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Das heutige Steuersystem ist aufwändig und mit allen Abzügen und Vermeidungstaktiken undurchsichtig © springer

Radikale Volksinitiative: Konsum und Arbeit weniger besteuern

Urs P. Gasche /  Der Initiativtext steht: Eine Mikrosteuer auf Finanzflüssen soll als Erstes die unsoziale und komplizierte Mehrwertsteuer ersetzen.

Der Initiativtext ist in drei Landessprachen endgültig bereinigt (siehe ganz unten). Hinter der Initiative stehen keine grossen und finanzstarken Lobbys, sondern vier Akademiker, die sich seit einigen Jahren mit einer einfach und automatisch zu erfassenden Steuer auf dem ganzen bargeldlosen Zahlungsverkehr beschäftigen. Im Unterschied zu dieser Mikrosteuer erfasst die seit längerem diskutierte Kapitaltransaktionssteuer oder «Tobin-Tax» lediglich die Börsengeschäfte.
Obwohl der vorgeschlagene Steuersatz im Bereich von kaum bemerkbaren Promillen liegt, sind die Einnahmen nach einer schrittweisen Einführung gross genug, um zuerst die Mehrwertsteuer und dann auch die Stempelsteuer und die Bundessteuer komplett abzuschaffen.
Ein Mikrosteuersatz von 0,3 Promille oder 0,03 Prozent auf jeder elektronischen Belastung und jeder Gutschrift bringt nach sorgfältigen Berechnungen der Initianten einen Ertrag von 60 Milliarden Franken. Damit sind die 23 Milliarden der Mehrwertsteuer, die 22 Milliarden der Bundessteuer und die 2 Milliarden der Stempelsteuer zu ersetzen. Überschüsse der Mikrosteuer würden an die Kantone und Gemeinden gehen.
Zur Kasse gebeten werden in erster Linie Spekulationsgeschäfte mit Aktien, Wertschriftenderivaten und Devisen in astronomischer Höhe, die statt der Realwirtschaft zu dienen vor allem Risiken für das gesamte Finanzsystem verursachen. Bei den Konsumenten werden Transaktionen mit Kreditkarte, einer Postcard oder Zahlungen auf ein Bank- oder Versicherungskonto erfasst.

Angaben der Initianten

2012 belief sich der Zahlungsverkehr allein schon innerhalb des Swiss Interbank Clearing SIC auf insgesamt 95’000 Milliarden Franken, inklusive der Giroüberträge auf Konten, welche Finanzinstitute bei der Schweizerischen Nationalbank unterhalten … Hinzu kommen ein hiesiger Devisenhandel von über 50’000 Milliarden Franken (BIZ-Statistik 2013) sowie sämtliche Transaktionen, welche die Finanzinstitute inhouse und über Korrespondenzbanken abwickeln. Eine offizielle Statistik liegt für diese Bereiche nicht vor. Das Volumen dürfte hier in der Grössenordnung von 35‘000 Milliarden Franken liegen.

«Erhebliche Entlastung für Unternehmen und Haushalte»

Die Überlegung der Initianten: Anstatt wie heute Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger direkt und indirekt mit insgesamt 30 Prozent Steuern und Abgaben zu belasten, würde bei einem Zahlungsverkehr von 100’000 Milliarden Franken rund 1 Promille Mikrosteuer pro Belastung und pro Gutschrift sogar genügen, um nicht nur den Finanzbedarf des Bundes, sondern auch denjenigen der Kantone und Gemeinden sowie der öffentlichen Sozialversicherungen abzudecken. Dieser gesamte Bedarf erreicht aktuell 230 Milliarden Franken.

«Mit der Mikrosteuer leistet auch die Finanzwirtschaft automatisch einen Steuerbeitrag, was Unternehmen und private Haushalte erheblich entlastet», erklärt der Zürcher Vermögensverwalter Felix Bolliger auf der Webseite der Initiative. Neben Bolliger sind Marc Chesney, Finanzprofessor an der Universität Zürich, Anton Gunzinger, Professor an der ETH sowie Oswald Sigg, ehemaliger Bundesratssprecher und Vizekanzler der Eidgenossenschaft, im Vorstand des Vereins Mikrosteuer, der spätestens in einem Jahr mit dem Sammeln von Unterschriften beginnen will. Noch fehlen dem Verein die Finanzen dazu.

Spendenaufruf: «Ja zu weniger Steuern»

Der «Verein Mikrosteuer», hinter dem keine finanzkräftigen Lobbys stehen, will die Sammlung der Unterschriften und das Lancieren der Initiative mit Spenden finanzieren und hat dazu ein Online-Spendentool eingerichtet.

Vorteile gegenüber der Mehrwertsteuer

Einige Vorteile der Mikrosteuer im Vergleich zur Mehrwertsteuer liegen auf der Hand:

  • Die Mikrosteuer ist einfach zu verstehen. In einer Demokratie sollte es nur transparente Steuern geben, deren Funktionieren alle verstehen.
  • Die Mikrosteuer ist einfach, automatisiert pro Gutschrift und Belastung zu erheben, weil der elektronische Zahlungsverkehr bereits vollständig erfasst ist. Die ganze Bürokratie mit der mehrstufigen Mehrwertsteuer fällt weg. Unternehmen erhalten in der Schweiz einen finanziellen und administrativen Standortvorteil. Für Start-up Unternehmen wäre die Mikrosteuer ein Befreiungsschlag.
  • Die Mikrosteuer macht transparent, wie gross die Finanzströme und damit die Risiken sind. Transparenz ist erforderlich, weil wir im Krisenfall mit unseren Steuergeldern für das Finanzsystem haften.
  • Die weit verbreitete Steuerhinterziehung und die Steuerumgehungen sind nur noch sehr beschränkt möglich. Mit Steueroptimierungen in Form von Trusts und Gewinnverschiebungen wäre es weitgehend vorbei.
  • Teure, für die Realwirtschaft unproduktive Steueranwälte würden arbeitslos.
  • Die Mikrosteuer ist ideologiefrei und sozialer.
  • Die Mikrosteuer ist nicht «inquisitorisch», weil sie automatisiert elektronisch erfasst wird.

Ein Plädoyer des Mitinitiators Felix Bolligers für eine Mikrosteuer mit Zahlen und Fakten ist hier nachzulesen.

Abwanderung ins Ausland

Auf den zu erwartenden Einwand, die Schweiz könne eine solche radikale Steuerreform nicht im Alleingang einführen, räumen die Initianten zwar ein, dass der hochspekulative Mikrosekundenhandel an der Börse ins Ausland abwandern könnte. Doch auf dieses «Finanzcasino» könne die Schweiz ohne weitere Nachteile verzichten, meint Finanzprofessor Chesney. Eine Debatte über die Mikrosteuer in der Schweiz würde dem Ausland vor Augen führen, welche enorme, bis anhin unentdeckte Steuerquelle «schmerzlos» angezapft werden kann: «Mit der Einführung der automatischen Mikrosteuer kann die Schweiz eine Vorreiterrolle übernehmen.»

Ein einfaches und transparentes Steuersystem ist ein urliberales Anliegen. In Frankreich könnten sich heute auch die Gelbwesten und in Deutschland Grüne oder Linke für eine Mikrosteuer einsetzen. In beiden Ländern würde nach Berechnungen des Finanzprofessors ein bescheidener Steuersatz von 0,25 Prozent «mehr als genügen, um die Einnahmen sämtlicher heutigen Steuern in diesen Ländern zu übertreffen». Dies unter der konservativen Annahme, dass die Summe des jährlichen Zahlungsverkehrs in Deutschland und in Frankreich «nur» 100-mal so gross ist wie das jeweilige Bruttoinlandprodukt und nicht 150-mal wie in der Schweiz.


Vollständiger Verfassungsartikel mit Übergangsbestimmungen hier.

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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9 Meinungen

  • am 23.04.2019 um 13:19 Uhr
    Permalink

    Kann man nur unterstützen. Verbreiten wir die Idee möglichst weiter im Bekanntenkreis.

  • am 23.04.2019 um 13:43 Uhr
    Permalink

    Die Mikro-Steuer ist für mich eine der wichtigsten Gesetz-geberischen Schritte, welche die Demokratie in der Schweiz stärkt.
    – Die aktuell viel zu komplexen Steuer-Vorschriften bei der MWST,
    – Die Finanzwirtschaft trägt ihren Steuer-Beitrag endlich vollwertig bei, was Unternehmen und private Haushalte erheblich entlastet.
    – Der Steuer-Betrug hat damit weitestgehend ausgedient.
    – Der Bedarf nach der ‹Kuhhandel›-Vorlage vom MAI19 in der aktuellen Ausprägung entfällt.

    Ich trete seit Jahren für eine Mikro-Steuer ein + unterstütze die aufkommende Initiative Vorbehalt-los.

  • am 23.04.2019 um 13:52 Uhr
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    Ich hab noch eine viel bessere Idee: Machen wir die Transaktionssteuer doch 3 mal höher, sagen wir 3 Promille statt dem von Bolliger vorgeschlagenen 1 Promille. Dann verdienen wir gemäss der Milchbüchleinrechnung etwa 700 Mrd/Jahr und damit mehr als das gesamte BIP, sprich wir liegen auf der faulen Haut und müssen gar nichts mehr tun. Aber vielleicht würde dann ja auch dem Letzten noch klar, dass die prophezeiten riesigen Einnahmen notwendigerweise Wunschdenken bleiben: Natürlich würde das Transaktionsvolumen schon bei kleinen Steuern DRAMATISCH abnehmen, ergo VIEL weniger Steueraufkommen (und abwandern von Arbeit ins Ausland, das mögen einige Begrüssen, einige andere gar nicht).
    Fazit: Eine Transaktionssteuer mag im Sinne von Transparenz vielleicht wünschenswert sein; so zu tun, als könnte man damit locker alle heutigen Steuern decken ist unwissenschaftlich, populistisch reisserisch. Schade, wäre schön wenn Infosperber auch bei gutgemeinten, links angehauchten Anliegen beim Berichten etwas kritischer wäre.

  • am 23.04.2019 um 15:32 Uhr
    Permalink

    Eine absolut einleuchtende und faire Initiative! Es wäre zu überlegen, ob darüber nicht auch das Gesundheitswesen finanzierbar wäre. Wissend, dass das Gesundheitswesen von grundauf neu aufgestellt werden müsste, ansonsten die Mikrosteuer ein sehr bequemer und nie versiegender Finanztropf für die Gesundheitsindustrie wäre.

  • am 23.04.2019 um 20:34 Uhr
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    Die Mikrosteuer finde ich eine grossartige Sache, vor allem, weil sie niemandem weh tut und quasi vollautomatisch erhoben wird. Natürlich werden Reiche und Finanzakrobaten weiterhin mit Geld Gewinne machen, aber nicht ganz gratis wie bis anhin. Die Schweiz würde damit – was die Steuerbelastung anbelangt – ein klitzekleines bisschen gerechter. Es wird weiterhin so bleiben, dass man mit Geld mehr Geld verdienen kann als mit Arbeit.
    Und vielleicht werden wir (die Arbeitenden) ja – wenn man das weiterdenkt – überhaupt keine Steuern mehr bezahlen müssen – oder können.

  • am 23.04.2019 um 21:46 Uhr
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    Das ist so eine unglaublich kluge Initiative…aber das Volch hat nicht einmal die Vollgeld-Initiative verstanden, wie wollt Ihr sie diesmal überzeugen?

  • am 23.04.2019 um 23:19 Uhr
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    Tja, diese Herrschaften scheinen im letzten Jahrhundert stehengeblieben zu sein. Natürlich würde es eine Reaktion geben. Wir leben heute im Internetzeitalter. Wir leben sogar im angehenden Zeitalter der Kryptowährungen. Sehr viele Transaktionen würden ganz schnell das helvetische Territorium verlassen. Würde man das verhindern wollen, würde man auf Kryptowährungen ausweichen. Das kommt so oder so. Deshalb haben auch Stempelsteuern und sonstige Transaktionssteuern überhaupt keine lange Zukunft vor sich.

    Bei den Online Casinos geschieht dies gerade. Kryptowährungen erobern die Welt der Spielbanken im Eilzugstempo (dicesites). Das können Gesetze kaum noch aufhalten. Die Geldfunktion wird nur noch über Information abgebildet. Es gibt keine speziellen Finanzkanäle mehr. Bitcoins könnte man über 15 Smileys (nicht vertraulich zu behandeln) übertragen – über Chat, über Funkwellen oder Morsesignale, Rauchzeichen, Lichtsignale, über Satellit… Einfach nicht aufzuhalten, nicht zu kontrollieren, nicht durchzusetzen.

  • billo
    am 26.04.2019 um 15:52 Uhr
    Permalink

    An sich bestechende Idee, aber sie kommt vermutlich um Jahrzehnte zu spät und würde nur die Finanzströme der «Braven» erfassen, die nicht auf geografische oder technische Alternativen ausweichen wollen oder können.
    Jedes Steuersystem, das beim Geld in irgendeiner Form ansetzt, rennt einem Phantom hinterher. Geld ist ja nur der Ausdruck von etwas Realem, das dahinter steht. Im Kern wäre es klüger, effizienter, gerechter und kaum zu umgehen, wenn dieses Reale besteuert würde, nämlich der Verbrauch an Welt.
    http://www.com-parte.net

  • am 27.04.2019 um 13:33 Uhr
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    Schade dass es hier keine Zustimmungsfunktion ("likes") gibt. Den meisten Kommentaren hier kann ich bedingungslos zustimmen.

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