Zahl gefälschter Online-Bewertungen nimmt zu
Konsumentenorganisationen warnen immer wieder davor, Online-Bewertungen für bare Münze zu nehmen. Exzellente Ferienwohnungen, fantastische Elektronik und begeisternde Restaurants sind zu oft ein Produkt der Fantasie.
Wie oft, beweist ein Fall, den eine britische Verbraucherorganisation kürzlich aufgedeckt hat. «Which?» fand bei Tech-Produkten völlig unbekannter Marken auf der Verkaufs-Plattform Amazon hunderte 5-Sterne-Bewertungen, die binnen kurzer Zeit abgebeben worden waren. Für einen der geprüften Kopfhörer waren mehr als vier Fünftel der Bewertungen falsch. Die Organisation führt selbst Tests durch und empfiehlt Produkte. Andere Organisationen kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
Fake-Profile waren gestern
Ein Teil der Jubelbewertungen stammte von nicht verifizierten Kunden, also solchen, die das Produkt gar nicht gekauft hatten. Plattformen können solche Bewertungen finden und löschen. Aber selbst dann, wenn es sich tatsächlich um einen Käufer handelt, ist Vorsicht geboten. «Trau keiner Online-Bewertung», warnt etwa Iain Taylor aus Sussex, der Online-Bewertungen schreibt, um sich etwas dazuzuverdienen. Produkte jedweder Produktkategorie überschwänglich zu loben, ist für ihn Routine. «Jeder macht das», sagte er zur «BBC».
Für eine Bewertung bekommen Clickworker wie Taylor zwischen einigen Cent und mehreren Dollar, Euro oder Pfund. Ihre Aufträge finden sie auf Online-Marktplätzen oder in Facebook-Gruppen. Das bewertete Produkt haben sie meist nicht länger als ein paar Minuten angeschaut. Das reicht, um die Verpackung zu öffnen, ein Foto zu machen und ein begeistertes Feedback abzugeben. Der Auftraggeber erstattet in der Regel den Kaufpreis, die PayPal-Gebühren bezahlt der Rezensent selbst. Wenn er Glück hat, kann er das Produkt auf einem Online-Marktplatz weiterverkaufen und erzielt damit ein zusätzliches Einkommen. Oder er schickt es einfach zurück.
Der neueste Trick: Identitätsdiebstahl
«Which?» beobachtete in den vergangenen zwei Jahren eine starke Zunahme von falschen Bewertungen. Grosse Plattformen wie Amazon geben sich nach eigenen Angaben zwar Mühe, die Flut an falschen Bewertungen einzudämmen, sind aber oft machtlos. Einem Kunden, der nachweisbar existiert und ein Produkt auch erworben hat, ist es quasi unmöglich nachzuweisen, dass die Bewertung gekauft ist.
Der neueste Trick der Auftraggeber sind Bestellungen, die ungefragt bei Kunden ankommen, die tatsächlich ein Konto bei einer grossen Plattform wie Amazon haben, aber nichts bestellt haben. Mit einer falschen Identität unter dem Namen des Kunden wird dann eine Bewertung abgegeben. Für die Betroffenen kann das sehr ärgerlich werden. Bei einigen trafen täglich mehrere Lieferungen ein. Woher die Händler seine Daten hatten, sei unklar, sagte beispielsweise der britische Architekt Paul Bailey. Amazon habe diese nach eigenen Angaben nicht weitergegeben.
Noch einfacher läuft das Geschäft bei Hotels und Restaurants. Der Druck, online gut dazustehen, sei hoch, sagte die Angestellte eines Pubs in Nottingham der «BBC». Ihr Chef dringe darauf, die Gäste dazu zu bewegen, gleich nach dem Essen eine Bewertung abzugeben. Gelegentlich schreibt sie selbst positive Bewertungen, um als Angestellte besser dazustehen. Ein paar falsche Kommentare fielen neben den echten nicht weiter auf, meinte sie.
Ein Top-Restaurant, das es nie gab
Das freilich ist noch harmlos. Etwa ein Drittel aller Bewertungen auf TripAdvisor, fand die «Sunday Times» im September 2018 nach Prüfung von zehntausenden Einträgen, seien fake. Angebliche Gäste loben Zimmer, die sie nie betreten und Menüs, die sie nie gegessen haben.
Wie weit das gehen kann, bewies Oobah Butler, Reporter bei «Vice», der vor zwei Jahren ein Gartenrestaurant «eröffnete», das es gar nicht gab und damit das Bewertungssystem vorführte. Binnen kurzem stieg die Location zum Top-Tipp in London auf. Die einzige Bewertung, die von TripAdvisor gelöscht worden sei, sei eine 1-Stern-Bewertung gewesen, die vermutlich von einem Konkurrenten stammte, berichtete er.
Auch negative Bewertungen sind käuflich. Wenn jemand der Konkurrenz die Suppe so richtig versalzen möchte, genügt dazu die Investition von einigen hundert Dollar, je nach Anzahl der Reviews. Genauso wie falsch-positive Bewertungen ist das fast überall auf der Welt illegal, überführt wird jedoch selten jemand.
Am meisten leiden die kleinen Anbieter
Am meisten leiden darunter die kleinen Anbieter. Habe man keine Bewertungen, dächten die Leute, man habe etwas zu verbergen, seien auch nur wenige negativ, sei das schlecht fürs Geschäft, seien zu viele positiv, glaubten sie, das Feedback wäre gekauft, sagt die Marketingchefin eines kleinen Unternehmens in Yorkshire, das Heizkörper verkauft. Wie das aussehen kann, sieht sie bei der Konkurrenz: In einem Nischenmarkt wie massgefertigten Radiatoren binnen eines Monats 200 Bewertungen zu erhalten, sei praktisch unmöglich. Das Unternehmen hat sich daher entschieden, auf Bewertungen komplett zu verzichten. «Man kann nicht gewinnen», sagt sie frustriert. Der Fehler stecke im System.
Bestellen aus Bequemlichkeit
All das ist grösstenteils bekannt. Warum verlassen sich dann noch immer so viele auf die Bewertungsspalten? Aus Faulheit, sagt Natalie Nahai, Autorin des Buches «The Psychology of Online Persuasion». Onlinebewertungen funktionierten, weil Menschen gerne den bequemen Weg gingen. Neben dem einfachen Kaufvorgang könnten Konsumenten damit auch die Entscheidungsfindung outsourcen.
Konsumentenorganisationen empfehlen schon lange, auf Bewertungen unabhängiger Organisationen oder Medien wie der deutschen «Stiftung Warentest», «KTipp», der Stiftung für Konsumentenschutz, Kassensturz oder ähnlichen zurückzugreifen und sich auf zertifizierte Online-Händler zu verlassen. Speziell bei kleinen Einkäufen ist die Bequemlichkeit aber oft stärker.
Warum «Fast-Spitze» manchmal besser ankommt
Einen Rest an Kritikfähigkeit haben sich die meisten Konsumenten aber wohl bewahrt. Top-Bewertungen, verrät Nahai, seien manchmal gar nicht so erfolgreich: «Wir tendieren dazu, perfekten Bewertungen zu misstrauen, weil sie zu gut aussehen, um wahr zu sein», hat sie herausgefunden. Besser liefen diejenigen, die einem Produkt nur fast die Spitzennote gaben. Wichtig sei auch, in welcher Reihenfolge Bewertungen zu sehen seien. Stehen die guten Bewertungen in der Liste ganz oben, habe das grösseren Einfluss. Die Händler wissen das vermutlich auch.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Schauen die Leute wirklich so oft auf die Bewertungen? Wenn ich über einen Anbieter etwas wissen will, dann suche ich Text-Bewertungen, nicht so olle kleine Sternchen, die mir gar nichts über den Anbieter oder das Produkt sagen.
Aber geschriebene Kritiken, Erfahrungen etc., das bringt schon weit mehr.
Liebe Frau Gschweng, so ganz viel neues Wissen kann ich ihrem Artikel nicht abgewinnen, denn eigentlich ist das Tagesthema unter allen Konsumenten. Auch auf die Erkenntnisse von Nathalie Nahai kommen die meisten von selbst, ohne dass sie dazu wissenschaftlich arbeiten müssen.
Ich reise relativ viel und benutze Plattformen trotzdem, nur um mich mal umzusehen, was er vor Ort so gibt. Schon ohne die Faker sagen diese Plattformen nichts aus. So sind zum Beispiel bei den Restaurants, die meisten veganen/vegetarischen Restaurant masslos überbewertet, einfach weil solche Besucher schon glücklich sind, wenn sie überhaupt etwas Futter finden. Hingegen sind hochwertige Restaurants oft schlecht bewertet, da sie relativ teuer sind und damit für viele Leute beim Preis-/Leistungsverhältnis durchfallen….nebstdem vielen der gute Geschmack und kulinarisches Wissen eh fehlt (Generation Fastfood).
Und von wegen unabhängigen Organisationen, so nennen wir mal dem Kassensturz, der Produkte oft sehr seltsam unter die Lupe nimmt, am seltsamsten sind da oft die sogenannten Experten, vor allem im kulinarischen Bereich, aber auch die Auswahl der Kriterien die verwendet werden, sind oft irreführend und ergeben verzerrte Resultate.
Ich mute vielen Leuten einen klaren Verstand und auch ein eigenes Urteilsvermögen zu…..und dass ihnen die Zeit zu schade ist, ihr Leben mit irgendwelchen online gestellten Blabla zu vergeuden (was leider für ihren Beitrag auch einwenig zutrifft).