Warum die Klimapolitik nicht hält, was sie verspricht
Geht es darum, die Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Fordern und Handeln zu beschreiben, gibt es kaum ein dankbareres Thema als den Klimawandel:
– Hier Zehntausende von Schülerinnen, die für «Null CO2 ab 2030» demonstrieren. Dort die Mehrheit der abstimmenden Erwachsenen in den Kantonen Bern und Solothurn, die ihr kantonales Energiegesetz bachab schickten; diese Gesetze strebten eine sanfte Reduktion des fossilen Energieeinsatzes in Gebäuden an.
– Hier die nationale «Gletscher-Initiative» und das internationale Wissenschaftsgremium IPCC, die spätestens 2050 den Ausstieg aus der fossilen Energie verlangen, um den Klimavertrag von Paris umzusetzen. Dort die Internationale Energieagentur (IEA), die in ihrem jüngsten Weltenergie-Ausblick bis 2040 einen weiteren Anstieg des Ausstosses von CO2 (Kohlendioxid) um 10 bis 30 Prozent prognostiziert.
Zuweilen vereint sich der Widerspruch in einer Person: Als Umweltministerin kämpfte Bundesrätin Doris Leuthard für das Pariser Klimaabkommen, als Verkehrsministerin plädierte sie in einem ganzseitigen NZZ-Artikel kurz vor ihrem Rücktritt für zusätzliche Flugplatzkapazitäten, damit der ölabhängige Flugverkehr in der Schweiz jährlich um drei Prozent weiter wachsen kann. In den nächsten Jahren werden wir beobachten, wie akrobatisch Leuthards Nachfolgerin, SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga, den Spagat zwischen Klimaschutz und Verkehrsförderung auf dem politischen Parkett vorturnen wird.
Klimaziele – einst und jetzt: je später, desto steiler
Dass klimapolitische Ziele und Wirklichkeit auseinander klaffen, ist nicht neu. Das dokumentiert die folgende Grafik:
Schere zwischen CO2-Ausstoss und Klimazielen geht auf
Die Grafik zeigt die Aufwärtsentwicklung der weltweiten Emissionen von Kohlendioxid (CO2) aus fossiler Energie bis 2018 sowie die CO2-Szenarien der internationalen Energieagentur (IEA) bis 2040 im Vergleich mit den absinkenden Klimazielen, alles indexiert: 1990 = 100.Grafik vergrössern
Quellen: IEA, IPCC, eigene Berechnungen Guggenbühl/ Grafik: Ostschweizer Kulturzeitschrift Saiten
o 1988 an der ersten Weltklimakonferenz in Toronto setzten die dort versammelten Wissenschaftler das Ziel, den CO2-Ausstoss schon bis 2005 um 20 Prozent und bis 2050 um 50 Prozent unter den Stand von 1990 zu senken (Grafik, Kurve 1).
o Das ebenfalls 1988 gegründete Wissenschaftsgremium IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) erarbeitete in den folgenden Jahren unzählige Studien, um den Zusammenhang von CO2, Treibhauseffekt und Klimawandel zu belegen. Auf dieser Wissensbasis beschlossen die Regierungen, nach zahlreichen früheren Klimakonferenzen, 2010 in Cancun und 2015 in Paris: Die globale Klimaerwärmung sei zu begrenzen, auf «maximal 2 Grad Celsius» (Cancun) respektive auf «weniger als 2 Grad, möglichst 1,5 Grad» (Paris).
o Um diese Ziele zu erreichen, bleibt der Menschheit heute noch ein Emissionsbudget von 400 Milliarden (1,5-Grad-Ziel) bis 1100 Milliarden Tonnen CO2 (2-Grad-Ziel). Zu diesem Ergebnis kommen die jüngsten, 2018 veröffentlichten IPCC-Berichte; diese Zahlen können je nach Annahmen Abweichungen nach oben oder unten enthalten.
o Bei einem stabil bleibenden CO2-Ausstoss von weltweit rund 42 Mrd. Tonnen pro Jahr (Stand 2018), davon 37 Mrd. Tonnen aus fossiler Energie plus industriellen Prozessen, dauert es noch 10 bis 25 Jahre, bis die Menschheit ihr verbleibendes CO2-Budget aufgebraucht hätte. Auf diesen groben Zahlen basiert die globale Forderung, der CO2-Ausstoss und damit der Verbrauch von fossiler Energie seien bis 2050 auf null zu senken. Diesen Anspruch will auch die «Gletscher-Initiative» in der Schweiz umsetzen. Den dazu notwendigen Absenkpfad markiert in unserer Grafik die Kurve 2).
Aus den vielen Zahlen resultiert eine einfache Folgerung: Je später die Menschheit beginnt, den Ausstoss von CO2 und weiteren Treibhausgasen zu senken, um die Klimaerwärmung auf weniger als 2 Grad zu begrenzen, desto steiler wird der Absenkpfad und desto radikaler der Abschied von der fossilen Energie.
Klimaziele im Konflikt mit wachsendem Energiekonsum
Die klimapolitischen Absichten sind gut und bewegen, wie die aktuellen Demonstrationen illustrieren, die breite Öffentlichkeit. Doch sie stehen im Konflikt mit der realen Entwicklung sowie den Prognosen der Energiewirtschaft:
Von 1990 bis 2018 stiegen der fossile Energieverbrauch (Summe aus Kohle, Erdöl und Erdgas) sowie der energiebedingte CO2-Ausstoss weltweit um nahezu 70 Prozent; das zeigt die schwarze Linie 3) in der Grafik. Dieser Zuwachs entspricht ziemlich genau der Prognose, welche die Internationale Energieagentur (IEA) schon 1992 erstellt hatte.
Auch im Zeitraum bis 2040 würden der globale Energieverbrauch und CO2-Ausstoss weiter wachsen, rechnet die IEA in ihrem neusten Weltenergie-Ausblick vom November 2018. Dabei unterscheidet sie zwischen zwei Szenarien: Das Szenario «Weiter wie bisher» (Grafik, Kurve 4) basiert auf den bisher beschlossenen energiepolitischen Massnahmen. Demnach steigt der CO2-Ausstoss aus Kohle, Erdöl und Erdgas bis 2040 um weitere 30 Prozent. Das Szenario «Neue Politik» setzt auf zusätzliche klimapolitische Massnahmen, welche viele Staaten angekündigt, aber noch nicht gesetzlich verankert haben. In diesem optimistischeren Szenario wird der energiebedingte CO2-Ausstoss ebenfalls weiter zunehmen, bis 2040 noch um zehn Prozent (Grafik, Kurve 5).
Zuviel Öl, Gas und Kohle im Boden
Die Schere, die sich zwischen den verschiedenen Linien in unserer Grafik öffnet, markiert den Konflikt zwischen dem wachsenden Energiehunger von Wirtschaft und Bevölkerung, dem weiteren Expansionsinteresse der Energielobby und dem Kampf gegen den von der Menschheit verursachten Klimawandel. Damit fragt sich: Weshalb liess und lässt sich der globale CO2-Ausstoss nicht senken, warum bleibt das Engagement gegen den Klimawandel wirkungslos? Dafür gibt es – mindestens – vier Gründe:
Erstens sind die Reserven an fossiler Energie, die heute noch im Boden stecken, viel grösser, als die Menge an CO2, die das Treibhaus Erde verkraften kann, ohne das Klima aufzuheizen. Zudem ist dieses Angebot leicht verfügbar und für Energiehungrige attraktiv. Das lässt sich am Erdöl als dem meist konsumierten Energieträger illustrieren: Erdöl ist flüssig, hat eine viel höhere Energiedichte als etwa Sonnen- oder Windenergie und lässt sich – im Unterschied etwa zu Elektrizität – problemlos transportieren, lagern und einsetzen. Neue Fördertechniken wie etwa das «Fracking» überwanden die bis 2008 bestehende Angst – oder Hoffnung –, die Ölförderung habe den Höhepunkt (Peak Oil) erreicht und werde damit bald knapp und sehr teuer. Seit 2008 hat sich der Ölpreis wieder halbiert. Beim Erdgas und besonders bei der Kohle können die grossen Reserven und Förderkapazitäten die Nachfrage ebenfalls noch jahrzehntelang problemlos decken – und damit das Klima zusätzlich erwärmen.
Markt durchkreuzt politische Ziele
Die globale und nationale Umwelt- und Klimapolitik verfolgt das Ziel, den Einsatz von fossiler Energie zu senken, sei es mittels Steigerung der Energieeffizienz, sei es mit dem Umstieg auf erneuerbare Energie. Doch die Mechanismen des Marktes, und das ist der zweite Grund, durchkreuzen diese Politik. Das liegt am Wechselspiel von Angebot und Nachfrage.
Beispiel: Wenn es gelingt, die globale Nachfrage nach Erdöl zu vermindern, entsteht auf dem Ölmarkt ein Überangebot. Das Überangebot treibt den Ölpreis in den Keller. Der tiefe Marktpreis erhöht darauf die Nachfrage nach Ölprodukten wieder und lässt politische Massnahmen zur Förderung von Effizienz und erneuerbarem Energieeinsatz verpuffen. Zudem subventionieren viele Staaten fossile Energieträger direkt und indirekt immer noch weit stärker als erneuerbare Energieträger.
Der Politik fehlt es an Konsequenz
Drittens ist die Politik selbst nicht konsequent. 1982 übernahm die Wirtschaft den aus der Holzbranche stammenden Begriff «Nachhaltigkeit», wonach niemand mehr Holz ernten soll, als nachwächst, und definierte daraus ein «Gleichgewicht aus Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft». Der Weltenergierat als Dachverband der Energielobby erweiterte diese neue Beliebigkeit später zum «Energy-Trilemma». Dieses besteht aus den Eckpunkten «Sichere Energieversorgung, Energie-Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit».
In der Praxis aber gewichtet der Energierat die kurzfristigen Interessen nach ausreichender und billiger Energieversorgung höher als das langfristige Interesse an einem stabilen Weltklima. Dabei beruft er sich primär auf die Ansprüche der Entwicklungs- und Schwellenländer, die heute pro Kopf noch weniger Energie konsumieren können und weniger CO2 verursachen als die nimmersatten Industriestaaten.
Selbst in der EU, die als Vorreiterin in Sachen Umweltschutz gilt, herrsche in Sachen Klima- und Energiepolitik eine «konstruktive Mehrdeutigkeit», analysierte der deutsche Hochschuldozent Oliver Geden an einer Tagung des Europaforums in Luzern. Dahinter steckten «grosse, aber verdeckte Widersprüche» zwischen unverbindlichen Erklärungen zum langfristigen Klimaschutz und harter Interessenvertretung, wenn es um kurzfristige nationale Energieinteressen geht.
Der Klimapolitik fehlt der ökonomische Hebel
Daraus folgt der vierte und zentrale Grund: Im Unterschied zum – wachstumsorientierten – Energiemarkt fehlt der Klimapolitik, die den Ausstoss der Treibhausgase und damit den fossilen Energiekonsum senken soll, der ökonomische Hebel. Während Öl- und Gaskonzerne, getrieben von Aktionären und Wachstumszwängen, ihren Umsatz und Profit steigern wollen, fehlt ein betriebswirtschaftlicher Anreiz, den Ausstoss an CO2 zu senken. Ökonomische Anreize zum Klimaschutz liessen sich zwar schaffen, etwa mit einer griffigen globalen Energie- und CO2-Lenkungsabgabe oder einem Emissionshandel mit zielkonform sinkenden CO2-Kontingenten.
Linke und Grüne fordern solche ökonomischen Instrumente seit Jahrzehnten, scheiterten aber stets am Widerstand der fossilen Energielobby und ihren Sachwaltern in Regierungen und Parlamenten. Doch solange solche wirksamen Mittel verhindert werden, bleiben Klimaziele unwirksam und alle klimapolitischen Bekenntnisse leeres Geschwätz.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Wir Schweizer haben die +1.5 Grad Klima Erwärmung längst überschritten! In Bern ist die durchschnittliche Temperatur seit 1940 bereits um zwei Grad gestiegen! Darum gehen unsere Gletscher so schnell den Bach hinunter! Die Weltweit geforderten max. 1.5 Grad ist der Durchschnitt incl. der 71 % Meeresoberfläche! DIe Messwerte hier:
https://www.dropbox.com/sh/fib820a4lly6pyg/AABzkUCC5Du6RovgRgLkaNH3a?dl=0
Ein sehr guter Artikel, der die Schwierigkeiten und Widersprüche in der Klimafrage aufzeigt. Der Markt ist global, die Regierungen sind national, die Wirtschaftsblöcke kämpfen gegeneinander um Absatzmärkte. – Und auf der Seite, auf der dieser Artikel erscheint, läuft eine Werbung von easyJet, welche Flüge in Europa für Fr. 34.90 anbietet. Der Markt durchkreuzt die politischen Ziele!
Sehr geehrte Herr Guggenbühl,
Sicher kennen Sie Makroskop. Ein kurzer Ausschnitt dieses Vortrages unterstützt kräftig ihre Ansicht (https://makroskop.eu/2019/03/ungleichheit-geld-und-die-renaissance-des-staates/) zu finden bei 1st 39′.
Wir wünschen Bundesrätin Sommaruga in ihrem neuen Departement die Weisheit und die Kraft, in der Schweiz und auf internationalem Parkett umgehend die dringend notwendigen Massnahmen einzuleiten, um die oben erwähnte Schere zwischen den Forderungen des noch mächtigen Neoliberalismus nach mehr fossilem Wachstum und CO2 die Stirn zu bieten – zu Gunsten einer erdverträglichen, solidarischen und nachhaltigen Schweizer Gesellschaft mit Zukunft.
Der Club of Rome würde die Klimastreikbewegung, eine Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und die Initiative für sauberes Trinkwasser voll unterstützen.
Bewegen Sie etwas bevor Sie bewegt werden.
https://www.friedenskraft.ch/
»…Klimaziele unwirksam und alle klimapolitischen Bekenntnisse leeres Geschwätz…» Aber leider sind die vier angeführten Gründe für die scheiternde Klimapolitik auch leeres Geschwätz, Herr Guggenbühl. Sie stützen Ihre Begründung auf die seit 200 Jahren betriebene hirn- und weisheitslose Raubbaupolitik, man nennt sie verharmlosend liberale Marktpolitik. Als ob diese unabänderlich wäre! Wenn der arrogante Homo Sapiens, der grösste Räuber und Massenmörder auf Erden (Harari), nicht fähig und willens ist, seine Lage zu begreifen und danach zu handeln, wird ihn die Natur brutaler beseitigen, als damals die (schuldloden) Dinosaurier. Die Natur wird sich nicht an die Gesetze der Marktwirtschaft halten. Temperatur hoch, Methan am Meeresboden wird frei, Permafrost taut auf, dann geht es erst recht ungemütlich los. Die Verursacher und Ignoranten werden nicht mehr dabei sein, sie sind uneinsichtig gestorben. Zuschauen werden die heute Jungen, die verzweifelt versuchen, die unbelehrbaren und verantwortungslosen Machthaber zu stoppen. Noch leben sie, leeres Geschwätz, werden sie sagen!
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Der ökonomische Hebel ist erst dann nützlich, wenn eine ausreichende Mehrheit der wahlberechtigten Bürger sich den -Ernst der Lage- bei der Erhaltung der nötigen Lebensgrundlagen klar gemacht haben.
Demokratie ist sowieso die Herrschaftsform in der der Eigennutz weit vor dem Gemeinnutz kommt und nie waren Demokraten von den Kapitalgewaltigen Eliten medial gekonnter verführt als heute.
Wenn die VR China in grosser Massenproduktion Bioreaktoren mit Mikroalgen für Brenn- u. Treibstoffe herstellt und in der Landwirtschaft auf Permakultur mit -Terra preta- umstellt, werden andere nachziehen müssen, weil diese Technologien langfristig effektiver u. effizienter sind. Damit ist sogar mehr Wohlergehen bei Erhaltung der nötigen Lebensgrundlagen gegeben. Bloss viele kapitalgewaltige, mächtige, fossile Grosskonzerne sind dabei die Verlierer.
EQUINOR, das staatlich Energieunternehmen von Norwegen hat eine erste schwimmende Windfarm bei Schottland erstellt. Diese übertrifft alle Erwartungen. Die Schweiz d.h. die Elektrizitätsproduzenten könnten z.B. in Golfe du Lion vor Marseille solche Windfarmen mit etwa 4000 Turbinen installieren und betreiben. Mit HVDC-Leitungen kommt dann der Strom verlustarm in die Schweiz. Ein grosses 30 GW Pumpspeicherwerk (Lac de Lovenay, Saint-Gingolph am Genfersee könnte als Puffer dienen. Es zeichnet sich ab, dass diese Stromversorgung sehr wirtschaftlich sein könnte — mit Kosten die jährlich nicht höher sind als die Unterstützung der helvetischen Landwirtschaft. Damit wäre nicht nur ein grosser Nutzen verbunden sondern ein beispielhafter Beitrag gegen die Klimaerhitzung geleistet.