Deepwater_Newwsweek

So berichtete Newsweek 2010 über das Abfackeln von abgedriftetem Öl im Golf von Mexiko. © Newsweek

Spätfolgen 9 Jahre nach der BP-Ölkatastrophe im Golf von Mexiko

Christa Dettwiler /  Die toxische Mischung von Erdöl und Lösungsmitteln hat Tausende in der Golfregion krank gemacht. Bei uns hört man kaum etwas davon.

Scott Porter ist Meeresbiologe und Tiefseetaucher. Er hat viel Zeit unter Wasser verbracht. Von den mehr als 6’000 Tauchgängen in über zwanzig Jahren ist ihm einer besonders in Erinnerung geblieben. Gegenüber dem US-Nachrichtenmagazin Newsweek sagte er: «Es fühlte sich an, als ob ich in einem Fass voll industrieller Lösungsmittel marinierte.» Die Folgen: juckender Hautausschlag und brennende Lungenflügel. Nach jedem weiteren Tauchgang traten neue Symptome auf: Erkältungen, entzündeter Hals, Migräne, Lethargie und Übelkeit. Scott Porter war 40 Meilen nördlich der Ölplattform Deepwater Horizon getaucht, die sechs Wochen zuvor explodiert war. Der Taucher ist mit seinen Symptomen nicht allein. Viele Bewohnerinnen und Bewohner der Golfregion leiden an Migräne, Hautausschlägen, blutigem Durchfall, Depressionen oder Ohnmachtsanfällen.

Die schlimmste Ölverschmutzung der Geschichte

Die Explosion der Bohrplattform am 20. April 2010 hatte die schlimmste Ölpest in der Geschichte verursacht. Rund 700 Millionen Liter Erdöl flossen ins Meer, und die Behörden bekämpften das Öl mit 6,8 Millionen Liter Corexit, einem Dispergator. Neu veröffentlichte Dokumente zeigen, dass sich Wissenschaftler der Regierung schon damals über die Gesundheitsfolgen dieses Vorgehens Gedanken machten. Heute liegen beweiskräftige Daten vor, dass die toxische Mischung aus Chemikalien und Erdöl Tausende Menschen krank gemacht haben. Darunter viele der 47’000, die an der Reinigungsaktion von BP beteiligt waren.

«Es gibt eine ganze Anzahl von sehr kranken Patientinnen und Patienten, die zweifellos für den Rest ihres Lebens an den Folgen der Chemikalien leiden werden, denen sie während der Deepwater-Horizon-Tragödie ausgesetzt waren», sagt Michael Robichaux, ein Ex-Senator und Hals-Nasen-Ohren-Spezialist in Louisiana. Viele Frauen hätten keine oder irreguläre Monatszyklen. Selbst Kinder litten an Anfällen, Schwindel und verschiedensten neurologischen Problemen.

Porter sollte nicht erfahren, welchen Substanzen er ausgesetzt war

Obwohl Scott Porter alle erdenklichen Fachleute löcherte, erhielt er keine befriedigende Antwort darauf, welchen Substanzen er ausgesetzt gewesen war. Es hiess einzig, die eingesetzten Chemikalien seien ungefährlich. Erstaunlich deshalb, dass die Nationale Ozean- und Atmosphärenbehörde (NOAA) ihren Tauchern verbot, im kontaminierten Wasser zu tauchen.

Porters Symptome haben sich über die Jahre verschlimmert und sie gleichen jenen, die Arbeiter und Anwohnerinnen der Golfregion nach dem Exxon-Valdez-Unglück befielen. Etliche Studien listeten Hirnschäden durch Neurotoxine im Öl auf, Unfruchtbarkeit, Herzschädigungen, vorzeitiges Altern, Abnahme der kognitiven Funktionen, Depressionen und Nervenschäden. Laut Michael Harbut, Professor für Arbeitsmedizin an der Michigan State Universität, haben organische Lösungsmittel dieselben Auswirkungen wie eine Bleivergiftung. Harbut trat als Berater der Kläger gegen den Erdölkonzern BP auf.

Zehntausende warten auf eine angemessene Entschädigung

Schon zu Beginn der Säuberungsarbeiten im Mai 2010 hatten sich Wissenschaftler der Regierung besorgt über das toxische Gebräu von Lösungsmitteln und Erdöl geäussert. Das zeigen Dokumente, die erst kürzlich freigegeben wurden. Obwohl BP schon 2012 in einer Sammelklage zur Zahlung von 7,8 Milliarden Dollar verurteilt wurde, haben die meisten der 37’500 Kläger bisher nur einen Bruchteil des Geldes erhalten. Die Betroffenen müssen beweisen, dass ihre Krankheiten auf Folgen der Ölkatastrophe zurückzuführen sind. «Die Menschen bleiben krank und bei einigen verschlimmert sich ihr Gesundheitszustand», sagt Shanna Devine, eine Ermittlerin des Government Accountability Project, einer Non-Profit-Organisation, die Whistleblower schützt und unterstützt. «Ich habe Dutzende von Gesprächen geführt. Die Krebserkrankungen haben seit der Ölpest dramatisch zugenommen. Der andauernde Rechtsstreit hat schlimme Folgen: Die Leute können ihre Hypotheken nicht mehr zahlen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind verheerend.»

Sowohl die Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) wie auch BP behaupten, Corexit sei so unschädlich wie ein Geschirrspülmittel. Das Sicherheitshandbuch des Corexit-Herstellers Nalco beschreibt die Gesundheitsauswirkungen der Chemikalie jedoch wie folgt: chemische Lungenentzündung, Augenschädigungen, Dermatitis, Übelkeit und innere Blutungen. Die EPA hat mittlerweile striktere Regeln für solche Chemikalien erlassen.

Fazit: Bald zehn Jahre nach der Deepwater-Horizon-Katastrophe beschäftigen sich Gesundheitsfachleute noch immer mit den Auswirkungen. Das Nationale Institut für Umweltstudien überwacht in einer 10jährigen Studie den Gesundheitszustand von 33’000 Menschen, die dem Öl und den Lösungsmitteln ausgesetzt waren. Zwischenresultate zeigen erhöhte Raten von Atemwegserkrankungen, Hautschädigungen und Depressionen. Es könnte noch Jahre dauern, bevor klar wird, welche Langzeitfolgen die Ölkatastrophe wirklich hat.


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Eine Meinung zu

  • am 26.06.2019 um 11:09 Uhr
    Permalink

    Und jetzt ?
    Weltweit werden massenweise Menschen schwer geschädlgt durch die Förderung fossiler Energien. Beim US-Fracking auf den relativ trockenen Gebieten mit den feinen scharfkantigen Sandkörnern in Massen, treten massenweise Staublungen auf, nicht nur bei den Arbeitern sondern noch viel mehr bei den Bewohnern. Die problematischen Chemikalien sind nicht nur in bedauerlichen Einzelfällen im Grundwasser nachgewiesen. Ca. 15% des geförderten Methans gelangt direkt in die Luft. Die Förderkosten sind so einigermassen wirtschaftlich gemacht auf Kosten der Kapitalschwachen.
    Verflüssigtes Erdgas (LNG) nach Europa transportiert, verursacht aähnlich viel Schäden an der Mitwelt wie Braunkohle mit Quechsilber und Arsen im Abgas.
    https://www.bund-nrw.de/themen/braunkohle/hintergruende-und-publikationen/braunkohlenkraftwerke/dreckschleuder-braunkohlekraftwerk/
    https://www.umweltbundesamt.de/arsen-im-feinstaub
    Billiger Strom steigert haiptsächlich die Eigenkapitalrendite der grossen Stromverbraucher, ist aber für deren Existenz nicht nötig.

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