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Der Einsatz von Pflegerobotern löst oft Unbehagen aus. Es gilt, ethische Fragen zu klären. © sh

Roboter pflegen Menschen: eine Frage der Ethik

Sarah Heinzmann /  Zurzeit fliessen viel Geld und Zeit in die Entwicklung von Pflegerobotern. Ethische Fragestellungen dürfen nicht ignoriert werden.

Red.: Sarah Heinzmann studierte an der Universität Luzern Philosophie, Politikwissenschaften und Volkswirtschaft. Aktuell arbeitet sie bei «Ethix – Lab for Innovation Ethics» und befasst sich mit Innovationsethik. «Ethix» war Mitorganisator des Anlasses «Roboter in der Pflege: Macht das Sinn?».

Die Roboterrobbe «Paro» hat ein kuscheliges Fell und Kulleraugen. Streicheln quittiert sie mit einem Schnurren. Aber «Paro» kann weit mehr: Sie erkennt Gesichter und Gefühlslagen und kann damit eine Beziehung zu Menschen aufbauen. Auf Demenzkranke wirkt sie beruhigend. Inzwischen kommt die Roboterrobbe in einigen Pflegeheimen in der Schweiz zum Einsatz.

Auch an der Veranstaltung «Roboter in der Pflege: Macht das Sinn?» vom 13. Juni im «Generationenhaus Bern» zog «Paro» alle Blicke auf sich. Nur sollte sie hier niemanden beruhigen. Vielmehr diente sie als Beispiel für eine Entwicklung in der Pflege, deren Zukunft noch unklar ist – und trotzdem eine Menge Fragen aufwirft. Ziel des Abends war es, mit einem breiten Publikum über die ethischen Implikationen von Robotern in der Pflege zu diskutieren.

Roboter sollen helfen

Pflegeroboter sind technische Systeme, die in einem pflegerischen Umfeld autonom Informationen aus der Umgebung aufnehmen und sie dann in einen mechanischen Ablauf umwandeln. Verschiedene innovationsgetriebene Unternehmen, darunter auch das Schweizer Unternehmen «F&P», beschäftigen sich zurzeit mit der Entwicklung dieser Maschinen.

Die Anwendungen sind vielfältig. So dient die Roboterrobbe «Paro» in der Therapie mit emotional schwer zugänglichen Menschen als Eisbrecherin. Die Robotersysteme «Pepper» oder «Nao» sehen dank Knopfaugen und freundlicher Mimik kindlich aus. Sie werden bereits heute als Entlastung für das Pflegepersonal bei der Betreuung und Aktivierung von Seniorinnen und Senioren getestet. Beide Systeme können Emotionen von Gesichtern ablesen und darauf reagieren: So soll eine möglichst natürliche Interaktion zwischen Mensch und Maschine zustande kommen.

Der «Robobear», der einem Bären ähnelt, arbeitet mit Pflegefachpersonen im Tandem, um Patientinnen und Patienten zu heben oder umzulagern. Der Pflegeassistent «Lio» von «F&P» sieht zwar weniger süss aus, kann aber einfache Gespräche führen und bei täglichen Aufgaben unterstützend zur Seite stehen.

Wertebasierte Innovation

In welche Richtung die Entwicklung von Pflegerobotern in Zukunft gehen wird, hängt eng mit den technischen Innovationen im Feld der künstlichen Intelligenz zusammen. Die Innovationen im Pflegebereich spielen sich aber nicht im luftleeren Raum ab, sondern widerspiegeln gesellschaftliche Normen und Wertevorstellungen.

Es ist denkbar, dass sich durch die Verbreitung von Robotern im Pflegebereich die Interaktion mit Kranken oder Betagten grundlegend verändert. Wegen dieser engen Verknüpfung von Moral, Gesellschaft und Technik ist ein Diskurs darüber, wie verschiedene Techniken aus ethischer Perspektive zu werten sind, unerlässlich.

Viele ethische Fragestellungen

In erster Linie stellt sich die Frage der Sicherheit: Vertrauen wir zum Beispiel dem «Robobear» genug, um ihn Kranke oder Betagte hochheben zu lassen? Und was, wenn die Maschine jemanden fallen lässt? Es ist unklar, wer für eine solche Fehlfunktion verantwortlich wäre. Bevor die Haftungsfrage nicht vollends geklärt ist, ist es schwer vorstellbar, dass Roboter in der Pflege flächendeckend eingesetzt werden. Die versicherungstechnischen Bedenken sind zu gross.

Hinzu kommen Sorgen zur Privatsphäre der Patientinnen und Patienten. Damit ein Pflegeroboter funktionsfähig ist, muss er riesige Mengen von Daten aus der Umwelt aufnehmen und verarbeiten. Dazu ist er mit Kameras, Mikrophonen und Sensoren ausgestattet und verfügt über grosse Speicherkapazitäten. Im täglichen Einsatz fallen Unmengen sensibler Daten an, die gut geschützt werden müssen.

Ein Unterfangen, das – zumindest in der Vergangenheit – bereits gescheitert ist. 2015 wurden 78,8 Millionen Menschen Opfer von Hackern, die in das System einer grossen US-amerikanischen Krankenversicherung eindrangen und solch sensible Patientendaten stahlen. Wie kann sichergestellt werden, dass Daten, die durch Pflegeroboter gesammelt werden, nicht in falsche Hände geraten?

Wie bei vielen Innovationen im Gesundheitsbereich, stellen sich auch bei der Verbreitung von Pflegerobotern Verteilungsfragen. Sollten sich Pflegeroboter als kostengünstige Alternative durchsetzen, droht die Gefahr einer Zweiklassenmedizin, bei der die Menge an zwischenmenschlichen Interaktionen von der finanziellen Situation des Patienten und der Patientin abhängt.

Mit der Möglichkeit der Automatisierung des Pflegebereichs entsteht zudem die Gefahr von Arbeitsplatzverlusten. Es scheint wahrscheinlich, dass die Technologie die Pflegeberufe nicht ersetzen, sondern unterstützen wird. Grund dafür sind einerseits die komplexen zwischenmenschlichen Interaktionen, welche die Pflege erfordert, und andererseits der akute Pflegenotstand, der das Berufsfeld in Zukunft dominieren wird.

Autonomie in Gefahr

Schlussendlich ist es denkbar, dass durch den Einsatz von Pflegerobotern auch die Patientenautonomie gefährdet ist. Neben dem Prinzip des Nichtschadens stellt der Respekt vor der Autonomie von Patientinnen und Patienten eine zentrale Maxime der medizinischen und der pflegerischen Ethik dar. Daraus folgt, dass der Einsatz eines Pflegeroboters im Grundsatz nicht ohne das Einverständnis des Patienten oder der Patientin erfolgen darf, dem er dienen soll. Doch wie soll die Zustimmung zu einer Interaktion mit Pflegerobotern von Personen eingeholt werden, die nicht urteilsfähig sind?

Deshalb wird zuweilen auch diskutiert, inwiefern die Menschenwürde durch den Einsatz von Pflegerobotern verletzt wird. Hat nicht jeder Mensch, insbesondere in Zeiten körperlichen oder psychischen Leidens, Anrecht auf menschliche Interaktion und Anteilnahme? Auch für Pflegefachkräfte kann das Auftauchen von Pflegerobotern problematisch sein. Denn wenn der Pflegeberuf als Beruf dargestellt wird, der durch Technologie ersetzbar ist, kann das für Menschen, die im Gesundheitsbereich tätig sind, entwertend sein.

Sensibilisieren und Differenzieren

Zurzeit ist unklar, welche Rolle Roboter in Zukunft im Gesundheitssystem einnehmen werden. Auch wenn sie zu einer wünschenswerten Entlastung der Pflege beitragen können, gibt es viele ethische Fragestellungen, die vor einer breiten Implementierung von Pflegerobotern diskutiert werden müssen. Fast jede Person ist im Verlaufe ihres Lebens auf Pflege angewiesen. Deswegen sollte auch die Diskussion rund um Chancen und Risiken dieser Innovationen gesamtgesellschaftlich stattfinden. Nur so kann der moralische Blindflug vermieden werden.

Genau das war das Ziel des öffentlichen Anlasses «Roboter in der Pflege: Macht das Sinn?». Personen mit unterschiedlichen Hintergründen kamen zusammen, um gemeinsam einen generationsübergreifenden Diskurs über die ethischen Implikationen der Pflegeroboter zu führen.

Dystopische Bedenken

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tauschten in einem Workshop ihre Gedanken zur Thematik aus. Sie sprachen Szenarien an, die weit dystopischer daherkommen als der Einsatz der Roboterrobbe «Paro» bei Demenzkranken: Was, wenn Roboter in Zukunft über unser Wohlergehen entscheiden, indem sie uns ungefragt Medikamente verabreichen? Oder wenn Alte und Kranke in Zukunft in vollautomatisierten Institutionen betreut werden und menschliche Pflege ein Privileg für wenige wird?

Dass solche Szenarien bei vielen Menschen Besorgnis hervorrufen, erstaunt nicht. «Wenn die Pflege technisiert wird, geht dabei das Menschlichste verloren – nämlich die soziale Interaktion!», befürchtete eine Teilnehmerin, die seit Jahrzehnten in der Pflege tätig ist. Ausserdem gab es Bedenken betreffend der Autonomie der Patientinnen und Patienten. Eine Therapeutin, die «Paro» in ihrer täglichen Arbeit einsetzt, relativierte: «Wir schaffen Transparenz; wenn jemand nicht mit ‹Paro› arbeiten will, akzeptieren wir diese Entscheidung.»

«Neutrale Pflegemaschine»

Auch wenn die Skepsis gegenüber automatischen Pflegesystemen gross war, fanden einige der Teilnehmenden gleichwohl Pluspunkte für deren Einsatz. «Ein Roboter hat wohl keine Sympathien oder Antipathien gegenüber Patientinnen und Patienten. Deswegen ist er wahrscheinlich fairer, da er alle gleich behandelt», sagte ein älterer Teilnehmer und lächelte beim Gedanken an einen Roboter, der ihn einst pflegen könnte.

Eine Teilnehmerin, die im Medizinbereich tätig ist, fand trotz anfänglichem Misstrauen einige gute Einsatzgebiete für Pflegeroboter: «Wenn Roboter mühselige Arbeiten, wie etwa das Bereitstellen von Medikamenten, übernehmen könnten, bliebe dem Pflegepersonal vielleicht mehr Zeit für den Patienten.» So könnten die Pflegeroboter im besten Fall dazu beitragen, die Interaktion zwischen Pflegepersonal und den Patientinnen und Patienten zu verbessern.

Inputs von Expertinnen und Experten

In einem anschliessenden Podiumsgespräch mit Expertinnen und Experten standen Erfahrungen in der täglichen Arbeit mit Pflegerobotern im Mittelpunkt. Zwei Therapeutinnen, die mit «Paro» arbeiten, berichteten von ihren positiven Erfahrungen beim Einsatz der automatisierten Robbe in der Pflege betagter Menschen. Dabei stellten sie klar: «Die Robbe wird in der Therapie unterstützend eingesetzt, keinesfalls soll diese ersetzt werden».

Mit einem Blick auf Japan, wo sie zur Verbreitung von Pflegerobotern forscht, verwies auch Soziologin Sabina Misoch darauf, dass sich ein ersetzender Einsatz der Roboter – durchaus im Unterschied zum unterstützenden Einsatz – in absehbarer Zeit nicht erwarten lasse. Dafür seien die Systeme zu wenig ausgereift.

«Ethische Schulungen für Konstrukteure und Programmierer»

Trotzdem appellierte der Ethiker Jean-Daniel Strub: «Wir müssen jetzt den Fuss in die Tür halten und uns mit den ethischen Fragestellungen auseinandersetzen, die mit der Verbreitung dieser Technologien einhergehen – nicht erst dann, wenn sich der Wandel vollzogen hat und es für diese Fragen zu spät ist.»

Professor Dr. Hartmut Schulze, der über Mensch-Maschinen-Interaktionen forscht, verstand die Skepsis des Publikums. Den öffentlichen Diskurs über die ethischen Implikationen der Pflegeroboter zu führen sei ein guter Anfang. «Es sollten aber auch Personen, die diese Roboter in Zukunft konstruieren und programmieren, in ihrer Ausbildung ethisch geschult werden.»

Der Einsatz von Pflegerobotern polarisiert – das wurde an der Veranstaltung in Bern offensichtlich. Wie bei den meisten grossen Fragen des Lebens gibt es auch hier kein eindeutiges Richtig oder Falsch. Ein Diskurs über die Zukunft der technologisierten Pflege ist aber dringend nötig. Die Pflege ist ein viel zu wichtiger Bereich, als dass man daraus ein technologisches Experiment machen dürfte.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Sarah Heinzmann studierte an der Universität Luzern Philosophie, Politikwissenschaften und Volkswirtschaft. Aktuell arbeitet sie bei «Ethix - Lab for Innovation Ethics» und befasst sich mit Innovationsethik. «Ethix» war Mitorganisator des Anlasses «Roboter in der Pflege: Macht das Sinn?».

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4 Meinungen

  • am 13.07.2019 um 11:59 Uhr
    Permalink

    Es wird mit Sicherheit niemals Pflegeroboter oder autonomes Fahren in einem nennenswerten Umfang geben. Das sind Ideen, welche von der Fantasielosigkeit heutiger Entwickler, Politiker und sonstiger Prognostiker zeugen. Sie denken sich Zukunft von heute, statt von morgen her.

  • am 13.07.2019 um 16:15 Uhr
    Permalink

    Wenn ‹DIE Ethik» zum Thema in einem Sachverhalt wird, sollten sich die Teilnehmer mit Verstand zuerst darüber verständigen, was sie während der Dialoge unte ‹Ethik› verstehen wollen. Das in seiner vernetzten Fülle zu verstehen, wäre ein Anfang :
    https://de.wikipedia.org/wiki/Ethik
    Ich zumindest habe sofort verstanden, dass die Bewertung ‹menschlichen› Handelns kaum in Programmen ‹maschinellen› Handelns zu übertragen ist oder erst, wenn die sogenannte ‹harte› KI wesentlich weiter wäre.
    Richtig erkannt, dass es kein polarisierendes absolutes Richtig und Falsch in den Humanities (Geisteswissenschaften) für jede Lebenssituation und den Umständen gibt. Deshalb ist auch der beste Algorithmus, der aber immer noch in Vielfalt starr ist, dem Menschen unterlegen, so fehlerhaft das in biologischer und sozialer Evolution gewordene menschliche Gehirn auch immer ist.

  • am 15.07.2019 um 08:30 Uhr
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    Wie tief wir wohl noch sinken?

    Was ist für uns eigentlich noch ein Menschenleben Wert?

    Besitzen wir noch Achtung vor uns selber und unseren Angehörigen?

    Sind Werte nur noch monetäre Werte?

    Wie holen wir die Bewilligung für Roboterpflege ein, wenn die Alternative keine Pflege ist?

    Ethische Fragen die mir bei diesem Artikel durch den Kopf gingen. Ich finde diese Entwicklung sehr traurig. Die Entmenschlichung ist weit vortgeschritten, wenn wir ernsthaft über Roboterpflege nachdenken.

  • am 17.07.2019 um 14:04 Uhr
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    Ethische Einschätzungen sollten wissensbasiert erfolgen, nicht nur aufgrund von abstrakten Abfrageschemata. Wir können zwar vermuten, «wissen» aber offenbar noch zu wenig darüber, was mit Menschen konkret seelisch und körperlich geschieht, die von Pflegerobotern betreut werden. Bei Frühgeborenen hat sich gezeigt, dass der Sauerstoffbedarf sinkt, wenn Eltern anwesend sind und mit ihnen körperlich Kontakt haben, und das, nachdem schon viele Babys durch aseptische Isolierung suboptimal versorgt worden waren. Es ist zu prüfen, ob der Kontakt mit lebenden Menschen z.B. bei Demenzkranken deutliche Auswirkungen hat. Unter Umständen kann die Ersetzung durch Maschinen sogar den Bedarf an medizinischer Behandlung erhöhen. Das mag individuell verschieden sein, aber dem würde man nicht einfach dadurch gerecht, dass man die Einwilligung des Betreffenden zur Bedingung macht. Das alles sollte untersucht und diskutiert werden, bevor man Pflegeroboter flächendeckend und durch ethische Einhegung unterstützt einführt. Pillen in Ausgabeschalen einsortieren kann man problemlos automatisch, aber davon ist ja hier nicht die Rede. Ethik sollte auch dazu da sein, Medizin- und Pflegeeinrichtungen und Organisationen mit ihren Wissenslücken zu konfrontieren. Sonst haben wir nachher statt Arbeitsplätzen für lebende Menschen und Betreuung für zuwendungsbedürftige Menschen einfach Profite im medizinisch-industriellen Komplex. Noch ein Lesetip zum Problem: E. M. Foster’s «The Machine Stops» von 1909.

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