kann man also erst einmal mit einem E-Scooter der Marke «Bird» anfangen. Dazu muss man auch nicht ins Silicon Valley, das geht auf dem Balkon.
Nachhaltigkeit mit geringer Nutzungsdauer?
Weggehen werden die kleinen Flitzer durch diesen Protest eher nicht, die Anbieter rechnen die Verluste einfach ein. Die Lebensdauer eines E-Scooters oder E-Trottinetts liege bei etwa vier Wochen, hat «Quartz» nach Zahlen des US-Anbieters «Bird» festgestellt. In Europa dürfte sie etwas höher liegen, wie die «Zeit» bei den Anbietern recherchiert hat. Diese rechnen mit einer Lebensdauer von zwölf Monaten und verweisen auf Städte wie Wien mit wenig Ausfällen.
Das Consultingunternehmen McKinsey hat ausgerechnet, dass ein E-Scooter wenigstens vier Monate im Einsatz sein sollte, um die Anschaffungskosten wettzumachen. Ökologisch gesehen müsste ein E-Trotti 200 bis 270 Kilometer fahren und dabei ein Auto ersetzen, bis wenigstens die Produktion der Batterie in der Ökobilanz ausgeglichen ist. Die durchschnittliche Fahrtstrecke ist ein bis zwei Kilometer und ersetzt eher ÖV oder ein Velo. So wirklich nachhaltig ist das eher nicht.
Weggeworfene Vehikel gefährden Schiffe
Ein Verbot, Leihfahrzeuge in der Nähe von Wasserwegen abzustellen, könnte einstweilen zumindest verhindern, dass die Umwelt mit den bunten Fahrzeugen baden geht. Ebenso die Verpflichtung, das Gefährt beim Abschliessen anzuketten. Diese Vorschläge stammen von Aidan Slater, der im Auftrag des «Canal and River Trust» einen der Londoner Kanäle freihält. Derzeit fischt er unter jeder Brücke pro Woche zwei bis drei Velos aus dem Wasser.
Die Sharing-Anbieter interessieren sich dafür mehrheitlich nicht und wollen ihren Schrott auch nicht wieder zurückhaben. Gerät ein Leihrad in die Schraube eines Motorbootes, kostet das den Bootseigentümer um die 500 Pfund (590 Franken) für die Ersatzteile. Die Grundidee der «Sharing Economy» geht dabei baden. Ressourcen effizient nutzen, indem man Dinge leiht statt kauft und dabei die Umwelt schont, sieht anders aus.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine